Von Manuela Braun
Die Hände stecken in unförmigen Raumanzughandschuhen, die Füße in klobigen Schuhen, über einen Schlauch wird Atemluft geliefert Der deutsche Astronautenanwärter Alexander Gerst und seine italienische Kollegin Samantha Cristoforetti gleiten zum Schwerelosigkeitstraining ins Wasserbecken des European Astronaut Centre (EAC) auf dem Gelände des DLR. Noch weiß keiner der beiden, dass Trainer Hervé Stevenin unter Wasser etliche Überraschungen für diesen "Außeneinsatz im Weltall“ bereithält. Dazu gehören vertauschte Werkzeuge und ein Ohnmachtsanfall.
Außenbordeinsatz mit Hindernissen
Es ist der erste Moment in diesem Trainingslauf, in dem Astronautenanwärter Alexander Gerst ins Schwitzen geraten könnte, wenn er nicht gerade im 26 Grad Celsius kühlen Wasser der Neutral Buoyancy Facility (NBF) tauchen würde. Im Werkzeugkasten sieht nichts so aus, wie es bei der Vorbesprechung vor einer Stunde noch geplant wurde. Von Werkzeug 1C ist keine Spur, stattdessen gibt es andere, bisher unbekannte Werkzeuge. Die kleine Kamera am Helm überträgt jede Kopfbewegung des 34-Jährigen auf die Bildschirme im Kontrollraum. Gersts behandschuhte Hand wandert von Werkzeug zu Werkzeug. "Test Conductor, die Anordnung des Werkzeugs stimmt nicht mit dem Plan überein", sagt er durch die eingebaute Sprechanlage seines Helms. Trainer Hervé Stevenin lächelt. Auch bei einem wirklichen Extra Vehicular Activity (EVA), einem Außenbordeinsatz im Weltall, könnte es sein, dass ein Astronaut auf Unvorhergesehenes stößt.
Die Hilfestellung kommt schließlich von Kollegin Samantha Cristoforetti: „2B ist das richtige Werkzeug!“ Stevenin hat ihr zuvor die Information über Mikrofon mitgeteilt. Die beiden Astronauten im Außenbordeinsatz sollen ständig miteinander reden. "Das ist wichtig, damit sie als Team arbeiten", sagt Stevenin. Stevenin hat selbst 2004 im Raumanzug unter Wasser am Außenbordeinsatz-Training der NASA teilgenommen und weiß, worauf er seine Schüler vorbereiten muss. Am Vormittag hatte er in einem Tauchgang zum Columbus-Modul dafür gesorgt, dass eben solche Probleme auf Gerst und Cristoforetti warten. "Ein Außenbordeinsatz ist das Komplizierteste, was man im Weltall machen kann." Dafür sollen die angehenden Astronauten vorbereitet werden. Heute sollen zwei Nutzlasten aus der Airlock, der Luftschleuse, ins Weltall gebracht und am Columbus-Modul installiert werden, eine andere Nutzlast abmontiert und in die "Raumstation" transportiert werden.
Planung bis ins kleinste Detail
"Das wird Ewigkeiten dauern", hatte Gerst bei der Vorbesprechung mit dem Trainer nüchtern festgestellt. In keiner einzigen Sekunde dürfen die Astronauten ohne Sicherung am Modul oder am Kollegen arbeiten, jede Nutzlast, jedes Werkzeug muss am Modul oder am Körper befestigt werden. Alles, was nicht gesichert ist, verschwindet im Weltall auf Nimmerwiedersehen. Für Gerst und Cristoforetti bedeutet dies: Alle Haltegurte und Sicherheitsleinen am Modul müssen während der Übung immer wieder ausgehakt, eingehakt und ausgetauscht werden. Jeder einzelne Arbeitsschritt wird vorher sorgfältig ausgetüftelt und mit Hervé Stevenin besprochen. Bei diesem Tauchgang ist Alexander Gerst der Anführer, der den Ton angeben soll. "Falls du siehst, dass ich einen Fehler mache, sag mir bitte Bescheid - und bleib' gerne auch hartnäckig!", bittet Gerst seine Kollegin mit einem Schmunzeln.
Nach über einer Stunde sind die beiden endlich an der Stelle angekommen, an der zwei Nutzlasten angebracht werden sollen. Auf den elf Bildschirmen des Kontrollzentrums laufen die verschiedenen Kamerabilder ein. Acht Taucher umschwirren die beiden Astronauten im Wasser, filmen den Einsatz und sind für den Notfall einsatzbereit. Immer wieder greift Stevenin mit Anweisungen ins Geschehen ein. "Sonnenaufgang in einer Minute, Kühlsystem des Raumanzuges einstellen, Sonnenvisier am Helm herunterklappen, Haltegurte und Sicherheitsleinen überprüfen!" - weiter geht es für die Astronauten. Bei einem tatsächlichen Ausstieg ins Weltall wird später ein Mitglied in der Internationalen Raumstation den Kontakt mit den Astronauten außerhalb der Internationalen Raumstation ISS halten.
Ärger mit dem elektrischen Anschlussstecker
Die beiden selbstgebauten Nutzlasten haben - wie im Weltall - Steckverschlüsse und nicht zuletzt auch empfindliche Bereiche, die nicht berührt werden dürfen. Allerdings: Die sind bei den Übungsmodellen aus leichten Aluschalen. "Später sieht man an den Verformungen ganz genau, ob die Astronauten diesen Bereich beschädigt haben", sagt Stevenin. Beim Training kein Problem, im Weltall wäre damit eine wertvolle Nutzlast unbrauchbar geworden. Schließlich kommt eine schlechte Nachricht von Samantha Cristoforetti: "Der elektrische Anschlussstecker ist defekt." Stevenin nickt anerkennend. Die Astronautin ist auf seinen Trick nicht hereingefallen und hat vor der Installation geprüft, ob alle Verbindungen in Ordnung sind. Er zieht das Mikrofon vor den Mund: "Einen Moment. Die Spezialisten im Kontrollzentrum überlegen, was wir mit der Nutzlast machen sollen." Kurze Zeit später erhalten Gerst und Cristoforetti eine Ansage: "Das Kontrollzentrum hat eine Entscheidung getroffen: Montiert die Nutzlast wieder ab und bringt sie in die Raumstation zurück – so können wir sie nicht gebrauchen." Die bisherige Arbeit mit dieser Nutzlast war also "umsonst".
Sich über so etwas aufzuregen - dafür sehen die Astronautenanwärter keinen Grund. Nicht nur, weil zu jeder guten Trainingseinheit auch unerwartete Situationen gehören, die das Training laut Gerst erst so richtig interessant machen, sondern auch, weil Teamwork und gute Kooperation wichtig für die spätere Arbeit sind. Die Astronautenanwärter werden im Laufe ihrer Ausbildung ein solches Training auch bei der NASA machen, die daraufhin entscheidet, wer für Außenbordeinsätze in Frage kommt. Die Entscheidung der amerikanischen Weltraumbehörde erfolgt nach 15 Kriterien. Neben der Beurteilung von Teamwork und dem Bewusstsein für die Situationen gehört auch die allgemeine Einstellung und Flexibilität der zukünftigen Astronauten dazu.
Notfall im Weltall: Eine Astronautin wird ohnmächtig
Schließlich passiert es. Stevenin macht die entscheidende Durchsage, die nur Samantha Cristoforetti hören kann: "Du bist jetzt ohnmächtig, sagst nichts mehr und bewegst Dich nicht mehr." Auf den Bildschirmen ist zu sehen, wie die Astronautin plötzlich nur noch durch ihre Sicherungsleine mit dem Columbus-Modul verbunden leblos im Wasser schwebt. Gerst bemerkt sofort, dass sie sich nicht mehr bewegt und versteht, was nun zu tun ist – die Rettung der bewusstlosen Kameradin. Von Stevenin erfährt er: "Alex, sie hat nur noch für 20 Minuten Luft, bring sie direkt zur Luftschleuse". Für Gerst beginnen nun - nach zwei Stunden Training im Wasser - die stressigsten 20 Minuten dieser Übung. So schnell es geht, transportiert er seine Kollegin zur Luftschleuse. Sicherheitsleinen entwirren, Haken öffnen, Nutzlast sichern, Entscheidungen treffen, das alles muss nun auch unter immensem Zeitdruck reibungslos funktionieren. Statt routinierter Arbeitsschritte sind nun schnelle Reaktionen und kühles Denken gefragt. "Drei Sekunden dauert es schon, aber dann hat man sich auch diese neue Situation hineinversetzt", wird Gerst später sagen. Und das solche Dinge den Trainingseffekt erhöhen. "Die Trainer legen einem viele Steine in den Weg, aber das ist auch gut so."
Dann ist es soweit. Beide Astronauten sind sicher in der Luftschleuse angekommen. "Gute Arbeit!", sagt Trainer Stevenin über das Mikrofon. Dann drückt er an seinem Laptop auf einen Knopf. Im Wasserbecken ist nun "I gotta feeling" von den Black Eyed Peas zu hören: "I gotta feeling that tonight’s gonna be a good night…!" Gute-Laune-Musik für zwei zukünftige Astronauten, die morgens noch Orbitalmechanik und Russisch gepaukt haben, um nachmittags dann einen simulierten Ausflug ins Weltall zu unternehmen.