Interview mit D1-Astronaut Ernst Messerschmid
Am 30. Oktober 1985 startet das Space Shuttle Challenger mit dem europäischen Forschungsmodul Spacelab ins Weltall. Mit an Bord der D1-Mission: Ernst Messerschmid. Zum ersten Mal wurde eine Mission unter deutscher Verantwortung durchgeführt. Im Interview erzählt der ehemalige Astronaut von Schlaflosigkeit, dem Schweben im Weltall, Zwölf-Stunden-Schichten und Spesenabrechnungen der ungewöhnlichen Art.
Das Interview führte Manuela Braun.
Die Anzahl Menschen, die ins All geflogen sind und dort in der Schwerelosigkeit gelebt haben, ist überschaubar. Wie vermitteln Sie den Übrigen, wie sich das anfühlt?
Ich zeige zum einen Bilder und Filme, zum anderen versuche ich, die Situationen zu beschreiben. Zum Beispiel der Start: Man sitzt auf 2000 Tonnen Sprengstoff, man weiß, dass immer etwas schiefgehen kann. Es ist unheimlich laut, die Beschleunigung ist groß, schon nach acht Minuten ist man oben. Erst dann - wenn die erste Euphorie wegbricht - merkt man, dass man schon isoliert ist. Es ist ganz leise. Die Farben und die Hell-Dunkel-Unterschiede außerhalb des Raumfahrzeugs sind viel extremer als auf der Erde, weil das Licht nicht mehr gestreut wird. Und man weiß: Draußen ist es extrem warm und kalt. Auf der Schattenseite bis zu -150 Grad, auf der Sonnenseite +150 Grad. Ungeschützt auszusteigen käme niemandem in den Sinn. Man ist sich bewusst, dass die Hülle, die einen umgibt, das Raumfahrzeug, als einziges die Sicherheit garantiert. Dadurch, dass wir diese extremen Temperaturen haben, entspannt sich manchmal ein Metall und gibt nach. Dann macht es einen lauten Knall, und man denkt: Was ist jetzt passiert? Im Space Shuttle herrscht eine sterile Atmosphäre, es ist einfach eine künstliche Welt. Die Gruppe wächst im Weltall auch zusammen: Jeder sorgt für den anderen, alle sind in einer psychischen und physischen Stresssituation, die erst nach Tagen nachlässt.
Wie sind die ersten Momente in der Schwerelosigkeit?
Die Bewegungen hat man ja vorher bei zahllosen Parabelflügen eingeübt, der Unterschied ist natürlich, dass dieser Zustand auf einmal dauerhaft ist. Es braucht ein bis zwei Tage, bis man sich darauf eingestellt hat und eine Art natürlichen Rhythmus für seine Bewegungen gefunden hat. Man muss ja nur leicht irgendwohin tippen und schwebt dann gleich in eine andere Richtung. Es dauerte auch ein paar Stunden, bis ich heraushatte, wie man sich festhält. Man kann mit der einen Hand nur etwas bewegen, wenn man auf der anderen Seite fixiert ist. Das ist eine interessante Erfahrung, die nur in dauerhafter Schwerelosigkeit gemacht wird.
Sie haben zunächst Physik studiert, anschließend forschten sie in der Schweiz am CERN (Europäische Organisation für Forschung mit Elementarteilchen) und am Deutschen Elektronen-Synchroton DESY in Hamburg. Wann kam die Idee, vom Forschen auf der Erde zum Forschen ins Weltall zu wechseln?
Ich hatte gerade fertig promoviert in Freiburg und musste noch an der Universität meinen Schreibtisch räumen. Auf dem Weg dorthin wollte ich vorher bei der Skimeisterschaft der Uni Freiburg im Schwarzwald mitmachen. Ich war damals ein sehr geübter Skifahrer. Unterwegs hörte ich dann auf der Höhe Schwenningen ein Radiointerview mit dem damaligen Leiter der DLR-Weltraummedizin Professor Karl-Egon Klein zur bevorstehenden Astronautenauswahl fürs Spacelab. Er zählte auf, welche Anforderungen die Kandidaten erfüllen müssten: Gesund, psychisch belastbar, Englisch und möglichst andere Fremdsprachen beherrschend, studiert, erfahren, durchsetzungsfähig - das alles habe ich innerlich für mich abgehakt und gedacht: Wenn das alles ist, bin ich dafür ein guter Kandidat. Ich habe mich beim DLR beworben und ein paar Wochen später ging die Mühle los. Die Bewerbung zum Astronauten lief bei mir damals parallel zu anderen Bewerbungen, unter anderem bei DESY. Ich kam dann bis unter die letzten fünf Deutschen, ausgewählt wurde aber zunächst für die erste Spacelab-Mission als einziger Deutscher Ulf Merbold. Mir hat man dann gesagt, dass es in zwei Jahren nach der ersten Spacelab-Mission noch eine weitere Mission, die deutsche D1-Spacelab-Mission, geben werde. Dafür wollte man mich gerne einsetzen. Bis dahin konnte ich dann beim DLR - damals noch DFVLR - in Oberpfaffenhofen im Bereich der Telekommunikation und Navigation arbeiten.
Wie groß war die Enttäuschung, als Ulf Merbold 1977 ausgewählt wurde?
Mir wurde ja gesagt, dass ich beim nächsten Flug wieder auf der Liste der Bewerber stehen würde - das war dann 1982. In diesen fünf Jahren war ich auf ganz anderen Gebieten in der Raumfahrt tätig und hatte dort eine Karriere entwickelt, die unabhängig von einem Flug ins Weltall verlief. Sie wissen ja erst, dass sie fliegen, wenn sie im Raumfahrzeug sitzen. Das ist wie bei der Fußballnationalmannschaft: Man trainiert, aber wenn etwas dazwischenkommt, spielt ein anderer.
Aber Sie waren sich sicher, dass Sie bei der nächsten Mission ins Weltall fliegen wollten?
Das war mein Wunsch, aber ich bin schon immer mindestens zweispurig gefahren. Ich wusste, dass ich große Chancen hatte. Bei der ersten Spacelab-Mission wurde ein Materialwissenschaftler gesucht, das war Ulf Merbold. Ich komme eher aus dem Ingenieur- und Physikbereich mit Spezialisierung Elektrotechnik und Thermodynamik.
Nachdem die Zusage für die Mission kam - wie wurden Sie auf Ihren Flug vorbereitet?
Man hat für die Vorauswahl genau zwei Leute ins Ministerium bestellt - das waren Reinhard Furrer und ich. Als wir miteinander telefoniert hatten, wussten wir schon, was die uns da verkünden wollten. Ein wenig haben wir uns schon vorher gedanklich auf die Schulter geklopft. Der Minister hat uns dann gesagt: Ihr beide seid dabei. Dann sind wir erst mal einen trinken gegangen. Das war im Sommer 1982. Ab Februar haben wir dann im damaligen Institut für Raumsimulation des DLR mit dem Training angefangen. Die erste Spacelab-Mission mit Ulf Merbold an Bord war eine von der ESA unterstützte NASA-Mission, das Astronautentraining und die Bodenkontrolle der Experimente fand hauptsächlich in den USA statt. Aber bei der D1-Mission saßen wir vom DLR im Fahrersitz. Wir hatten das Shuttle nur als Taxi gebucht. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern, die für die Experimente zuständig waren, haben wir alles aufgebaut, haben die Experten des DLR mitgearbeitet bei der Konzeption und der Durchführung der Experimentvorbereitungen. Das war eine spannende Zeit. Ich musste noch den Flugschein machen. Wir sollten auch lernen, mit der Öffentlichkeit umzugehen.
Ich bin eher ein introvertierter Typ. Das war ein Problem gegenüber meinem Kollegen Furrer, der eher extrovertiert war. Zu Beginn hieß es, dass nur einer von uns fliegen würde, das sorgte dann für Konkurrenz untereinander. Ein Jahr vor der Mission erfuhren wir schließlich, dass wir beide fliegen würden. Wir hatten herausgefunden, dass im Shuttle ein achter Sitz eingebaut werden kann. Furrer und ich hatten zuvor immer gesagt: Das ist so viel Arbeit, das ist nur mit zwei Astronauten zu schaffen, wenn diese für die ca. 70 Experimente voll trainiert und Fachleute sind. Die NASA war überzeugt.
Wie sah Ihr Alltag während der Mission aus?
Die Zeit war sehr eng geplant. Wir hatten drei Schichten. Aber derjenige, der aus der Acht-Stunden-Schicht ausschied, musste vor und nach seiner Schicht auch noch Dinge nacharbeiten oder reparieren, die sich beim Experimentieren so ergeben hatten. Der kleinere Teil der Besatzung schlief, der andere arbeitete. Wir waren zu acht Leuten in Shuttle und Spacelab. Unsere „Timeline“ war zum Teil bis auf die Minute festgelegt. Man wusste immer, was wann gemacht werden musste, wo was verstaut ist, was eingeschaltet werden muss. Sieben bis zehn Experimente wie die Kristallzüchtung oder Erstarrung von Metallen liefen ständig autonom ab, mussten aber natürlich immer wieder kontrolliert oder neu bedient und umgestellt werden. Die amerikanischen Astronauten waren dabei unsere "Hilfskräfte" und haben uns zugearbeitet bei Experimenten, die nicht soviel Training vorab erforderten, oder auch beim Essen zubereiten. Reinhard Furrer und ich standen immer in Zwölf-Stunden-Schichten in der Verantwortung für die Experimente. Es ist spannend, so eine Mission für 400 Millionen vom Steuerzahler hart verdiente Deutsche Mark mit zu verantworten. Man weiß auch, dass die Professoren und Doktoranden gute Ergebnisse fordern. Das war der Druck, den wir spürten, und der uns veranlasste, auch die eine oder andere Stunde Freizeit zu streichen und stattdessen mehr Daten einzufangen. Wir wollten zufriedene und nicht unglückliche Doktoranden nach der Mission antreffen.
Wie war die Stimmung im Spacelab? Auf den Filmaufnahmen sehen Sie immer sehr optimistisch und fit aus…
Wenn Sie zweieinhalb Jahre trainieren für eine Woche Weltraum, sind Sie während der Mission so angefüllt mit Adrenalin, dass die nebensächlichen Momente fast verschwinden. Aber die hat man auch. Ich merkte, dass ich in meinen Gefühlen extrem schwankte. Wir waren als Mannschaft gut drauf und haben uns gut verstanden, die nachdenklichen Momente hatte jeder für sich alleine. Ich hatte meine schwierigste Zeit in der ersten Nacht, als ich kaum einschlafen konnte. Durch die Strahlung sieht man Lichtblitze trotz geschlossener Augen, ich habe gefroren, ich konnte nicht einschlafen und vor mir lagen 16, 17 Stunden Arbeit. Außerdem hatten wir auch "krank machende" Experimente mit Rotation, Bewegungen, den Fahrten auf dem Raumschlitten - und ich hatte Symptome der Raumkrankheit. Kaum waren wir oben, hatte ich schon in die Tüte geguckt. Meine Schleimhäute waren geschwollen. Und da ging mir schon durch den Kopf: Herr Gott noch mal, in welche Situation hast Du Dich da gebracht? Aber ein neuer Tag, neues Glück.
Wie liefen die Experimente ab?
Direkt zu Beginn des ersten Arbeitstages schwebte ich ins Spacelab und sah viele rote und gelbe Leuchtdioden - das waren Experimente, die nicht funktionierten. Dann hatten wir ein Problem mit einem Vakuumleck. Wir mussten in den Öfen an Bord des Spacelabs ein Vakuum erzeugen und dazu stellt man eine Verbindung mit dem Weltall her. Allerdings war eine undichte Stelle in dieser Leitung, und vom Boden teilte man uns mit: Wenn ihr das Leck nicht findet, ist die Mission nach zwei Tagen vorbei, weil euch die Luft ausgeht. Dann gab es noch MEDEA, ein sehr teures Materialforschungsinstrument, das nicht in Betrieb genommen werden konnte. Da mussten wir aus einem Kabelsalat das richtige Kabel aussuchen, das wir durchzuschneiden hatten. Es klappte, aber am letzten Tag ging auf einmal die Tür zum Behälter nicht mehr auf. Da habe ich - schließlich gelernter Klempner und Installateur - dann mit ein paar Mikroschraubenziehern und einem Inbus-Schlüssel das Schloss zerlegt. Das zeigt vor allem, dass es wichtig ist, bei den Experimenten vor Ort Astronauten zu haben, die experimentelle Erfahrung haben und eingreifen können.
Sie waren damals sieben Tage im All, mittlerweile leben die Astronauten für Monate auf der Internationalen Raumstation. Hätte Sie das damals auch gereizt?
Natürlich. Liebend gerne. Zu der Zeit waren die sieben Tage mit dem Space-Shuttle aber das absolute Limit, zu kurz um egoistisch kostbare Zeit für den "Weltraum-Kick" voll zu genießen. Die Idee der Internationalen Raumstation mit langen Flugzeiten war erst im Entstehen.
Sie waren an der Entwicklung der Raumstation beteiligt. Was war Ihre Funktion?
Ich war in allen möglichen Gremien zur Nutzung der Raumstation, Automation und Robotik, im Hermes-Sicherheitsausschuss, in verschiedenen Nutzer-Ausschüssen, wo wir zum Beispiel festlegten, wie der Betrieb auf einer Raumstation ablaufen sollte. Ich hatte auch selbst Experimente an Bord der MIR und der Internationale Raumstation. Global Transmission Services (GTS) an Bord der ISS überträgt Funksignale zur Erde - zum Beispiel für eine Funkuhr aus dem All. Ein anderes Experiment misst den Sauerstoff in der oberen Atmosphäre und fliegt zukünftig auf einer Reihe von Satelliten. Das heißt, ich hatte entweder eigene Experimente oder habe andere bei der der Idee und Umsetzung ihrer Experimente beraten.
Sie haben von 2000 bis 2004 das Europäische Astronautenzentrum EAC in Köln geleitet. Was kann man den Astronautenkandidaten vermitteln, was kann nur die Erfahrung lehren?
An der Stuttgarter Uni habe ich viel auf dem Gebiet der Sicherheit, der Raumtransporte mit Space Shuttles und zukünftigen Kapseln gearbeitet. Ich habe von fachlicher Seite aus Vorlesungen für die Astronautenkandidaten gehalten. Das sind zwar Dinge, die man nachlesen kann, aber es geht auch um die Erfahrung, die man nicht nachlesen kann. Wenn es zum Beispiel um den Umgang mit Risiken geht oder um den Umgang mit der ganzen Umgebung, in der man sich befindet. Damals habe ich auch veranlasst, dass für Invalidität und Todesfall eine Extraversicherung abgeschlossen wird, die die ESA bezahlt. Unter der Bedingung, dass die Astronauten auch mit ihren Familien deutlich über das Risiko einer Mission reden. Ich habe schon mehrmals am Grab von Astronauten gestanden und weiß auch, dass die Familien oft nicht genügend abgesichert waren.
Wenige Monate, nachdem Sie mit der Challenger zurückgekehrt waren, beim nächsten Start im Januar 1986, explodierte das Shuttle. Alle Astronauten an Bord kamen dabei um. Hat Ihnen das auch noch einmal das Risiko Ihres Berufs verdeutlicht?
Ich kannte die Astronauten, die damals mit der Challenger starten wollten. Die D1-Crew hatte ihre Büromöbel an die sieben weitergegeben, die zu unserer Nachfolgemission gehörten. Meinen Schreibtisch hatte ich Christa McAuliffe, der Lehrerin, gegeben. Das prägt. Als ich damals vor meiner Mission eine Versicherung abschließen wollte, hat mir die Versicherungsgesellschaft mitgeteilt, dass die Deutsche Reichsversicherungsordnung nur einen Versicherungsschutz bis 75 Kilometer bietet. Da wäre ich ja in drei Minuten nach dem Start schon angekommen.
Astronaut ist nicht der gängige Beruf für solche Dinge.
Wir mussten auch bei der Gewerbeaufsicht zwei Ausnahmegenehmigungen erwirken: nämlich dass wir mehr als drei Tage länger als zehn Stunden arbeiten und dass wir die ganze Zeit über in der Nähe unseres Arbeitsplatzes schlafen durften. Und für meine Dienstreiseabrechnung habe ich die "Goldene Kartoffel" bekommen. In dem damals gültigen Bundesangestelltentarif waren vorgeschrieben, dass bei Reisen über die Datumsgrenze hinweg ein Tag dem Zeitabstand zwischen zwei Sonnenaufgängen entspricht. Im Spacelab hatten wir ja 16 Sonnenauf- und Untergänge pro Tag auf der Erde - die habe ich aus Spaß dann für alle sieben Tage meiner "Dienstreise" in meine Spesenabrechnung geschrieben. Dafür habe ich später einen Aachener Satirepreis, die "Goldene Kartoffel", bekommen.
Wenn Sie heute im Team der Astronautenanwärter im Training wären - welche Mission würden Sie sich wünschen?
Natürlich eine drei- bis sechsmonatige Mission zur ISS. Oder am liebsten noch weiter weg - zu einem Asteroiden in 400 Millionen Kilometern Entfernung von der Erde. Da wäre ich gleich dabei. Oder zur Reparatur an einem Teleskop der nächsten Generation etwa in vierfacher Mond-Entfernung.
Von welcher Entdeckung im Weltall würden Sie gerne einmal hören, wenn Sie vor dem Radio oder dem Fernseher sitzen?
Das ist eindeutig: Ich sehe irgendwo eine Mikrobe, einen kleinen Käfer oder sonst ein Zeichen von Leben. Das würde unsere ganze Vorstellung revolutionieren. Man wird es finden. Ich bin überzeugt: Leben gibt es, und es kann sich auch ausbreiten.