Interview mit Prof. Peter R. Sahm, wissenschaftlicher Leiter der Mission
Von Manuela Braun
Als am 30. Oktober 1985 die deutsche D1-Mission mit Ernst Messerschmid, Reinhard Furrer und Wubbo Ockels an Bord startete, drückte ein Mann am Boden den Astronauten für ihre fast 80 Experimente in der Schwerelosigkeit besonders fest die Daumen: Peter R. Sahm war der wissenschaftliche Leiter der deutschen D1-Mission. Später betreute er auch die deutsche D2-Mission (1993) und die russisch-deutsche MIR97-Mission (1997). Seit 1979 war er als Professor für Gießereiwesen an der RWTH Aachen tätig, 1986 gründete er das Aachener Centrum für Erstarrung unter Schwerelosigkeit ACCESS. Im selben Jahr wurde er mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet. Die D1-Mission dauerte sieben Tage, die Vorbereitungen dauerten dafür bedeutend länger - "eine faszinierende Zeit", sagt Peter R. Sahm im Interview.
Fast 80 Experimente wurden damals an Bord des Spacelab durchgeführt. Wenn Sie jetzt, 25 Jahre später, ein Fazit ziehen: Von welchen Experimenten profitieren wir heute noch?
Einige der medizinischen Experimente haben sich so durchgesetzt, dass sie heute in der Arztpraxis angewendet werden und der Arzt wahrscheinlich nicht einmal mehr weiß, woher das kommt. Zum Beispiel bei Fragen, die mit dem Vestibularorgan, dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr, zusammenhängen. Das wurde auf der D1-Mission mit dem sogenannten Schlitten getestet, bei dem die Astronauten in der Schwerelosigkeit auf einer Schiene hin- und herfuhren. An das Gleichgewichtsorgan knüpfen sich Effekte, von denen der normale Mensch nichts weiß. Haben Sie schon einmal vom kalorischen Nystagmus gehört? Wenn man in ein Ohr wärmere Luft einbläst und in das andere kältere Luft, hat man einen Temperaturunterschied - davon wird vielen Menschen schlecht, sie reagieren darauf unsicher und manchmal mit der Seekrankheit. Aus diesen Reaktionen kann man also mittlerweile indirekt Schlüsse ziehen und sagen: "Der Patient hat Schwierigkeiten mit dem Vestibularorgan oder mit der Verbindung von Vestibularorgan und Kleinhirn."
Wie lange haben damals die Vorbereitungen für die verschiedenen Experimente gedauert?
Lange! Ein ganzes Jahr war noch zuwenig für das Kennenlernen der Experimente. Alle Astronauten, auch die Ersatzmannschaft, musste die Experimente verstehen, sie durchspielen, die Hintergründe kennen. Das bedeutete, dass wir praktisch jeden Tag woanders waren. Jede Universität in Deutschland versuchte, mindestens ein Experiment beisteuern zu dürfen. Meine Kollegen, die sich auf den verschiedenen Gebieten auskannten, haben dann den Astronauten Anweisungen gegeben, wie man die Experimente ausführt. Wann wird etwas ein- oder ausgeschaltet? Was passiert, wenn man etwas falsch bedient? Das musste alles einstudiert werden.
Welche Aufgaben hatten Sie dabei als wissenschaftlicher Leiter der Mission?
Ich selbst war für die Überprüfung verantwortlich, dass die Experimente gute wissenschaftliche Arbeit darstellten. Experimente in der Schwerelosigkeit waren damals noch nicht so anerkannt und standen zum Teil in der Kritik. Wenn ein Kollege sagte: "Das ist keine gute Wissenschaft!", dann hätte ich mich entweder verkriechen oder dafür gerade stehen müssen. Ich hab dann das letztere gewählt - und meistens mit Erfolg.
Was macht denn ein gutes wissenschaftliches Experiment aus? Nach welchen Kriterien haben Sie entschieden, welche Experimente im Spacelab mitfliegen?
Es musste gewährleistet sein, dass nicht irgendein Effekt, der schon bekannt ist, wiederholt wird und etwas Altbekanntes den Weg ins Spacelab fand. Es mussten gute wissenschaftliche Fragestellungen und dann später auch Antworten sein. Ich denke, dass ist für alle Experimente auf der D1-Mission gelungen. Es gab nur eine größere Mission, die zuvor einen ähnliche Größenordnung hatte: Das war die erste Spacelab-Mission im November 1983. Da waren auch mehrere Wissenschaftsdisziplinen vertreten, aber nicht so intensiv vorbereitet wie bei der D1-Mission. Unsere Mission hat viel Aufmerksamkeit erregt - gerade auch bei den Amerikanern.
Die Astronauten haben immer wieder Experimente vor eine Kamera gehalten, die Bilder zur Erde übertrug. Wie war die Stimmung vor Ort im Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen?
Während der sieben Tage der Mission wurden die Experimente von einer riesigen Mannschaft auf dem Boden in Oberpfaffenhofen eng begleitet. Da saßen bis zu 250 Leute - Physiker, Chemiker, Projektleiter - und kontrollierten, ob die Timeline für alle Experimente eingehalten wurde. Die Timeline wurde vorher in Simulationssitzungen geübt, alle Experimente erhielten bis auf die Sekunde genau eine Zeit zugeteilt. Wenn das zuwenig Zeit war, gab es "Last-Minute"-Korrekturen - das war dann eine meiner Aufgaben. Nach jeder Zwölf-Stunden-Schicht schrieb ich dann noch einen "Science Report", damit die Wissenschaftler wussten, inwieweit ihre Experimente bisher gelungen waren. Das waren sehr anstrengende Zeiten im Schichtbetrieb.
Bei vielen Experimenten waren die Astronauten selbst die Versuchsobjekte…
Genau, das waren die "Life Science"-Experimente. Zum Beispiel wurde bei der D1-Mission das Blut untersucht. Blut strömt bei Schwerelosigkeit in die obere Körperhälfte, deshalb fliegen die Astronauten im Weltall mit einem gedunsenem Gesicht herum. Der Körper wird dadurch ziemlich stark beansprucht. Außerdem gab es viele physiologische Effekte, die man erforschte. Kann man mit salzreicher oder salzarmer Flüssigkeit den Blutdruck regeln? Verändert sich der Augeninnendruck in der Schwerelosigkeit? Biologie und Medizin fanden sicherlich am meisten Zuspruch bei den Experimenten, weil sie einfach am einsichtigsten relevant waren.
Bei fast 80 Experimenten - hat alles wie geplant geklappt?
Im Großen und Ganzen ja. Obwohl: Ein Pflanzenexperiment zum Beispiel, bei dem die Wachstumsrichtung als Funktion des Schwerefeldes geprüft wurde, lief genau andersherum ab, weil ein Astronaut vergessen hatte, den richtigen Hebel zur richtigen Zeit zu drücken. Aber das war nachher nicht so schlimm, weil man dennoch Rückschlüsse ziehen konnte.
Wann lagen die ersten Ergebnisse vor?
In vielen Fällen wurden die Ergebnisse direkt übermittelt. Dann signalisierten die Astronauten den Wissenschaftlern am Boden: Das Experiment ist gut gelaufen. Oder: Wir haben noch Zeit für den Test einer anderen Substanz.
Welches Experiment war für Sie persönlich am Spannendsten?
Ich selbst habe natürlich die Experimente in der Materialwissenschaft mit großem Interesse verfolgt - die Astronauten konnten beispielsweise während der Mission einen Werkstoff herstellen, wie man ihn hier auf der Erde nicht synthetisieren kann. Diese Erkenntnisse konnten wir an unserem Institut an der RWTH für eine neuartige Technologie nutzen.
Sie haben alle Experimente vom Boden aus verfolgt. Wären Sie als Wissenschaftler gerne selbst vor Ort im Weltall gewesen?
Ich weiß: Da wäre ich sofort ausgefallen. Schon im ersten Moment, in dem man beim Flug die dreifache Schwerkraft hätte verkraften müssen. Das wäre nicht meine Sache gewesen. Aber ich fand es faszinierend - und find es auch heute noch faszinierend. Es war eine schöne Zeit. Eine Pionierzeit.