Zement ist mit einem Produktionsvolumen von 3,7 Milliarden Tonnen (2012) eines der wichtigsten Industrieprodukte weltweit. Wenngleich seine Entdeckung bereits mehr als 2000 Jahre zurück¬reicht, sind die bei der Aushärtung ablaufenden chemischen Reaktionen mit Wasser (der sogenannten Hydratation) bis heute Gegenstand intensiver Forschung. Ziel ist es, ein besseres Verständnis für die sehr komplexen Auflösungs- und Kristallisationsprozesse bei der Hydratation des Zements zu erhalten. So lösen sich Zementbestandteile direkt nach der Zugabe von Wasser teilweise auf – es entsteht eine übersättigte Lösung vor allem von Calciumhydroxid, Silikat und Aluminat. Aus dieser Lösung kristallisieren anschließend Mineralien (sogenannte Zement-Hydrat-Phasen), die miteinander verwachsen und so ein festes Zementstein-Gefüge ausbilden – der Zement ist erhärtet. Die hier genannten Reak¬tionen werden in der Fachsprache unter dem Begriff „Hydratation“ des Zements zusammengefasst. Erste Hydrat-Phasen bilden sich bereits innerhalb von Sekunden nach Wasserzugabe in Gestalt von Kristallen mit einer Größe von nur wenigen Nanometern. Auf diesen ersten Sekunden der Zement-Hydratation liegt der Fokus unserer geplanten Untersuchungen.
Neben der Zement-Hydratation selbst liegt ein weiterer Schwerpunkt in der aktuellen Forschung auf den so genannten „bauchemischen Zusatzmitteln“. Als solche werden spezielle Chemikalien bezeichnet, die dem Beton oder Mörtel zugegeben werden, um ihre Eigenschaften zu verbessern. So bewirken beispielsweise Beschleuniger und Verzögerer, dass die Aushärtung des Zements schneller oder langsamer abläuft. Die Zugabe von Fließmitteln hingegen bewirkt, dass der Beton bei gleicher zugegebener Wassermenge bessere Fließeigenschaften aufweist. Der Einsatz solcher Zusatzmittel ist in der heutigen Bauindustrie vor allem notwendig, um die Eigenschaften des Betons an die jeweiligen Anforderungen anpassen zu können. Die Wirkung dieser Zusatzmittel basiert meist auf deren Adsorption auf den Zementoberflächen. Die negativ geladenen Zusatzmittel werden hier von den positiv geladenen Zementpartikeln angezogen und auf deren Oberfläche gebunden. Dies wiederum hat großen Einfluss auf das oben beschriebene Kristallwachstum – vor allem auf Form und Größe der Kristalle.
Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Abwesenheit von Gravitation einen großen Einfluss auf Kristallisationsprozesse ausüben kann. Die meisten Untersuchungen dazu beziehen sich auf die Kristallisation von Proteinen, wobei sich zeigte, dass infolge der mangelnden Schwerkraft größere Kristalle entstehen. Bezüglich anorganischer Salze jedoch wurden bis auf einige wenige Verbindungen, unter ihnen Kochsalz (Natriumchlorid), noch keine derartigen Versuche durchgeführt.
Ziel unseres Forschungsprojekts ist es, den Einfluss der Mikro-Gravitation auf Größe, Menge und Form (Morphologie) der sich in den ersten 10 Sekunden der Hydratation von Zement bildenden Kristallisationsprodukte zu untersuchen. Dies wird anhand verschiedener Zemente und sowohl mit als auch ohne Zusatzmittel geprüft. Es wird erwartet, dass der Einfluss der Zusatzmittel auf die Morphologie der Kristalle durch die Abwesenheit der Gravitationskraft noch verstärkt wird. Um die Unterschiede zwischen „0 g“ und „1 g“ quantifizieren zu können, werden sämtliche Versuche aus der Parabelflug-Kampagne unter normalen Schwerkraft-bedingungen wiederholt.
Wir erhoffen uns, durch diese Untersuchungen zum fundamentalen Verständnis der frühen Zement-Hydratation und insbesondere der Auskristallisation der frühen Zement-Hydrat-Phasen beizutragen. Diese Hydrat-Phasen bestimmen letztlich die physikalischen und mechanischen Eigenschaften des erhärteten Betons beziehungsweise Mörtels, sodass die gewonnenen Erkenntnisse direkt in die Entwicklung neuartiger Zement- oder Baustoffsysteme einfließen können.