Raumfahrt | 25. Mai 2023 | von Thomas Voigtmann

Höhenforschungsrakete MAPHEUS-13: Start in einen sonnigen Tag

MAPHEUS%2d13 im Mai 2023 beim Start
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Start der Forschungsrakete MAPHEUS-13 am 22. Mai 2023 um 07:00 Uhr von Esrange, Schweden, auf dem Weg in fünfeinhalb Minuten Schwerelosigkeit.

Zum dreizehnten Mal „Materialphysikalische Experimente unter Schwerelosigkeit“: Unser Team der DLR-Institute für Materialphysik im Weltraum, für Luft- und Raumfahrtmedizin und der Mobilen Raketenbasis MORABA konnte am 22. Mai 2023 um 07:00 Uhr Ortszeit die Forschungsrakete MAPHEUS-13 starten. Vorangegangen ist eine zweiwöchige Kampagne vor Ort auf Esrange im Norden Schwedens. Für diese anstrengenden Tage kam mit dem Start die Belohnung: ein Bilderbuch-Start an einem Frühlingsmorgen und ein fast genau wie vorberechneter Flug bis zu knapp 230 km Höhe, auf dem die Experimente für fünfeinhalb Minuten in Schwerelosigkeit ablaufen konnten.##markend##

Nach der Vorbereitungswoche (siehe Blogbeitrag “Höhenforschungsrakete MAPHEUS-13: Es geht wieder los – Vorbereitungen in Schweden laufen an“) ist die zweite Kampagnenwoche die, in der alles zusammenkommt: die vielen Einzel-Experimente, Service-Systeme und Motoren werden zu einer Rakete, die dann startklar gemacht wird. Manchmal kommt dann auch sprichwörtlich alles zusammen, was schiefgehen kann: So eine Forschungsrakete ist ein hochkomplexes Gesamtsystem aus einer kaum überschaubaren Vielzahl an Einzelteilen, die alle miteinander harmonieren müssen. Auch bei MAPHEUS-13 gab es Momente, in denen alles glatt lief, gefolgt von Momenten, in denen einzelne Team-Mitglieder in langen Nachtschichten mit unerwartet aufgetretenen Problemen kämpften – plötzlich ausgefallene Einzelteile oder unerwartete Software-Bugs, die drohten, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Zwar wird viel vorher im Labor getestet, aber die Bedingungen einer Nutzlast auf startfertigen Raketenmotoren lassen sich dann doch schwer reproduzieren.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
MAPHEUS-13 im Launcher auf Esrange, aufgenommen während erster Tests nach der kompletten Integration der Rakete. Gut zu erkennen sind die unteren zwei Raketenstufen, auf denen die eigentliche Nutzlast (etwa das obere Drittel) aufgebaut ist.

Zu alledem zeichnete sich ab, dass es aufgrund der im Frühjahr hier üblichen starken Winde und Windböen eigentlich nur ein anpeilbares Startfenster gab, nämlich den Montagmorgen. Trotz unerwarteter Pannen, die uns zwangen, die Nutzlast noch zweimal aus dem Launcher wieder auszubauen, haben wir es rechtzeitig in den am Schluss sechsstündigen Countdown geschafft. Nach dem Start fiel zum ersten Mal die deutlich spürbare Anspannung ab. Dann wurde es nochmal elektrisierend: gebannt verfolgten wir die Live-Übertragung der Kameras an Bord der Rakete, um zu sehen, wie die Nutzlast noch unerwartet lange am Fallschirm in den Höhenwinden getragen wurde. Letzten Endes landete sie nur 15 km entfernt vom berechneten Punkt. Die bereits in Bereitschaft georderten Helikopter konnten die Experimente schnell wiederfinden und innerhalb von 2 Stunden zu uns zurückbringen. Einige heftige Schrammen und Dellen hatte sie abbekommen: eine Erinnerung daran, dass gerade bei Wiedereintritt und Landung nicht zu unterschätzende Kräfte wirken.

Hier noch einmal ein Überblick über die fünf erfolgreichen Versuche in Schwerelosigkeit, die wir mit MAPHEUS-13 nun verbuchen können:

3D-Druck von Stahl-Bauteilen

Kann man Bauteile aus Stahl auch in Schwerelosigkeit 3D-drucken? Dieser Fragestellung ging das Experiment MARS nach, eine Entwicklung des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum mit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Nachdem im MARS-Modul schon das erste komplett in Schwerelosigkeit 3D-gedruckte Metallteil gefertigt werden konnte (auf einer früheren MAPHEUS-Rakete), zeigte sich nun, dass das viel fließfähigere Stahlpulver ganz neue Herausforderungen an den Prozess stellt. Dennoch konnten mehrere Lagen in der Schwerelosigkeit gedruckt werden. Das Team wird übrigens gleich weiterziehen: die nächste Messzeit steht an, diesmal am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY), wo im laufenden Druckverfahren mit Röntgenstrahlung die mikroskopische Struktur des gedruckten Teils vermessen werden kann. Daraus erhofft sich das Team ganz neue Einblicke in den Zusammenhang zwischen Druckvorgang und Bauteileigenschaften – ein wichtiges aktuelles Thema im Bereich des 3D-Drucks, um derart gefertigte Teile breiter und zuverlässiger einsetzbar zu machen. Die Entwicklung eines schwerkraft-unabhängigen Pulverdruckverfahrens für die Forschungsrakete ermöglicht hier die Ausrichtung des Druckbetts in den Synchrotron-Röntgenstrahl, die ganz neue Analysemöglichkeiten eröffnet.

Zusammenführung von Metallschmelzen

Eng mit dem Verständnis des Zusammenhangs zwischen Materialzusammensetzung, physikalischen Mechanismen auf atomarer Ebene, und dem resultierenden Metallbauteil verbunden ist die Frage, wie Atome in Metallschmelzen diffundieren. Dazu müssen kleine Proben solcher Schmelzen, auf mehrere 100 bis 1000°C geheizt und dann mit einem filigranen Scherzellenmechanismus miteinander in Kontakt gebracht werden, so dass in der Folge das Ineinanderlaufen der verschiedenen Schmelzen beobachtet werden kann. Das geschieht ebenfalls mit Röntgenstrahlung, und zwar im Experiment X-RISE während des Flugs auf der Rakete. Durch den Wegfall der Gravitationskraft fallen störende Konvektionsströmungen in den Proben weg, und nur so lassen sich zuverlässige Referenzdaten gewinnen, die in die weitere theoretische Modellierung von Materialeigenschaften eingehen. Wichtig ist hier die Unterscheidung unterschiedlicher Transportmechanismen – Diffusion einzelner Teilchen gegenüber kollektiver Umordnungen – und dazu wurde in X-RISE auf MAPHEUS-13 zum ersten Mal ein Scherzellenofen eingesetzt, mit dem drei Schmelzen gleichzeitig zusammengeführt werden konnten. Für die Zeit nach der Kampagne steht die technische Weiterentwicklung dieses hochkomplexen Experimentmoduls an, das trotz aller Bemühungen doch nicht wie geplant verlief.

Zellkulturen in Schwerelosigkeit

Ein anderer ungeplanter Verlauf hatte beim Team der Biologen vor Ort für Aufregung gesorgt: trotz mehrfacher Absicherungen und Rückfalloptionen kamen die Zellkulturen fürs Experiment so beschädigt in Kiruna an, dass zwei unbrauchbar waren und eine dritte ebenfalls nicht so gedieh, wie es notwendig gewesen wäre. Ein eilig aus dem Urlaub zurückgeholter Kollege vom Experimentpartner, der Universität Bonn, brachte die vierte Kultur mit, die die wissenschaftliche Fragestellung des Experiments LIFT letzten Endes gerettet hat. Große Freude kam im Team auf, sobald die erfolgreich in Schwerelosigkeit und in Hypergravitation fixierten Zellen aus der Rakete wieder geborgen und gleich für einen ersten Eindruck ins bereitstehende Biolabor transferiert werden konnten. Hier werden sicher spannende weitere Analysen folgen.

Signale von Nervenzellen live verfolgen

Auf elektrischer Ebene ändern Neuronen in veränderter Schwerkraft ihr Signalverhalten. Die von den Neuronen ausgesendeten elektrischen Impulse können im Experiment BIODECODER direkt entlang der Nervenbahnen gemessen werden. Der Jubel nach der schnellen Bergung war groß: im noch mit den mitgeflogenen Batterien laufenden Experiment konnten wir die zeitlichen Verläufe der Zellsignale live weiterverfolgen. Die Zellen waren sozusagen in heller Aufregung nach Raketenstart, -flug und Landung, während auf technischer Seite das Experiment lief, als sei zwischendrin nichts gewesen.

Post-Quantum-Kryptographie auf Rakete demonstriert

Ganz andere elektronische Komponenten sind in den Biologie-Experimenten Huckepack mitgeflogen. Zusammen mit adesso SE erprobt das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin gesicherte und authentifizierte Kommunikation von live-Messdaten aus dem Weltraum. Das Experiment 007/Blofeld demonstrierte die Post-Quantum-Kryptographie auf der Rakete, also verschlüsselte Datenübertragung, die selbst den zurzeiteit nur theoretisch möglichen Angriffen mit Quantencomputern standhalten wird.

Neues Sprachkommunikationssystem für Start im Einsatz

Auch auf dem Boden ist sichere Kommunikation angesagt: während des Countdowns müssen viele Stationen miteinander reden und sich vor allem auf das verlassen können, was gesagt wird. Für MAPHEUS-13 konnten wir zum ersten Mal das von der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining entwickelte neuartige und rein softwarebasierte Sprachkommunikationssystem OPENVOCS im Ernstfall einsetzen. Das System bietet ein hochgradig skalierbares Voice-Loop-Setup auf der Basis von einzelnen Microservices und erfüllt damit alle modernen Anforderungen in einer Weltraummissionsumgebung. Sicher eine technische Neuerung, die wir bald öfter im Einsatz sehen werden.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Wer nicht im Kontrollraum eingebunden ist, kann den Moment des Starts auf Esrange mit eigenen Augen mitverfolgen, allerdings nur aus sicherer Entfernung von über einem Kilometer. Unser Kollege Maximilian Sturm hat deshalb eigens ein Spiegelteleobjektiv für seine Kamera mitgenommen um dieses Bild zu bekommen.

Nach Abschluss der Arbeiten steht der Rücktransport an: die Nutzlasten werden in rund einer Woche wieder in Köln und Oberpfaffenhofen im Labor stehen und teilweise für den nächsten Flug vorbereitet – mit frischen Proben und neuen wissenschaftlichen Fragestellungen gehen dann neben ganz neuen Nutzlasten auch Teile der alten auf die erneute Reise nach Kiruna im Frühjahr 2024.

Quelle: DLR. Alle Rechte vorbehalten
Die Nutzlast mit den MAPHEUS-13-Experimenten landete nah am vorher berechneten Punkt und konnte so innerhalb von zwei Stunden zurück zum Team vor Ort transportiert werden.

Ein ringförmiges Segment der Rakete war bei dieser Mission etwas ganz Besonderes. 2000 von Kindern gemalte Missionslogos flogen – aufgebracht auf diesem Segment – ins All und zurück. Es verbleibt nun auf der Erde und wird im Juni an die Stiftung Kinder forschen übergeben.

TrackbackURL

Über den Autor

Prof. Thomas Voigtmann arbeitet am DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum und ist Projektleiter des Höhenforschungsraketenprojekts MAPHEUS-D. Von seiner Ausbildung her ist er theoretischer Physiker mit Forschungsinteressen im Bereich der Rheologie, also der Untersuchung des Fließens komplexer Fluide und aktiver Materialien. zur Autorenseite

Artikel mit ähnlichen Themen

MAPHEUS-12 im Oktober 2022 beim Start

Höhenforschungsrakete MAPHEUS-13: Es geht wieder los – Vorbereitungen in Schweden laufen an

15. Mai 2023 | von Thomas Voigtmann

Wie lassen sich Bauteile aus Metallpulver mit einem 3D-Drucker in Schwerelosigkeit herstellen? Wie v... weiterlesen