Teststände im Wandel - 60 Jahre DLR Lampoldshausen

Moderne Triebwerksentwicklung auf raumfahrthistorischem Grund und Boden

Fast verdeckt der dichte Wald die Einfahrt. Einzelne Gebäude blitzen durch das Grün. Die Bäume rauschen. Plötzlich durchbricht ein ohrenbetäubendes Donnern die Stille. Kurze Zeit später steigt eine weiße Wasserdampfwolke über dem Blätterdach auf. Wenige Minuten später ist das Getöse vorbei und die Vögel singen, als wäre nichts geschehen. Sie scheinen das Treiben im Harthäuser Wald zu kennen. 18 Kilometer nördlich von Heilbronn befindet sich der DLR-Standort Lampoldshausen. Hier werden seit 60 Jahren die Antriebe getestet, mit denen sich zukünftige Raketen auf ihre Reisen begeben.

Wer ins DLR Lampoldshausen kommt, besucht einen der wichtigsten Standorte europäischer Raumfahrtgeschichte. Auf dem 51 Hektar großen Gelände im nördlichen Baden-Württemberg ist auf historischem Grund und Boden ein Ort moderner Triebwerksentwicklung entstanden. Es war der Raumfahrtpionier Eugen Sänger, der 1959 im Harthäuser Wald ein Forschungsinstitut gründete. 60 Jahre nach der Erschließung des Geländes lassen sich Spuren der Entwicklungsgeschichte noch gut erkennen und die Zukunft erahnen.
Im Besucherzentrum bewundert eine Gruppe interessierter Gäste das große Vulcain-2-Triebwerk, das wie eine überdimensionale Lampe von der Decke hängt. Es ist nur einer von zahlreichen Raketenantrieben, die vom DLR-Team in Lampoldshausen getestet wurden. Auch wenn einige der Prüfstände des hier ansässigen Instituts für Raumfahrtanriebe Patina zeigen, sind sie doch kein bisschen müde geworden. Wandlungsfähig wie nie zuvor sind sie auf neue Anforderungen im europäischen Raumtransport gut vorbereitet. Die Besucher wenden sich um – eine Bilderwand zeigt die Historie des Standorts. Bis seine Gründung im Jahr 1959 ins Blickfeld rückt, sind einige Meter zu gehen.

Alles auf Anfang: 1959

Prof. Eugen Sänger (1905-1964)
Prof. Eugen Sänger (1905-1964) - Gründungsvater des DLR Lampoldshausen
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Hopmann, Lemwerderer 1999

Als sich am 10. Oktober 1959 im Rathaus von Lampoldshausen spontaner Applaus erhebt, kann Eugen Sänger mehr als zufrieden sein. In einer mitreißenden Rede hat der bekannte Raumfahrtpionier die Lampoldshausener Bürger davon überzeugt, wie wichtig ein geplantes Prüfstandsgelände für Raketentriebwerke für ihre Gemeinde ist. Der führende Wissenschaftler in der Raumfahrt- und Raketentechnik war 1954 aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt, um wieder in der Raumfahrtforschung tätig zu sein. Nun hatte er eine wichtige Hürde genommen, um mit dem Bau eines Testgeländes für sein in Stuttgart gegründetes „Forschungsinstitut für Physik der Strahlantriebe“ (FPS) zu beginnen, auf dem Flüssigkeitsraketenantriebe getestet werden sollten. Der Zeitpunkt war ideal, denn mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts 1955 endete auch das Verbot der Raketenforschung und Westdeutschland konnte nach zehn Jahren wieder Raumfahrtforschung betreiben. Länder, Universitäten und Industrie wollten an dieser „Gründerphase“ beteiligt sein. 1963 war die erste Ausbaustufe des Testgeländes abgeschlossen. Im gleichen Jahr wurde der Standort für das erste große europäische Raumfahrtprojekt ausgewählt, in dessen Fokus die Entwicklung einer europäischen Trägerrakete stand. In Lampoldshausen sollte dafür „Astris“, das von Deutschland entwickelte Triebwerk der dritten Raketenstufe, getestet werden. Für diesen Zweck wurde das Gelände erweitert: Die neuen Prüfstände P3 und P4 wurden für Tests unter Boden- und Höhenbedingungen entwickelt und gebaut. Zugleich forschten die Wissenschaftler und Ingenieure in Lampoldshausen im Bereich der hochenergetischen Flüssigkeitsantriebe.

Lampoldshausen wird Geburtshelfer der europäischen Raumfahrt

1975 wurden unter der Führung der neu gegründeten Europäischen Weltraumorganisation ESA die Arbeiten an der Trägerrakete Ariane aufgenommen, die Europa einen eigenständigen Zugang zum Weltraum ermöglichen sollten. Um die Rakete auf ihren Weg ins All vorzubereiten, kamen ihre Triebwerke zunächst in Lampoldshausen auf den Prüfstand. Hier wurden wichtige Tests des Viking-Triebwerkes durchgeführt. Und mit dem ersten erfolgreichen Start der Ariane am 24. Dezember 1979 begann eine Erfolgsgeschichte. Heute, 40 Jahre später – nach dem Wechsel der weltweit kommerziell erfolgreichsten Ariane 4 hin zur leistungsstärkeren Ariane 5 – arbeiten die Forscher an der Nachfolgerin Ariane 6, die 2020 zum ersten Mal ins Weltall starten soll. Das DLR in Lampoldshausen ist dabei für die Tests des Hauptstufentriebwerks Vulcain 2.1, des Oberstufentriebwerks Vinci und auch der gesamten Oberstufe der Ariane 6 verantwortlich. In dem verglasten Besucherzentrum zeugt ein rund sechs Meter hohes Modell im Maßstab 1:10 von der engen Verbindung des Standorts zum Zugpferd der europäischen Raumfahrt. Sie ist das jüngste Mitglied der Ariane-Trägerraketenfamilie und folgt der Ariane 5, die in 2023 nach 27 Jahren ihren Dienst einstellen wird. Ihre Unterstufe zieren die Flaggen der 13 ESA-Mitgliedsstaaten, die an dem Projekt beteiligt sind. Sie zeigen, dass ein solches Vorhaben ohne Teamwork nicht zu verwirklichen ist und wie fest verankert der DLR-Standort in dieser Gemeinschaft ist.

Der Raumfahrtantrieb der Zukunft hat viele Facetten – Methan gehört dazu

Bis es so weit ist, dass eine Rakete Richtung Weltall abheben kann, durchlaufen ihre Triebwerke mehrere tausend Testsekunden an den speziell entwickelten Prüfständen. Dazu erhalten sie in Lampoldshausen den letzten Schliff. Eine der Kernaufgaben des Standorts ist es, die Prüfstände in den kommenden Jahren technologisch flexibel weiterzuentwickeln und kosteneffizient zu optimieren. Außerdem beschäftigen sich die DLR-Ingenieure ständig mit neuen Technologieentwicklungen für zukünftige Triebwerkskonzepte, beispielsweise mit der Treibstoffkombination von Methan und Flüssigsauerstoff (LOX), die in der Entwicklung neuer flüssiger chemischer Raumfahrtantriebe eine vielversprechende Rolle spielt. Im „Prometheus“-Projekt arbeiten DLR-Forscher daran, dass diese sogenannte LOX/Methan-Technologie für die europäische Raumfahrt möglichst bald einsatzbereit ist. Sie soll am Prüfstand P5 des Standorts getestet werden, der ein gutes Beispiel dafür ist, dass in den frühen Anfangsjahren errichteten Großprüfstände heute noch wegweisend und lange nicht abgeschrieben sind. Er wurde einst für die Entwicklung des Hauptstufentriebwerks Vulcain der Ariane 5 errichtet und 1990 in Betrieb genommen. Derzeit finden hier noch die Entwicklungstests des Vulcain-2.1-Triebwerks der neuen Ariane 6 statt. Doch hinter den Kulissen bereitet ein DLR-Team den Prüfstand bereits auf seine neue Aufgabe vor und entwickelt die erforderliche Infrastruktur für das Prometheus-Projekt. „Ein LOX/Methan-Technologiedemonstrator mit 100 Tonnen Schub soll ab 2020 auf dem Prüfstand P5 in Lampoldshausen getestet werden“, erläutert Anja Frank, Leiterin der Versuchsanlagen, die Perspektiven für die zukünftige Aufgabe Und ergänzt: „Damit Europa auch über die Ariane 6 hinaus wettbewerbsfähig im Bereich Trägerraketen bleibt, ist es unabdingbar, dass der Übergang von der traditionellen Treibstoffkombination bei den derzeitigen Antrieben – Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff – hin zu LOX/Methan reibungslos und zügig verläuft.“ Ein zukünftiges LOX/Methan-Triebwerk kann die Kosten des in den 1980er-Jahren entwickelten europäischen Hauptstufentriebwerks Vulcain um den Faktor zehn verringern und ist außerdem wiederverwendbar.

Die Zukunft der Treibstoffe beginnt im DLR Lampoldshausen

Auch zukünftige Treibstoffe sind ein wichtiger Bestandteil der Forschung im Harthäuser Wald. Satelliten werden bislang mit Hydrazin betrieben. Dieser Treibstoff ist über lange Zeit lagerfähig und funktioniert auch unter Weltraumbedingungen zuverlässig. Dementsprechend unverzichtbar ist er heutzutage für Raumfahrtmissionen. Allerdings ist er auch gesundheitsbelastend. Der Umgang mit Hydrazin am Boden – während des Transports, der Betankung und der Startvorbereitungen – ist aufwändig und teuer. Darum analysieren, bewerten und testen DLR-Wissenschaftler neue Treibstoffe, sogenannte „Green Propellants“. Diese sind umweltfreundlich, preisgünstig und leicht zu handhaben – und in der Zukunft mindestens genauso leistungsfähig wie die herkömmlichen Treibstoffe.

Näher am Triebwerk der nächsten Generation durch maschinelles Lernen

Um die Entwicklung neuer Triebwerksgenerationen schneller vorantreiben zu können, spielt auch in der Raumfahrt Künstliche Intelligenz (KI) eine immer wichtigere Rolle. Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens können Fähigkeiten zur Vorhersage aus zuvor erzeugten Daten selbstständig fortentwickeln und anschließend für datenbasierte Berechnungen, Entscheidungen und Optimierungen nutzbar machen. Entwicklungen, die in diesem Bereich am Standort stattfinden, bleiben für die Besuchergruppe jedoch unsichtbar. Sie entstehen in den Büros an Rechnern. Unter anderem bei Dr. Jan Deeken und Dr. Günther Waxenegger-Wilfing aus der Gruppe Systemanalyse des Instituts für Raumfahrtantriebe. Sie nutzen künstliche neuronale Netze in dem Projekt LUMEN. Darin beschäftigen sich die Fachleute aus Lampoldshausen mit dem Zusammenspiel aller Komponenten eines Raketentriebwerks: von der Brennkammer über die Turbopumpen bis hin zu den Ventilen. Bis zum Projektende 2020 soll erstmals ein vollständiges Modelltriebwerk für die Forschung in einer Prüfstandsumgebung entstehen. „Ein riesiger Vorteil ist, dass wir nicht mehr Tage lang auf die Ergebnisse von Berechnungen warten müssen. Das neue ‚Werkzeug‘ ermöglicht es uns, die Geschwindigkeit der einfachen Modellierung mit der Genauigkeit von numerischen Methoden zu verknüpfen und liefert uns sekundenschnell Resultate. Damit erreichen wir beim Verständnis des Zusammenspiels der Komponenten innerhalb eines Raketentriebwerks eine neue Stufe“, freut sich Deeken. Gute Dienste hat die KI bereits bei der Auslegung der Kühlkanäle der Brennkammer geleistet. Ein für diesen Zweck trainiertes neuronales Netz ist in der Lage, das komplexe Verhalten des Kühlmediums Methan vorherzusagen und ist damit ein zentraler Baustein einer automatisierten Kühlkanalauslegung für die LUMEN-Brennkammer.

Kein Stillstand

Die Besucher haben inzwischen ihren Rundgang beendet. Sie zählten zu einer der vielen Gruppen, die wöchentlich zum DLR kommen, um sich ein Bild der aktuellen und vergangenen Entwicklungen im Bereich Raumfahrtantriebe zu machen. An vielen Orten in Europa wird die Raumfahrt der Zukunft in Büros, Laboren und an Prüfständen vorangetrieben und das DLR Lampoldshausen ist ganz vorne mit dabei. „Das Spannende und zugleich Einzigartige an diesem DLR-Standort ist, dass die Wissenschaftler hier skalenübergreifend forschen, entwickeln und testen können“, sagt Prof. Stefan Schlechtriem. Er ist Direktor des Instituts für Raumfahrtantriebe und lenkt die Geschicke des Standorts seit nunmehr zehn Jahren. Mit der Strategie 2030 verfolgt er ein klares Bild für die Zukunft, bei dem innovative Prüfstandtechnologien und wissenschaftliche Expertise im Fokus stehen. Wichtig ist für Schlechtriem dabei ein stabiles Fundament – sowohl technologisch als auch in strategischen Partnerschaften. „An keinem Standort der europäischen Raumfahrt ist die Verzahnung zwischen Forschung, Entwicklung, Design und Planung sowie Triebwerktests an Großprüfständen für Raumfahrtantriebe so direkt wie hier in Lampoldshausen. Diese Ausgangslage ist nahezu einmalig in Europa und bietet enormes Potenzial. Unsere Perspektiven, es zu nutzen, sind ausgezeichnet.“

Der Beitrag stammt aus der Ausgabe 162 des DLRmagazins

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