Der Stoff für die Ener­gie­wen­de

Wasserstoff hat als Energieträger ein enormes Potenzial. Er besitzt viel Energie, verbrennt sauber, kann gut transportiert werden und lässt sich über lange Zeit zuverlässig lagern. Das DLR ist dabei in allen Bereichen der Wasserstoffforschung und entlang der ganzen Prozesskette aktiv. Mit der Erfahrung aus mehreren Jahrzehnten arbeiten seine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, ihn umfassend nutzbar zu machen.

Wasserstoff kommt auf der Erde praktisch nur in chemisch gebundener Form vor, zum Beispiel in Wasser, Methan oder Biomasse. Um ihn als Energieträger nutzen zu können, muss der Wasserstoff zunächst aus diesen Verbindungen herausgelöst werden. Dies geschieht mittels Energie in Form von Strom oder Hochtemperaturwärme. Der sogenannte „graue“ Wasserstoff wird vorwiegend aus Erdgas gewonnen, aktuell macht er etwa 95 Prozent der weltweiten Produktion aus. Dabei entstehen erhebliche CO2-Emissionen. Beim „blauen“ Wasserstoff trennt man diese Treibhausgase ab und speichert sie ein – oder man stellt Wasserstoff mittels Elektrolyse her und setzt dabei auf Strom aus Kernkraft.

Nachhaltig und klimaneutral ist nur „grüner“ Wasserstoff. Bei seiner Herstellung kommen Wasser sowie Energie aus Sonnen-, Wind-, Wasserkraft oder Biomasse zum Einsatz. Bisher galt seine Produktion in relevanten Mengen als zu teuer. Prof. Karsten Lemmer, Vorstandsmitglied des DLR für die Bereiche Energie und Verkehr, ist zuversichtlich, dass sich dies in Zukunft ändern wird: „Zunächst muss der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreiten. Außerdem sollten kurzfristig große Elektrolysesysteme in Deutschland installiert werden. Damit gehen wir die ersten Schritte auf dem Weg, grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen.“

Wege zu grünem Wasserstoff: Elektrolyse und solare Verfahren

Um Wasserstoff in großindustriellem Maßstab herzustellen, forscht das DLR vor allem an zwei Methoden: der Elektrolyse und solarthermische Verfahren.

Die Elektrolyse ist die am weitesten entwickelte Technologie und bereits kommerziell verfügbar. Ihr Prinzip ist seit mehr als 200 Jahren bekannt: Wasser wird mit Hilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Drei Verfahren stehen aktuell im Mittelpunkt: die alkalische, die Protonen-Austausch-Membran- und die Hochtemperatur-Elektrolyse. Das DLR entwickelt alle drei Verfahren weiter.

Aktuell gibt es in Deutschland eine installierte und mit erneuerbarem Strom gespeiste Elektrolyseleistung von insgesamt 30 Megawatt. Für den Umstieg in eine Wasserstoffwirtschaft müssten diese Kapazitäten massiv ausgebaut werden. Eine Studie der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) geht von einem Ausbau der installierten Elektrolyseurleistung auf 137 bis 275 Gigawatt bis zum Jahr 2050 aus. Dafür werden sowohl kleinere, dezentrale Elektrolyseanlagen – beispielsweise an Tankstellen – als auch zentrale, großtechnische Elektrolyseure mit besonders hohen Wirkungsgraden benötigt.

Solarthermische Verfahren der Wasserstoffproduktion versprechen einen höheren Wirkungsgrad, benötigen aber große Flächen. Bei dem Prozess nutzen solarthermische Anlagen die Sonnenenergie, um Wärme zur thermochemischen Wasserspaltung zu produzieren. Das DLR entwickelt Komponenten und Verfahren weiter, um diese Anlagen möglichst effizient, langlebig und industrietauglich zu gestalten. Erste Pilotanlagen sind bereits in Betrieb, bis zur Marktreife des solaren Pfads der Wasserstoffherstellung wird es allerdings noch einige Jahre dauern.

Großer Wasserstoffbedarf erfordert nationale Produktion und Import

Um die stark steigende Nachfrage nach grünem Wasserstoff zu bedienen, wird es unabdingbar sein, auch die Kapazitäten im Bereich der erneuerbaren Energien deutlich zu erweitern. Deutschland hat dafür nur begrenztes Potenzial und Fläche. Hinzu kommen Akzeptanzprobleme, wie sie aktuell beispielsweise die Windkraft erfährt. „Wir werden es nicht schaffen, die Menge an grünem Wasserstoff, die für Energiewirtschaft, Industrie und Mobilität benötigt wird, in Deutschland zu erzeugen. Es werden internationale Lösungen gebraucht. Es sollte eine großskalige Wasserstoffproduktion in sonnenreichen Ländern etabliert werden. Solarthermische Verfahren haben das höchste Potential, die Produktionskosten drastisch zu senken. Für die Verteilung muss dann eine globale Wasserstofflogistik entstehen“, schlussfolgert DLR-Vorstandsmitglied Karsten Lemmer.

Innerhalb Europas bieten sich vor allem Gebiete in Spanien, Griechenland oder Süditalien an. Herstellung und Export von Wasserstoff könnten Elemente eines europäischen „Green Deals“ und Impulsgeber für die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie werden. Auch Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten sind in dieser Hinsicht für Deutschland und Europa besonders interessant.

Transportieren, Speichern, Verteilen: Infrastruktur auf- und umbauen

Neben der Produktion ist auch der wirtschaftliche und zuverlässige Transport von Wasserstoff ein entscheidender Faktor für eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft. Dabei geht es sowohl um die Transportwege von den globalen Produktionsorten bis zu Knotenpunkten in den Abnehmerländern als auch um die lokale Verteilung bis zum Endnutzer. Unterschiedliche Ansätze kommen dazu in Frage: flüssiger Wasserstoff, die Umwandlung von Wasserstoff in Ammoniak, Methan oder in flüssige organische Wasserstoffträger. Im Moment steht noch nicht fest, welcher dieser Ansätze der wirtschaftlichste sein wird. Für die Strecke zum Endverbraucher wird Wasserstoff wohl weiterhin verflüssigt oder als Gas komprimiert und per LKW angeliefert werden.

Eine weitere Möglichkeit, um Wasserstoff zu transportieren und zu verteilen, ist der schrittweise Umbau des Erdgas- in ein Wasserstoffnetz. Das deutsche Gasnetz besteht aus einem Transportnetz von 40.000 Kilometern und einem Verteilnetz von 470.000 Kilometern. Es verfügt bereits über eine gewisse Wasserstofftauglichkeit. Für einen höheren Anteil an Wasserstoff müssten Materialien, Komponenten, Betriebsweise und Nutzeranforderungen genau untersucht und optimiert werden.

Ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Wasserstoffinfrastruktur werden große Speicher sein. Mit ihrer Hilfe lassen sich saisonale Nachfragespitzen, wie der Beginn der Heizperiode oder Dunkelflauten, sicher abdecken. In Deutschland kommen dafür vor allem Untergrundspeicher in Salzkavernen in Frage. Das DLR untersucht die Sicherheit, Wasserstoffqualität und Beständigkeit der eingesetzten Materialien solcher Speicheranlagen. Außerdem erforscht es mögliche Geschäftsmodelle für Produktion und Lagerung und analysiert die Standortpotenziale vor allem im Norden Deutschlands. Dieser eignet sich aus geologischen Gründen besonders für solche Infrastrukturen.

Nachhaltige Wasserstoffmobilität für Straße, Schiene, Luft und See

Grüner Wasserstoff ist dort eine nachhaltige Alternative, wo heute Benzin, Diesel, Kerosin oder Schweröl zum Einsatz kommen. Er bietet gleichzeitig den gewohnten Komfort von großen Reichweiten und schnellen Tankvorgängen. Brennstoffzellen zeichnen sich durch eine hohe Effizienz aus und verursachen außer Wasserdampf keine Emissionen – im Gegensatz zum direkten Verbrennen von Wasserstoff in Motoren und Turbinen.

Das DLR entwickelt sowohl spezielle Brennstoffzellen als auch neuartige Wasserstofftanks für den mobilen Einsatz und integriert sie in die jeweiligen Gesamtsysteme, seien es Autos, Busse, Lastwagen, Züge, Flugzeuge oder Schiffe. Wasserstoffbasierte Antriebslösungen haben gegenüber Batteriekonzepten deutliche Vorteile, wenn es darum geht, schwere Lasten über weite Strecken zu transportieren.

Brennstoffzellenfahrzeuge für den Individualverkehr sind bereits auf dem Markt erhältlich. Die DLR-Fachleute analysieren deren Markt- und Einsatzpotenziale. Das Konzeptfahrzeug Safe Light Regional Vehicle (SLRV) des DLR wird über einen hocheffizienten Wasserstoffantrieb verfügen und voraussichtlich im Herbst 2020 als Prototyp seine ersten Runden drehen. Brennstoffzellenzüge sind auf Strecken ohne Oberleitung eine emissionsfreie Alternative zu Dieseltriebwagen. Das DLR hat in einer Studie den Markt für Züge mit hybriden Antriebskonzepten untersucht sowie gemeinsam mit dem Schienenfahrzeughersteller Alstom den weltweit ersten Brennstoffzellentriebzug entwickelt und erprobt. Weitere Züge und Testregionen sollen folgen. Erste Busse mit Brennstoffzelle fahren bereits in Pilotprojekten auf den Straßen, und mehrere Hersteller entwickeln LKW mit dieser Antriebsform.

Im neuen DLR-Institut für maritime Energiesysteme liegt ein Schwerpunkt auf der Nutzung von Wasserstoff für die Energieversorgung von Schiffen. Die Fachleute forschen an Aspekten wie Lebensdauer, Alltagstauglichkeit und der besonders effizienten Integration solcher Systeme, wenn zum Beispiel auf einem Schiff Strom für den Antrieb und gleichzeitig Kälte für die Kühlung der Fracht gebraucht wird. Gemeinsam mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeitet das DLR außerdem daran, die weltweit erste wasserstoffbetriebene Hochseefähre mit Brennstoffzellen vom Stapel laufen zu lassen.

In der Luftfahrt kann Wasserstoff als Treibstoff in modifizierten Gasturbinen zum Einsatz kommen. Dies ist besonders für große Flugzeugklassen interessant, erfordert allerdings die Entwicklung luftfahrttauglicher Wasserstoffspeicher und neuer Brennkammersysteme. Das Fliegen mit Brennstoffzelle und elektrischen Antrieben stellt bisher eine sehr komplexe technische Herausforderung dar, verspricht aber, besonders leise, effizient und emissionsfrei zu sein.

Darüber hinaus können flüssige synthetische Treibstoffe auf Wasserstoffbasis das Fliegen deutlich nachhaltiger machen. Ihr Einsatz könnte in Zukunft nicht nur in der Luftfahrt gefragt sein, sondern auch überall dort, wo sich konventionelle Antriebe nicht ohne Weiteres durch klimafreundliche Alternativen wie Batterien oder Brennstoffzellen ersetzen lassen. Antriebskomponenten und Infrastruktur müssen dafür meist nur geringfügig angepasst werden. Im DLR-weiten Querschnittsprojekt „Future Fuels“ untersuchen elf Institute die chemisch-physikalischen Eigenschaften solcher klimaneutralen Treibstoffe sowie deren Leistung, Zusammensetzung und wirtschaftliche Produktionswege.

Grüner Wasserstoff für Strom und Wärme

Auch der Energiesektor kann in Zukunft vom Allround-Talent unter den Energieträgern profitieren. Mit Brennstoffzellen und Gasturbinen lassen sich regelbarer Strom und regelbare Wärme erzeugen. Beides ist im Energiesystem von morgen, das auf schwankenden erneuerbaren Quellen beruht, eine zentrale Voraussetzung. So können Verbrauchsspitzen ausgeglichen werden. Dabei gilt es, möglichst hohe Wirkungsgrade zu erreichen.

Für die Umrüstung von bereits sehr effizient arbeitenden Gaskraftwerken auf Wasserstoff, sind nur geringe Anpassungen notwendig. Aktuell forscht das DLR gemeinsam mit Turbinen- und Kraftwerksherstellern auf dem Gebiet der Brennstoffflexibilität und entwirft Konzepte, wie Gemische aus Erdgas und Wasserstoff möglichst stabil und schadstoffarm verbrennen.

Sektorenkopplung: Erfolgsfaktor Vernetzung

Gleichzeitig dürfen Umweltkosten nicht in die Herstellungsphase der benötigten Komponenten vorverlagert werden – und mit Blick auf kritische Ressourcen gilt es, Lösungen für deren Ersatz oder Recycling zu finden.

Trotz aller Herausforderungen blickt Prof. Karsten Lemmer hoffnungsvoll in die Zukunft: „Nur wenn wir vernetzt denken, die Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie zusammen betrachten und ganzheitliche Lösungen finden, kann der Schritt in eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft gelingen. Das DLR forscht deshalb entlang der gesamten Systemkette. Beginnend mit der Herstellung von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse oder solare Erzeugung über die Nutzung in Verkehr und Industrie und in der Energiewirtschaft, bietet Wasserstoff Lösungsbeiträge für die Probleme unserer Zeit – von einer grünen Stromversorgung bis zu CO2-freiem Verkehr.“

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