Artikel aus dem DLRmagazin 173: Prescreening beschleunigt die Zulassung alternativer Treibstoffe

Eine kleine Probe Zukunft

Schon weniger als ein Milliliter genügt, um den Treibstoff zu charakterisieren.
Forschende am DLR-Institut für Verbrennungstechnik in Stuttgart haben ein Testverfahren für neuartige Treibstoffe entwickelt, das sogenannte Prescreening.

Was haben neuartige Treibstoffe für die Luftfahrt und guter Wein gemeinsam? Sie sind vielfältiger und bestehen beide aus mehr Bestandteilen, als den meisten Menschen klar ist – und schon kleinste Abweichungen können alles verderben. Aus diesem Grund haben Forschende am DLR-Institut für Verbrennungstechnik in Stuttgart ein Testverfahren für neuartige Treibstoffe entwickelt, das sogenannte Prescreening. Dank modernen chemischen Analyseverfahren, wie sie auch für Wein verwendet werden, genügt schon weniger als ein Milliliter, um den Treibstoff zu charakterisieren – bevor er mit modernen Machine-Learning-Verfahren detailliert bewertet wird.

Treibstoff-Proben
Mithilfe der zweidimensionalen Gaschromatografie werden minimale Treibstoff-Proben analysiert.

Wenn Hannes Lüdtke einen neuen Treibstoff untersuchen will, greift er nicht zum Zapfhahn oder zum Kanister. Der Doktorand nimmt sich stattdessen eine Pipette und füllt den Treibstoff in Braunglasfläschchen ab. Diese sind halb so lang wie sein kleiner Finger. Die kleine Röhre im Inneren fasst 300 Mikroliter – gerade mal ein Sechstel eines handelsüblichen Röhrchens Backaroma. Das Injektionsvolumen ist noch kleiner: ein Mikroliter. Anhand dieser winzigen Menge der klaren, fast geruchlosen Flüssigkeit kann der Chemiker die Zusammensetzung des Treibstoffs molekülgenau erfassen. „Wir nutzen dazu die zweidimensionale Gaschromatografie. Das ist eine leistungsstarke Methode, mit der sich so komplexe Flüssigkeiten wie Kraftstoffe anhand minimaler Proben analysieren lassen“, sagt Lüdtke.

ECLIF-Forschungsflüge
In der ECLIF-Kampagne untersuchten Forschende von DLR und NASA den Abgasstrahl von Flugzeugen. Links fliegt die DC-8 der NASA, daneben der A320 ATRA des DLR.
Credit:

DLR / NASA / Friz

Kraftstoffe im Profil

Allerdings reicht dieser Schritt noch nicht aus, um zu erfahren, ob sich der Treibstoff für den sicheren Betrieb des Flugzeugs eignet. Dazu müssen die Forschenden auch das Verhältnis der Stoffgruppen zueinander bestimmen. Erst daraus ergibt sich – ähnlich wie bei einem Wein der Geschmack – das Profil an Eigenschaften. Entscheidend für die Zulassung sind beispielsweise Viskosität, Dichte, Verhalten bei niedrigen Temperaturen und Wiederzündfähigkeit in großen Höhen. Um die Eigenschaften zu bestimmen, untersuchen die Forschenden am Institut für Verbrennungstechnik die Ergebnisse aus der Gaschromatografie mithilfe von eigens entwickelter Machine-Learning-Modelle. „Sie sind der eigentliche Schlüssel zum Erfolg“, sagt der Ingenieur Dr. Uwe Bauder. „Die Modelle helfen uns, die Eigenschaften zuverlässig vorherzusagen, die aus der Zusammensetzung des Treibstoffs resultieren.“

Die Entwicklung des Prescreenings – auch Technical Fuel Assessment genannt – war ein Meilenstein auf dem Weg zur Marktreife nachhaltiger Treibstoffe. Das Testverfahren ist der Zulassung vorangestellt. Es verhindert, dass Herstellerfirmen Millionen von Euro in den Aufbau einer Produktion für Testchargen von Hunderttausenden Litern investieren müssen, um dann womöglich festzustellen, dass sie einen Treibstoff produzieren, der nicht zulassungsfähig ist. Die Idee des Prescreenings sei 2017 im EU-Projekt Jetscreen entstanden, sagt Dr. Bastian Rauch, der bis Ende Juni als Gruppenleiter für nachhaltige Treibstoffe am Institut tätig war. Er hat das EU-Projekt koordiniert. Zu diesem Zeitpunkt war die Bewertung eines Treibstoffs nur mit aufwändigen Tests in Brennkammern möglich, wie sie am Institut für Verbrennungstechnik auch betreut werden. Dafür hätten sie damals allerdings mindestens 200 Liter benötigt, wie Rauch sich erinnert. Für Firmen, die einen Treibstoff entwickeln sowie eine Produktion aufbauen müssen und deshalb nur wenige Milliliter pro Tag oder gar Woche produzieren können, war diese Anforderung bereits eine große Hemmschwelle.

Analyse von Treibstoffen
Im Analyselabor des DLR-Instituts für Verbrennungstechnik in Stuttgart untersucht Dr. Kathrin Großmann neuartige Treibstoffe.

Ein effektives Testverfahren aus Stuttgart

In Stuttgart kam man deshalb damals auf die Idee, ein einfaches, aber effektives Testverfahren zu entwickeln und es dem Zulassungsprozess voranzustellen – das Prescreening. Weil zeitgleich auch Josh Heyne im US National Jet Fuels Combustion Program an diesem Problem arbeitete, entschloss man sich, zusammenzuarbeiten. Von dem Erfolg dieser Kooperation profitieren alle Beteiligten noch heute.

Aus dem Projekt heraus wurde in Stuttgart die SimFuel-Datenbank aufgebaut, die inzwischen die Daten von mehr als 15.000 konventionellen Jet-Treibstoffen sowie mehr als 450 neuartigen Treibstoffen und zahlreiche Analysen der wichtigsten Molekülgruppen dieser Kandidaten enthält. Nicht wenige dieser neuen Treibstoffe stammen aus Forschungsprojekten, die ihre Daten zur Verfügung gestellt haben. „Diese Datenbank ist ein wahrer Schatz“, sagt Uwe Bauder, dessen Team an den Machine-Learning-Modellen arbeitet. „Sie ermöglicht es uns, die Methoden und Modelle beständig weiterzuentwickeln und den Treibstoff-, aber auch Triebwerksherstellern immer detaillierteres Feedback zu geben.“

Dazu setzen die DLR-Fachleute selbstlernende Algorithmen ein, um experimentelle Untersuchungen der chemischen Analytik miteinander zu koppeln. Das Team von Uwe Bauder optimierte für die Vorhersage der wichtigsten Stoffeigenschaften eine Serie von Machine-Learning-Modellen. Diese Modelle werden mit den Daten aus der SimFuel-Datenbank trainiert. Anschließend werden sie dazu benutzt, die Eigenschaften eines neuen Kandidaten auf Grundlage der detaillierten Gaschromatografie-Ergebnisse vorherzusagen. Die Visualisierung der Ergebnisse in speziell entwickelten, aufwändigen Diagrammen lässt auf den ersten Blick erkennen, welches Verhalten ein Treibstoff später zeigen wird – und vor allem, ob diese Eigenschaften inner- oder außerhalb der von der Zulassungsbehörde vorgegebenen Grenzen liegen.

In den vergangenen Jahren hat das Stuttgarter Team viel Erfahrung in der Bewertung neuartiger Treibstoffe gesammelt. Viele Forschungsprojekte ließen Proben ihrer Entwicklungen am Institut analysieren und konnten mit dem Feedback ihre Verfahren optimieren. Die Bewertung zahlreicher Treibstoffe, Brennkammerversuche und die Zusammenarbeit mit anderen DLR-Instituten haben gezeigt, dass die Vorhersage im Prescreening tatsächlich treffend ist.

International gefragt

Pro Jahr nutzen inzwischen etwa vier bis sechs Herstellerfirmen die Chance, ihre Entwicklungen im DLR in Stuttgart testen zu lassen. Ihre Produktionspfade sind dabei äußerst unterschiedlich. Zu den Kunden des Instituts zählen Start-ups, die auf das Fischer-Tropsch-Verfahren setzen, bei dem mithilfe der Elektrolyse Treibstoffe gewonnen werden. Ein Beispiel ist Ineratec, das bisher erfolgreichste Start-up aus Deutschland. Mit der Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) arbeitet das DLR-Team in zahlreichen Projekten zusammen. Andere Start-ups setzen auf Biomasse als Ausgangsstoff, wie X-Fuel mit Sitz in Dublin und Produktion auf Mallorca. Aber auch große Konzerne wie Neste und OMV optimieren ihre Neuentwicklungen mit dem Prescreening-Prozess. Die Beispiele zeigen, was für eine enorme Bandbreite an technischen Lösungen unter dem Begriff Sustainable Aviation Fuels (SAF) zusammengefasst wird.

„Für alle Herstellerfirmen war das Prescreening-Verfahren eine wertvolle Hilfe“, sagt Uwe Bauder, „weil es ihnen Korrekturen am Produkt und am Produktionsprozess in einem sehr frühen Stadium ermöglichte.“ Eine Garantie für die erfolgreiche Zulassung gebe das Verfahren zwar nicht, schränkt Bauder ein. Aber das Prescreening habe die Chancen auf eine erfolgreiche Zulassung der Treibstoffkandidaten deutlich verbessert.

A320 ATRA
Im ECLIF-Projekt war das DLR-Forschungsflugzeug A320 ATRA mit verschiedenen Kraftstoffmischungen unterwegs.

Im Augenblick ist die American Society for Testing and Materials (ASTM) mit Sitz in Pennsylvania, USA, die einzige Organisation weltweit, die alternative Kraftstoffe zulassen kann, und zwar sowohl biobasierte als auch strombasierte Treibstoffe. Sie beteiligt an dem Prozess die Herstellerfirmen aller Flugzeugkomponenten, die mit einem Treibstoff in Berührung kommen – und das sind nicht wenige. Deshalb muss jedes dieser Unternehmen einen Treibstoffkandidaten im Rahmen der Zulassung testen. Würde jedes Land eine eigene Zulassungsstelle betreiben, wäre das ein unüberschaubarer Aufwand. Deshalb hat man sich darauf geeinigt, die Tests an einer Zulassungsstelle zu bündeln. Bis heute ist das DLR die einzige Forschungseinrichtung in Deutschland, die solch einen Zulassungsprozess erfolgreich umsetzen kann.

Allerdings versuchen große Unternehmen mit ausreichenden Kapazitäten laut Bastian Rauch inzwischen das Prescreening bei sich selbst zu etablieren – und aus seiner Sicht ist das auch gut so. „Denkt man Technologietransfer zu Ende, ist das der nächste logische Schritt in der Entwicklung.“

Weg von fossilen Vorbildern

Treibstoff-Tanks
2018 arbeiteten die DLR-Forschenden bei der ECLIF-Kampagne zum ersten Mal mit einem selbst designten Treibstoff.
Credit:

DLR (bearbeitet)

Seit der allerersten Zulassung einer Fischer-Tropsch-Herstellungsroute im Jahr 2009 hat sich also viel getan. Das ist nicht zuletzt dem Prescreening zu verdanken. Anfangs, sagt Dr. Patrick Le Clercq, Abteilungsleiter am DLR-Institut für Verbrennungstechnik, habe man versucht, das Kerosin so genau wie möglich zu imitieren. Jeder neue Treibstoff musste sich am JET A1 messen lassen, dem verbreitetsten Turbinentreibstoff. Inzwischen denken sowohl Forschende als auch Herstellerfirmen viel freier – und die Vorstellung, wie ein Treibstoff auszusehen hat, orientiert sich zunehmend an den Herausforderungen der Zukunft statt am fossilen Vorbild aus der Vergangenheit.

Selbst designter Treibstoff
Der Treibstoff kam in der ECLIF-Kampagne zum Einsatz.

Dass sich das Prescreening-Verfahren auch kreativ nutzen lässt, zeigten die Forschenden aus Stuttgart in mehreren erfolgreichen ECLIF-Flugmesskampagnen. Bei diesen Testflügen, die seit 2015 durchgeführt werden, untersuchten sie mit den Kolleginnen und Kollegen des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre die Auswirkung synthetischer Treibstoffe auf das Klima. Dafür wurde 2018 beispielsweise Kerosin mit einem Treibstoff aus Speisefetten, einem sogenannten HEFA (Hydroprocessed Esters and Fatty Acids), in unterschiedlichen Zusammensetzungen gemischt. Der Treibstoff war damals erstmals nach den Vorstellungen der Stuttgarter Forschenden designt, mit reduziertem Aromatenanteil. Die Ergebnisse übertrafen ihre Erwartungen.

Nun will das Team um Patrick Le Clercq einen Treibstoff designen, der nahezu klimaneutral verbrennt. Uwe Bauder arbeitet gleichzeitig mit seinem Kollegen Andreas Meurer aus dem DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme daran, Treibstoffe und deren Herstellung als komplett digitalen Prozess zu entwerfen und zu optimieren. Patrick Le Clercq will im nächsten Schritt nicht nur den Treibstoff neu denken, sondern parallel dazu auch die Triebwerke. Von dieser Co-Optimierung zusammen mit Triebwerksherstellern verspricht er sich große Fortschritte.

Dr. Patrick Le Clercq und Dr. Uwe Bauder
Dr. Patrick Le Clercq (links), Leiter der Abteilung Mehrphasenströmung und Alternative Treibstoffe am DLR-Institut für Verbrennungstechnik und Dr. Uwe Bauder, Leiter der SimFuel-Entwicklung, im Gespräch.

Tatsächlich bieten die synthetischen Treibstoffe eine große Chance: Die Ergebnisse der Forschungsflüge im Rahmen der ECLIF-Flugkampagnen zeigten erstmals, dass durch die Reduktion der Aromaten weniger Rußemissionen und dadurch weniger Kondensstreifen entstehen. Diese Einsparung könnte sich auf bis zu 80 Prozent erhöhen – und weil die Nicht-CO2-Effekte den größten Teil der Klimawirkung der Luftfahrt ausmachen, wäre hier eine Reduktion besonders effektiv. Das gilt vor allem dann, wenn sie in den entscheidenden nächsten Jahren greift. Deshalb ist ein schneller Markthochlauf wichtig. Mit dem Aufbau der Technologieplattform Power-to-Liquid TPP leistet das DLR einen wichtigen Beitrag zur Einführung. Die Anlage wird im Chemiepark Leuna in Sachsen-Anhalt aufgebaut. Sie soll voraussichtlich ab Dezember 2026 im semi-industriellen Maßstab strombasierte Treibstoffe für Forschungszwecke produzieren und dabei den Weg für industrielle Herstellerfirmen bereiten. Gleichzeitig können Forschende dort in einem experimentellen Produktionszweig neue Ideen testen.

Wenn Patrick Le Clercq abends eine gute Flasche französischen Rotwein entkorkt, den Wein dekantiert und sich ein Glas einschenkt, dann denkt er nicht selten an die vielen offenen Fragen seiner Forschungsprojekte – und daran, dass in einem guten Treibstoff mindestens genauso viel Arbeit steckt wie in einem guten Wein.

Ein Beitrag von Anja Tröster aus dem DLRmagazin 173

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Anja Tröster

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