Für die Aerodynamiker ist ganz klar: Wie ein Flugzeug umströmt wird, ist entscheidend für den Treibstoffverbrauch. Denn: Mehr als die Hälfte des Luftwiderstands eines Flugzeugs ist reibungsbedingt. Es gilt also, die Reibung zu verringern und den Umschlag von einer laminaren – also reibungsarmen – in eine turbulente Strömung während des Flugs möglichst lange hinauszuzögern. Die Laminarforscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben jetzt einen weiteren großen Schritt in diesem Forschungszweig getan und erstmals ein neues System zur hybriden Laminarhaltung getestet.
Ein System wird immer „einfacher“
Bei einem Test im Niedergeschwindigkeitswindkanal DNW-LLF zeigte sich: Das vereinfachte, kammerlose Absaugsystem mit variabel poröser Außenhaut – hier in der Nase des A320-Leitwerks eingebaut - funktioniert genauso effizient, wie bisherige Kammer-Systeme. Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Hybridlaminarisierung, im Englischen „Hybrid Laminar Flow Control“ (HLFC), ist der Schlüssel zur Senkung des Energieverbrauchs von Flugzeugen, sind sich die Forscher im DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik sicher. Bei dieser Technologie werden Teile der umströmenden Luft durch winzige Löcher in der Oberfläche des Flugzeugs aktiv absaugt und so die Strömung dicht an der Oberfläche laminar gehalten. Die Entwicklung und Erforschung eines solchen Absaugsystems hat im DLR eine lange Geschichte: Bereits Ende der 90er Jahre wurde in Kooperation mit Airbus ein erstes Absaugsystem getestet. Das war aber noch sehr komplex und nicht wirtschaftlich. Ein „vereinfachtes“ System wurde entwickelt und konnte in den vergangenen Jahren im Rahmen unterschiedlicher Projekte erfolgreich im Windkanal (LuFo-Projekt VER²SUS) und 2018 sogar im Flugversuch (EU-Projekt AFLoNext) getestet werden. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Durch Absaugung an einem A320-Seitenleitwerk konnte die Strömung in diesem Bereich zur Hälfte laminar gehalten werden, wodurch sich deutliche Widerstandseinsparungen realisieren lassen. Für die Forscher Ansporn genug, auf dem Weg zur Serienreife eines solchen HLFC-Systems keinesfalls zu pausieren.
Sie machten weiter und konnten die Effizienz nochmals steigern: „Frühere Ansätze für ein Absaugsystem wiesen eine aufwändig gefertigte Kammerstruktur auf“, erklärt Thomas Kilian vom Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, verantwortlich für die aerodynamische Auslegung im Projekt VarPorHyL (Variable Porosität für Hybride Laminarhaltung). „Diese Kammern waren notwendig, um ein gewünschtes Absaugprofil an der Außenhaut zu erzeugen.“ Basierend auf den Erkenntnissen dieser Bauweise und mit Hilfe neuer Auslegungsmethoden ist es den Wissenschaftlern nun gelungen, auf diese „Kammerung“ zu verzichten - durch den Einsatz einer mikro-perforierten Außenhaut mit einer variablen Porosität. Die Perforation ist also lokal exakt an die aerodynamischen Anforderungen angepasst. Dazu kam ein Laserstrahl-Bohrverfahren zum Einsatz, welches speziell für diese Anwendung weiterentwickelt wurde.
„Damit kann die Fertigung der Absaugnasen deutlich vereinfacht und gleichzeitig viel besser für mechanische Belastungen optimiert werden“, erklärt Matthias Horn vom Stuttgarter DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie.
Materialmix schafft neue Möglichkeiten für industrielle Umsetzung
Winzige Löcher in der Außenhaut: Durch die Mikro-Perforation konnte auf eine darunterliegende komplexe „Kammerung“ verzichtet, das Absaugsystem dadurch maßgeblich vereinfacht und stabilisiert werden. Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Um das Potenzial dieser Vereinfachung bestmöglich zu nutzen, wird mit einem Materialmix gearbeitet. Die tragende Struktur besteht aus kohlefaserverstärkten Kunststoffen, während die Außenhaut aus Metall gefertigt wird. Damit lässt sich einerseits eine sehr leichte Bauweise realisieren, zugleich lässt sich mittels Laserbohren die Außenhaut präzise bearbeiten. Beides sind Schlüsseltechnologien, die für eine spätere industrielle Umsetzung von großer Bedeutung sind.
Im Rahmen des Projektes VarPorHyL haben die DLR-Institute für Aerodynamik und Strömungstechnik und Bauweisen und Strukturtechnologie in Zusammenarbeit mit dem Partner Airbus ein Segment einer Seitenleitwerksvorderkante in Originalgröße aerodynamisch sowie strukturell ausgelegt, optimiert und gefertigt.
Der für die Bewertung der neuen Bauweise essentielle Windkanalversuch unter repräsentativen Flugbedingungen im Niedergeschwindigkeitswindkanal DNW-LLF bewies: Die neuartige Bauweise funktioniert genauso effizient, wie bislang bekannte Technologien – mit allen zusätzlichen Vorteilen, denn „das Absaugsystem ohne Kammern kann viel kostengünstiger und effizienter gebaut werden“, erklärt Thomas Kilian. Zum Abschluss des dreijährigen Verbundprojekts im Rahmen des Luftfahrtforschungsprogramms (LuFo V) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im September 2019 haben die Wissenschaftler ein positives Resümee gezogen.
Weitere Projekte auf EU-Ebene laufen bereits, in der die neue kammerlose Bauweise mit variabler Porosität einen Schritt weiter, nämlich in der Anwendung erforscht und erprobt wird. „Vom Prototypenbau für den Windkanal geht es jetzt in großen Schritten in Richtung Serienfertigung“, schließt Kilian zufrieden.