Die Abteilung Turbine hat in den letzten Jahren die Fähigkeit zur Auslegung und Optimierung von Turbinen erlangt. Aus wenigen Angaben wie z.B. Drehzahl und Leistung kann eine Turbine vollständig ausgelegt und aerodynamisch validiert werden. Dieser Prozess ist in Abb. 1 vereinfacht dargestellt.
Das eindimensionale Turbinendesigntool ist ein DLR-eigenes Werkzeug, welches in der Abteilung Turbine entwickelt wurde um ganze Turbinen auslegen zu können. Anschließend wird die Geometrie immer weiter definiert und es können zweidimensionale Werkzeuge verwendet werden um eine schnelle Bewertung und auch Optimierung durchzuführen (Vorauslegung). Dazu stehen ein kommerzieller Code für die Profilumströmung (S1-Ebene) und zwei intern entwickelte Through-Flow-Codes für die Kanaldurchströmung (S2M-Ebene) zur Verfügung. Mit der resultierenden initialen dreidimensionalen Geometrie kann eine CFD-Rechnung und auch Optimierung mit dem DLR-eigenen Navier-Stokes-Codes TRACE durchgeführt werden (Detailauslegung).
Vorauslegung
Mit dem Jahr 2008 und dem Start des DLR-internen Projektes EVITA (Leitung AT-TWK) wurde bei AT-TUR damit begonnen ein Konzept für den allgemeinen Entwurf von Axialturbinen für jedweden Einsatzzweck in Forschung, Luftfahrt, Energie und Verkehr zu entwickeln. Zunächst wurde eine Abgrenzung der Entwurfstätigkeiten in zwei dominante Bereiche, den Vorentwurf und den Detailentwurf, vorgenommen. Dabei sollte der Vorentwurf alle Tätigkeiten und damit auch Computerprogramme fassen, welche im Rahmen des Konzeptes sinnvollerweise vor der Durchführung einer 3D Navier-Stokes CFD Rechnung stehen. Zu diesem Zweck wurden Vorgehensweisen und Computerprogramme entwickelt, angeschafft und verbessert/angepasst, welche folgend aufgelistet sind:
PrEDiCT: 1D (Quasi-2D) Turbinenvorauslegungsprogramm mit dem Ziel aus thermodynamischen Eingaben eine Annulus- sowie initiale Schaufelgeometrie zu liefern und diverse Möglichkeiten zur Variation von Designparametern bietet. Berücksichtigung von Kühlluftmassenströmen und mögliche Betrachtung von beliebig vielen Stufen in aufeinanderfolgenden beliebig vielen Turbinen => Allgemeingültigkeit!
GP³S: Graphical Predesign Program Processing Suite => Framework-Computerprogramm welches das Konfigurieren, das Aufrufen und auch die Ergebnisdarstellung der Programme im Vorentwurf ermöglicht => Benutzerschnittstelle mit Bedienhilfen. Im Moment für die Arbeit mit PrEDiCT spezifiziert; Ausbau auf betriebssystemunabhängige Kompatibilität mit allen anderen Vorentwurfswerkzeugen dauert an. Abbildung 2 zeigt stilisiert die Vision von der virtuellen Vorentwurfsumgebung GP³S, in der potentiell viele Turbinen zusammen betrachtet werden, die virtuell ausdesignte dreidimensionale Rotorbeschaufelung und schließlich das real gefertigte Bauteil nach Durchlaufen des Detailenwurfsprozesses (hier: Niederdruckturbinenstufe für Projekt TATT).
BLADEGENERATOR: Parametrisierung von Turbomaschinenschaufeln durch Spline-Kurven in zwei und drei Dimensionen mit der Möglichkeit zur gezielten, lokalen Formvariation. => Wird bereits im Vorentwurf verwendet und bildet die Schnittstelle zum Detailentwurf in 3D.
SLC4T: 2D Stromlinienkrümmungsprogramm zur Simulation der Annulusdurchströmung mit korrelationsbasierter Berücksichtigung der Beschaufelungsgeometrie. Einsatz direkt im Anschluss an 1D-Design möglich um genauere Zustandsänderungsverteilung zu erhalten, sowie das Off-Design-Verhalten im Rahmen von Kennfeldrechnungen zu simulieren. Im weiteren Verlauf des Entwurfes auch zur Optimierung der 2D-Annuluskontur und nach Kalibrierung mit 3D-CFD zu deutlich verlässlicheren Betriebspunktrechnungen verwendbar.
FEMT: 2D Finite-Element-Löser mit gleichem prinzipiellen Einsatzzweck wie SLC4T, im Vergleich jedoch mit nahezu komplementärer Verteilung der numerischen, diskretisierungsbedingten Schwächen => Programme ergänzen sich bei Abdeckung aller möglicher Turbinenberechnungen aus den Bereichen Energie und Luftfahrt.
MISES: 2D Blade-to-Blade Strömungslöser zur Simulation der Strömung in Turbinengittern (Profilumströmung) mit Grenzschichtberücksichtigung auf einer zweidimensionalen Ebene als Schnitt durch die Beschaufelung im ausgelegten Annulus. => Wird verwendet um initiale Schaufeln aus PrEDiCT mit BLADEGENERATOR-Parametrisierung zu detaillieren und korrekte Umlenkung/Beschleunigung über das Gitter zu garantieren. Kopplung mit Mehrziel-Optimierer im Entwurf möglich und üblich.
AutoOpti: Eigenständiger Optimierungscode mit genetischem Algorithmus und der Möglichkeit durch Einsatz von Metamodellen zu verbesserten Ergebnissen/Geschwindigkeit zu kommen. Einsatz im Bereich der Turbinen im Vorentwurf bei 2D Profilformoptimierung bzw. Gitterkanalgestaltung und bei Variation der 2D Annulusgeometrie.
Ein sofort offensichtlicher Vorteil durch die Etablierung einer Auslegungsprozesskette durch dezidierte Mitarbeiter ist die Möglichkeit im Forschungs- oder Drittauftrag Turbinen entwerfen zu können. Dies wurde im DLR-internen Projekt EVITA gezeigt und wird für die Forschung mit dem Projekt PEGASUS weiterentwickelt. Beim TPS Projekt mit dem DNW und NLR zusammen, konnte die Entwurfsfähigkeit direkt in ein Bauteil umgesetzt werden und gleichzeitig die Allgemeingültigkeit und Variabilität der Prozesskette unter Beweis gestellt werden (sehr spezielle Randbedingungen und abweichende Anforderungen im Vergleich zu z.B. Luftfahrtantrieben).
Detailauslegung
Die hauptsächlichen Werkzeuge für die Detailauslegung bestehen aus dem DLR-eigenen Navier-Stokes-Code TRACE und dem automatischen Optimierer AutoOpti. Im Bereich detaillierter Entwurf wurden die im Institut für Antriebstechnik vorhandenen Werkzeuge zur Erzeugung von parametrisierten dreidimensionalen Schaufeln auf die Anforderungen für Turbinen angepasst. Das wurde notwendig, da Turbinenschaufeln eine weitaus höhere Umlenkung realisieren und dafür eine starke Krümmung gerade im Bereich der saugseitigen Vorderkante haben als Verdichterschaufeln. Daher wurde eine Pseudo-Skelettlinie eingeführt, welche aus den Angaben Vorderkanten- und Hinterkantenwinkel erzeugt wird und von der die Kontrollpunkte der Splines für Saug- und Druckseite abgetragen werden. Resultierend daraus gibt es für die Splines bei Turbinenprofilen ein veränderliches Koordinatensystem, während dieses bei Verdichtern fest ist.
Zusammen mit den Abteilungen Fan und Verdichter sowie Numerische Methoden wurde ein Programm zur nicht-rotationssymmetrischen Endwandkonturierung gestaltet und in die Netzerzeugungssoftware soweit implementiert, dass die Verwendung mit den DLR-Standard-Werkzeugen zur Netzerzeugung möglich ist.
Zur Erreichung des Zieles der vollständigen, aerothermodynamischen und mechanischen Simulation von Turbinen ist es notwendig die Kühlung von Turbinenschaufeln zu berücksichtigen. Dafür befindet sich ein Programm im Aufbau welches die Kühlkanäle parametrisiert und generiert.
Herausragendes Beispiel für die parametrisierte Auslegung und automatisierte Optimierung ist die Anwendung bei der aerodynamischen Optimierung einer zweistufigen Hochdruckturbine. Hierbei wurde vom beteiligten Industriepartner eine Ausgangsgeometrie mit den notwendigen Randbedingungen und Restriktionen bereitgestellt. Im ersten Schritt wurde die gegebene, aus einer Punktwolke bestehende, Geometrie mit den parametrischen DLR-Werkzeugen angenähert. Das geschah bereits mit Hilfe von Optimierungsläufen. Nächster Schritt war die Berücksichtigung von wichtig erachteten Geometriedetails als Einzelfalllösung. Diese waren die Kavitäten zwischen stehenden und rotierenden Bauteilen, die Hinterkantenausblasung bei den Statoren, die Rundungen zwischen den Schaufeln und den Naben- und Gehäuseendwänden und ein Squealer auf dem ersten Rotor. Die Kavitäten waren feststehende Geometrien und wurden einmalig vernetzt. Für die Rundungen zwischen Schaufeln und konturierten Endwänden wurde in der Abteilung ein Programm geschrieben, welches diese als Kreissegmente ausführt. Dieses Programm wurde mittlerweile im Institut durch ein allgemeingültigeres ersetzt. Drittes Detail war die Hinterkantenausblasung bei den Statoren. Diese Ausblasung geschah durch einen Schlitz an der Hinterkante. Dadurch wurde der Engquerschnitt zwischen den Schaufeln beeinflusst. Berücksichtigt wurde das durch die Modifikation der Netzerzeugungssoftware. Ebenso in der Netzerzeugungssoftware wurde der Squealer des ersten Rotors berücksichtigt. Dieser kann die Spaltverluste verringern. Die Tiefe des Squealers konnte durch den Optimierer verändert werden. Somit wurden Kavitäten mit Kühllufteinblasung, nicht-achsensymmetrische Endwände mit Rundungen zu den Schaufeln, Hinterkantenschlitzausblasung, ein Squealer und Filmkühlung auf den Schaufeln in den CFD-Simulationen mit dem DLR-eigenen Navier-Stokes-Code TRACE berücksichtigt. Die aerodynamische Optimierung wurde in fünf Schritten vollzogen. Zuerst wurden wenige Parameter aller Schaufelreihen gleichzeitig freigegeben. Ziel davon war die Balance zwischen den zwei Stufen und den Schaufelreihen. Anschließend wurde viele Parameter einer Schaufelreihe inklusive anliegender Endwände freigeben. In vier Optimierungsläufen wurde so jede Schaufelreihe beginnend bei Stator 1 und endend bei Rotor 2 optimiert. Im Vergleich zur Ausgangsgeometrie konnte der Wirkungsgrad signifikant gesteigert werden. Das Optimierungsergebnis wurde vom Industriepartner mit dessen gleichzeitig optimierten Geometrie verglichen. Beide Geometrien lagen auf gleichem Niveau. Abbildung 4 zeigt den ersten Stator der von der Abteilung optimierten Hochdruckturbine.