Raumfahrt | 07. November 2018 | von Jörn Helbert

Erde an MERTIS - alles ok bei dir?

Quelle: DLR.
Alessandro Maturilli konfiguriert die letzten Details für die MERTIS Commissioning Sequenz

Am 13.11. ist es soweit - das MERTIS-Instrument auf der Merkursonde BepiColombo wird das erste Mal im Weltraum angeschaltet. Unser Team reist dafür nach Darmstadt, um das Anschalten im Raum PISA (PI Support Area) im ESOC, dem Europäischen Raumfahrt Kontrollzentrum, zu überwachen. Dort führen wir für zwei Tage das sogenannte Near-Earth Commissioning durch – die Inbetriebnahme im erdnahen Weltraum.##markend##

Warum reisen wir nach Darmstadt und warum dauert das zwei Tage? In jedem "guten" SciFi Film kann man sich mit seinem Tablett direkt auf einem Satelliten einloggen und entweder spricht der Satellit direkt mit einem oder man bekommt tolle Smileys aus denen man sofort erkennt was vor sich geht. Leider sieht die Realität (noch) anders aus. Niemand von uns kann direkt mit BepiColombo "reden". Stattdessen erstellen wir eine "Flight Operation Procedure": Das ist ein sehr detaillierter Schritt-für-Schritt-Plan, in dem steht was MERTIS wann machen soll und was das Ergebnis sein sollte. Für MERTIS hat Rainer Berlin vom DLR-Institut für Optische Sensorsysteme die erste Version davon erstellt, und seit einem Jahr hat Alessandro Maturilli, unser MERTIS Operations Manager, die Aufgabe übernommen und wird das nun bis zum Betrieb am Merkur machen. Während diese Pläne früher "von Hand" in langen Tabellen erstellt wurden, kann Alessandro dafür jetzt Webtools nutzen, welche die ESA bereitstellt. Allerdings sind alle diese Tools neue Entwicklungen für BepiColombo, das heißt wir sind gleichzeitig Nutzer und Software-Tester.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Die Sequenz für die Inbetriebnahme von MERTIS

Die Sequenz für die Inbetriebnahme besteht aus 17 einzelnen Schritten, und zu jedem Schritt gibt es wieder einen eigenen Plan. Die gesamte Elektronik und der kleine Bordcomputer in MERTIS sind in doppelter Ausführung vorhanden. Wir nennen das Redundanz und es soll sicherstellen, dass das Instrument auch beim Ausfall einer Komponente noch weiterarbeiten kann. Nicht nur MERTIS ist so aufgebaut, sondern BepiColombo insgesamt hat (fast) alle Komponenten in doppelter Ausführung. Wir sprechen typischerweise von der A- und B-Seite, wobei das keine Wertung ist. A ist einfach die Seite die zuerst dran ist. Die Inbetriebnahme machen wir natürlich mit beiden Seiten des Instruments. Damit teilen sich die 17 Schritte zwischen den beiden Seiten auf. Auf beiden Seiten lassen wir eine Selbstdiagnose laufen und nehmen dann Daten auf für alle unsere internen Kalibrationsquellen sowie einen Blick von MERTIS in den Weltraum.

Ganz wichtig: Am Ende der Sequenz ändern wir eine Voreinstellung von MERTIS. Zum Start hatten wir das Instrument so eingestellt, dass unser Drehspiegel in der Parkposition auf einen der internen Schwarzkörper schaut. Ein Schwarzkörper ist eine runde, sehr schwarze Scheibe, die praktisch kein Licht reflektiert, dafür aber Wärme fast perfekt abstrahlt und damit gewissermaßen die "Nullstelle" der Sensoren kalibriert. Wir haben das gemacht, damit wir beim Start keinen Schmutz auf unsere Optik bekommen. Aber jetzt ändern wir die Voreinstellung so, dass MERTIS, wenn es ausgeschaltet wird, den Spiegel immer in der Position parkt, in der wir den Planeten sehen können. Das ist wichtig, damit wir im unwahrscheinlichen Fall, dass der Motor am Drehspiegel ausfällt immer noch mit MERTIS beobachten können.

Was ist nun mit den Daten von der Inbetriebnahme? Kommt da wenigsten direkt der Smiley der sagt, dass alles ok ist? Kommen die Daten von MERTIS direkt auf unsere Computer? Nicht wirklich - die Daten für MERTIS (und alle anderen Instrument auf BepiColombo) nehmen einen langen Weg mit vielen Zwischenstationen. Auch hier wird bei BepiColombo ein neuer Ansatz getestet, welcher dann der Standard für zukünftige ESA Missionen (wie zum Beispiel ab 2022 die Jupitermission JUICE) werden wird.

Die Daten von BepiColombo werden vom Netz von Bodenstationen der ESA empfangen und zum ESA Kontrollzentrum in Darmstadt geschickt. Von dort werden sie während der Inbetriebnahme der Instrumente direkt an die Instrumenten-Teams verteilt und gleichzeitig zum BepiColombo Science Ground Segment der ESA in Madrid gesendet. Wenn wir am Merkur angekommen sind, bekommen die Teams ihre Daten immer über Madrid.

Zur Prozessierung der Daten hat unser MERTIS Data Manager Mario D’Amore über die letzten Jahre Software-Pipelines entwickelt. Die Prozessierung erfolgt dabei in zwei Schritten. Der erste Schritt heißt "Telemetrie-zu-Roh" (TM2RAW). BepiColombo schickt die Daten stark komprimiert in einem Strom von Bits. Dabei werden Bits gespart wo es nur geht, um die begrenzte Übertragungskapazität optimal zu nutzen. Im ersten Schritt wird dieser Strom von Bits entpackt und in ein lesbares Format übersetzt. In einem zweiten Schritt ("Roh-zu-Kalibration", RAW2CALIB) werden die Daten dann kalibriert - das heißt geeicht und in echte physikalische Einheiten übersetzt. Dabei nutzen wir die Kalibrationsdaten, die wir in unseren Laboren während der MERTIS Entwicklung aufgenommen haben. Auch für die Pipelines gilt wieder das Redundanz-Prinzip. Eine Version der Pipeline läuft hier bei uns am DLR und eine exakte Kopie läuft bei der ESA in Madrid. Solange bei uns alles funktioniert hat unsere Pipeline Vorrang, aber sollten wir Probleme haben, kann die ESA Pipeline übernehmen.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Die MERTIS Server in Berlin - auch hier gilt ‚doppelt hilft besser‘, in dem Fall sogar vierfach denn an der Universität in Münster steht eine weitere Kopie der MERTIS Server

Die prozessierten Daten werden dann sowohl bei der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster wo der PI (Principal Investigator) sitzt, als auch bei uns am DLR archiviert. Das MERTIS Team kann sich die Daten dann von den Servern holen und damit Wissenschaft machen. Sie legen dann ihre abgeleiteten Daten wieder auf die MERTIS Server. In regelmäßigen Intervallen liefern wir die Daten an die ESA aus und nach einer Schutzfrist stehen sie dort der gesamten wissenschaftlichen Welt zur Verfügung.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Der lange Weg der MERTIS Daten von BepiColombo zum Wissenschafts-Team

Bis das Wissenschaftsteam wirklich mit den Daten arbeiten kann dauert es aber noch ein wenig. Dafür müssen wir MERTIS erst mal erfolgreich in Betrieb genommen haben. Auch wenn MERTIS im Moment ausgeschaltet ist liefert uns BepiColombo Daten über die Umgebung des Instrumentes. So wissen wir, dass derzeit die Temperatur am Anschraubpunkt von MERTIS -9,5°C beträgt. Da MERTIS im ausgeschalteten Zustand für Temperaturen von -30°C bis +50°C ausgelegt ist, liegt also alles im "grünen Bereich".

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Am Anschraubpunkt von MERTIS haben wir derzeit eine Temperatur von ca. -9.5°C

Im eingeschalteten Zustand muss der Anschraubpunkt zwischen -20°C und +40°C liegen. Theoretisch könnten wir also jetzt schon anschalten. Aber wir müssen uns noch ein wenig gedulden. In unserem nächsten Blogeintrag werden wir berichten, wie die Inbetriebnahme gelaufen ist.

 

 

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Über den Autor

Jörn Helbert hat an der Technischen Universität in Braunschweig Physik studiert. Den größten Teil seiner Diplomarbeit fertigte er am Imperial College in London an, wo er auch an der ursprünglichen ESA-Cluster-Mission gearbeitet hat. Mit dem Verlust der Mission beim Start lernte er direkt die Risiken von Weltraummissionen kennen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, weiterhin auf diesem Gebiet zu bleiben. Er ging zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und wurde über die Chemie in der Koma des Kometen Hale-Bopp an der Freien Universität Berlin promoviert. zur Autorenseite

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