Raumfahrt | 03. Dezember 2021 | von GSOC-Team

Lautlos im Weltall – zumindest außerhalb der ISS...

Quelle: ESA/NASA-T. Pesquet
Die ISS, aufgenommen am 8. November 2021 von Thomas Pesquet aus der Dragon-Kapsel Endeavour kurz nach dem Undocking von der Raumstation.

Für Dramaturgen in der Filmindustrie ist der Weltraum wirklich ein enttäuschendes Terrain: Wo es im "irdischen Blockbuster" richtig knallen und explodieren darf und die Dolby-Digital-Anlagen zu Höchstleistungen gebracht werden können, da ist es im Weltall trotz aller Zusammenstöße, Detonationen und Spannungshöhepunkten zunächst einmal einfach still, und die Filmmusik muss die "Atmo" bringen, die den Kinogänger mitnimmt. Im Vakuum des Alls kann sich kein Schall fortpflanzen, denn wo keine beweglichen Luftteilchen, da kein Ton.##markend##

Innerhalb der Internationalen Raumstation ISS schaut es natürlich wieder ein bisschen anders aus: Da gibt es eine Vielzahl an Aggregaten, Pumpen, Experimenten und Ventilatoren, die ständig laufen und eine kontinuierliche Geräuschkulisse für die Astronauten erzeugen. Das Ganze wird als ernstzunehmendes Problem angesehen: Es wurde bereits versucht, den Lärmpegel über akustische Isolierungen in den Griff zu bekommen, weiterhin machen die Astronauten des Öfteren Gebrauch von Ohrstöpseln.

Um die Einflüsse des Lärms, aber auch der Schwerelosigkeit auf den Gehörsinn näher zu untersuchen, hatte Matthias Maurer heute das Experiment "Acoustic Diagnostics" auf seinem Stundenplan. In diesem Versuch werden in den Ohren "Geräusche" gemessen, die sie selber erzeugen! Aus der Schule weiß man meistens noch, dass im Innenohr mechanische Schwingungen über Haarzellen in Nervensignale umgewandelt werden, die unser Gehirn dann als "Geräusch von außen" interpretiert. Diese Haarzellen können aber umgekehrt auch mechanische Schwingungen erzeugen - je besser das Hörvermögen, desto besser funktioniert diese Umwandlung.

Diese Schwingungen unterstützen zum einen über einen Rückkopplungseffekt das Hören, zum anderen induzieren sie aber eben im Gehörgang auch sogenannte "otoakustische Emissionen" - das Ohr "tönt" also, wenn man so will, wenn es gesund ist. Die Messung der "Ohrtöne" kann also verwendet werden, um das Hörvermögen zu beurteilen. Und genau dieses soll Matthias zu verschiedenen Zeitpunkten während seiner Mission messen - heute das erste Mal.

Wir hatten das Experiment für ihn ursprünglich bereits letzte Woche auf die Timeline gesetzt. Dann jedoch dauerte der Aufbau des Experiments an Bord länger als wir es geplant hatten, sodass wir die eigentliche Durchführung verschieben mussten. So etwas kommt immer wieder vor - überlegen Sie selbst, ob Sie es sich zutrauen, auf die Minute genau vorherzusagen, wie lange Sie beispielsweise mit dem Basteln eines Weihnachtsgeschenks brauchen, wenn Sie dafür einen bestimmten Schraubenzieher aus dem Keller benötigen, den Kleber, den ein Familienmitglied gestern noch ausgiebig benutzt hat, und ein paar AAA-Akkus (gestern waren die Kinder stundenlang mit batteriebetriebenen Funkgeräten draußen…)?

In solchen Fällen schlägt dann unsere große Stunde: Noch während der Astronaut oder die Astronautin mit unserer Unterstützung das Experiment weiter aufbaut, koordinieren wir mit den anderen internationalen Partnern der ISS, ob und wieviel zeitlich "überzogen" werden darf, planen im Hintergrund auch schon mal den restlichen Tag entsprechend um oder legen die Stelle in der Prozedur fest, an dem für heute abgebrochen werden muss, um zum Beispiel dann unverzüglich einen dringenden japanischen Versuch oder eine Pressekonferenz zu unterstützen.

Sobald wir "unseren Astronauten" dann "abgegeben" haben, fangen wir an, einen neuen Zeitslot für die Fortsetzung zu suchen, das vielleicht bestehende Problem zu analysieren und zu beheben, und die Auswirkung der Umplanung auf das Experiment selbst oder andere Tätigkeiten zu untersuchen - womöglich wollten wir die Steckdose, an der das halb aufgebaute Experiment jetzt hängt, in Kürze noch für etwas anderes nutzen, oder der Schraubenzieher wird in Kürze durch seinen amerikanischen Kollegen gesucht...

Heute aber ist alles glatt gelaufen, das Experiment ist "im Kasten", wir haben die Daten heruntergeladen und in ein paar Stunden wird Matthias - wie von uns geplant - die letzten Teile des Experiments wieder abbauen und verstauen. Am Wochenende wird er sich dann ausgiebig erholen können - vielleicht Zeit für einen "lauten" Weltraum-Blockbuster mit viel Bäääng und Buuuummmm?

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