Sicherheit | 08. Dezember 2011

20 Jahre GARS O'Higgins: Zwei Wochen Chile in besonderer Erinnerung

20 Jahre GARS O'Higgins
20 Jahre GARS O'Higgins

Chile ist stark bedroht von Erdbeben. Nicht selten entwickeln sich auch hier verheerende Tsunamis, so wie zuletzt im Jahr 2010. Erneut waren Menschenleben zu beklagen. Große Schäden an der Infrastruktur waren die Folge. Wie in Indonesien sind die Laufzeiten von Tsunamis vom Zeitpunkt des Seebebens bis zum Erreichen der Küste unter Umständen denkbar kurz und somit schwer rechtzeitig vorherzusagen.

Zu Beginn einer zweiwöchigen Reise nach Chile ging es in Santiago zunächst darum, zukünftige Projekte in diesem Kontext auszuloten. Wir wollen zusammen mit chilenischen Partnern die wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten im Bereich der Frühwarnung bei Naturkatastrophen ausbauen. Unser GITEWS Entscheidungsunterstützungssystem (DSS), das aus den einlaufenden Messungen und einer vorab erstellten Simulations-Datenbank innerhalb weniger Minuten ein aktuelles Lagebild der Situation erstellt, könnte der in Chile zuständigen Einrichtung SHOA helfen, die Tsunami-Warnung effektiver zu gestalten. Grundsätzlich geht es jedoch um die Erfassung und Beurteilung aller grundsätzlich denkbaren Gefahrenlagen im Sinne eines "Multi-Naturgefahren Informations- und Frühwarnsystems" und eventueller Kaskaden, die sich zu Katastrophen wie in Japan ausweiten könnten.

Vulkanausbrüche drohen dem Andenstaat quasi permanent, mit teils erheblichen Folgen für die direkt vor Ort betroffenen Menschen und aus ökonomischer Sicht v. a. für die Luftfahrt. Als Folge von ausbleibenden Niederschlägen entstehen Waldbrände oder umgekehrt nach Starkregen Hangrutschungen und Überflutungen. Nach Erdbeben gilt es, durch vorab erstellte Risiko- und Vulnerabilitätsmodellierungen effektive Evakuierungsszenarios zu aktivieren. So kann schnell geholfen werden, wenn es auf jede Minute ankommt. Wichtig ist dabei nicht nur die Frühwarnung, sondern auch ein nachhaltiges Monitoring von geodynamischen und umweltbezogenen Parametern durch die Erdbeobachtung und andere Quellen.

Genau auf diesem Gebiet wollen wir mit Chile kooperieren. Gemeinsam können wir die Forschung vorantreiben, die am Ende in effektive Informationssysteme mündet und so den Menschen dient. Die Gespräche mit den zuständigen Behörden ONEMI (nationaler Zivilschutz) und der SHOA (militärhydrographischer Dienst) waren geprägt von Vertrauen und Kooperationsbereitschaft. In den nächsten Wochen werden wir einen Projektvorschlag ausarbeiten und hoffentlich schon 2012 mit der Arbeit beginnen können. Besonders geholfen hat uns die Deutsche Botschaft vor Ort mit der Wirtschaftsdienstleiterin Frau Ingrid Jung, die uns vor und während der Delegationsreise mehr als unterstützte.


Gespräche der DLR-Delegation mit Vertretern der chilenischen SHOA in der deutschen Botschaft in Santiago am 10. November 2011. Bild: DLR.

Zweiter Anlass meiner Reise war das 20-jährige Jubiläum unserer Antarktis-Bodenstation GARS O’Higgins. Es ist kaum zu glauben, dass schon 20 Jahren vergangen sind, seit das DFD die Station auf der Spitze der antarktischen Halbinsel errichtete, um die Daten der europäischen ERS-Satelliten aufzuzeichnen. Mit Hilfe der Radardaten wurden so über zwei Jahrzehnte historische Dokumente der Veränderung der antarktischen Halbinsel und des Ronne-Eisschelfs gesammelt. Mit den DLR Missionen TerraSAR-X und TanDEM-X wird dies auch seit einigen Jahren fortgesetzt.

Parallel zu unserer Aufgabe als Nutzlastbodensegment für die Erdbeobachtung sind die Kollegen vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) Partner vor Ort. Das BKG nutzt GARS als Radioteleskop, um Fixsterne und Quasare zu beobachten. Da die Station Teil eines weltweiten Netzes von Radioteleskopen ist, kann mit Hilfe der Interferometrie mit langen Basislinien (VLBI) die Plattentektonik gemessen werden. Die speziellen Anforderungen an VLBI hatten zwei gravierende Konsequenzen zur Folge: Erstens musste die Station auf dem antarktischen Kontinentalsockel platziert werden. Deswegen konnte die eigentlich leichter zu erreichende Base Rudolfo Frei auf King George Island nicht als Standort genutzt werden. Zweitens durfte kein Radom die Station vor hohen Windlasten, Schnee und Regen schützen, da es die VLBI-Messungen zu stark in ihrer Qualität beeinflusst hätte.

Um die Station dennoch mit Geschwindigkeiten von bis zu 160 km/h betreiben zu können, wurde sie zu einer weltweit einmaligen Einzelanfertigung. Ein in der Mitte geteiltes Kugelgelenk erlaubt eine zweiachsige schnelle Über-Kopf-Drehung der Station bei der Verfolgung eines Satellitensignals auch bei hohen Elevationen. Gleichzeitig ist hohe Stabilität gegeben, weil die Windlasten aufgrund der Geometrie der Antenne relativ gering sind. Denn es kommt nicht selten vor, dass sogenannte katabatische Winde mit Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h vom antarktischen Inland über die Halbinsel wehen.


Zu dem Sysmposium anlässlich des Jubiläums der Antarktis-Bodenstation GARS O’Higgins in Punta Arenas kamen Wissenschaftler aus aller Welt. Bild: DLR.

Das 20-jährige Jubiläum

Mehr als 80 Wissenschaftler aus neun Ländern folgten unserer Einladung nach Punta Arenas, wo wir ein 3,5-tägiges wissenschaftliches Symposium organisiert hatten. Wir waren mehr als beeindruckt von der Stellung, die unsere Bodenstation und die Arbeit unserer Ingenieure vor Ort weltweit genießt und wie viele bahnbrechende Publikationen mit Hilfe der Daten unserer Station bisher erstellt wurden. Es war mir und meinen DLR-Kollegen manchmal sogar etwas unangenehm, so gelobt zu werden.

Schnell wurde sichtbar, dass unsere Station ein in der Region stark beachtetes Engagement Deutschlands in der Antarktis darstellt. Das nimmt man in Deutschland - weit weg und allzu oft im Tagesgeschäft gefangen - nicht so deutlich wahr. Umso wichtiger ist es für das DFD, unsere Station inhaltlich weiterzuentwickeln und auch technisch wieder auf den allerneusten Stand zu bringen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Denn trotz aller technischen Verbesserungen, die wir regelmäßig vornehmen: 20 Jahre hinterlassen Spuren.

Uns schwebt zum Beispiel vor, die Station auch mit Fähigkeiten zur Nahe-Echtzeit-Datenverarbeitung von TerraSAR-X und TanDEM-X aufzurüsten und auch für die kommenden Sentinels der ESA fit zu machen. So könnten wir einen wichtigen Beitrag für ein kontinuierliches Monitoring der Gewässer rund um die antarktische Halbinsel leisten und Schiffen wichtige Informationen zum Meereis und zu Eisbergen in der notwendigen Schnelligkeit liefern. Das Thema "Maritime Sicherheit" ist also momentan nicht nur in Europa in aller Munde.

Den wenigsten - auch im DLR - ist indes klar, was es eigentlich heißt, eine Bodenstation in der Antarktis zu betreiben. Ein DFD-Team von insgesamt circa acht Personen ist im Zwei-Mann-Schichtbetrieb vor Ort tätig. Momentan, bei ganzjährigem Stationsbetrieb wegen TanDEM-X, wechseln wir die Crews typischerweise alle sechs bis acht Wochen. Aber dann muss alles passen. Viele Unwägbarkeiten gilt es zu bedenken: Fliegt uns die FACh (die chilenisch Luftwaffe) von Punta Arenas nach Base Rudolfo Frei, ist dies nur der erste Schritt. Denn dann geht es entweder mit einem Helikopter oder einer Twin Otter - die mit Kufen ausgerüstet auf dem der Station vorgelagerten Gletscher landet - weiter nach GARS O’ Higgins. Letzte Option ist ein Schiff der Marine.


Leben zwischen Pinguinen: Die Antarktis-Bodenstation GARS O'Higgins feiert ihr 20jähriges Jubiläum. Bild: DLR.

Aber viel hängt trotz High-Tech-Navigation und moderner Meteorologie vom Zufall und allerlei Rahmenbedingungen ab. Während ich dies schreibe, waren zum Beispiel zwei DFD-Kollegen seit Anfang August 2011 vor Ort und sind erst heute wieder zu Hause angekommen. Ein tragischer Unfall eines Militärflugzeugs mit zu Tode gekommenen Zivilisten an Bord hatte in Chile zu intensiven Diskussionen geführt: Dürfen wir als Zivilisten und Wissenschaftler auch in Zukunft mit der FACh einfliegen? Wir sind gerade dabei, diese Fragen grundsätzlich zu lösen.

Meine Kollegen wurden jetzt abgelöst von unserem Stationsmanager und einem weiteren Kollegen, die beide zusammen Weihnachten und Neujahr vor Ort verbringen werden. Bedenkt man, dass es keinen Koch, keine Putzfrau, keinen Arzt und auch sonst nichts außer faszinierender Natur dort unten gibt, wird klar, mit welchem Idealismus unsere Mitarbeiter im DLR am Werke sind. Das DLR ist auch hier am wirklichen "Frontend" des Möglichen.

Ich persönlich hoffe außerdem, dass ich vielleicht schon im nächsten Jahr - nachdem ich es 1993 nur bis Base Rudolfo Frei geschafft hatte und es auch dieses Jahr wegen der Umstände nicht möglich war, nach GARS O’Higgins zu reisen - noch den "letzten Sprung" zu unserer Station schaffen werde, um eine unserer Crews persönlich vor Ort zu besuchen und unsere Station auch vor Ort zu bewundern.

Abseits all dessen bleiben unvergessliche Eindrücke von einer unvergleichlichen Landschaft in Patagonien und den freundlichen Menschen und Kooperationspartnern, die längst zu Freunden geworden sind.

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