Raumfahrt | 13. November 2018 | von Ernst Hauber

Antarktisexpedition GANOVEX 13: Polygone, Gletscher und jede Menge Wind - Teil 4

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Ein "Marsianer" am Black Ridge.

7. November 2018: Unser Ziel heute ist die Black Ridge, ein dunkler Felssporn, der sich einige hundert Meter hoch über dem Priestley-Gletscher erhebt. Hier hat Jean-Pierre schon vor neun Jahren während der GANOVEX 10-Expedition gearbeitet und möchte Proben nehmen. Ich bin ebenfalls an der Lokalität interessiert, ist doch jedes auch nur einigermaßen flache Geländestück hier von Frostmusterböden geprägt. Wir fliegen um 9:30 Uhr los und erreichen nach wenigen Minuten ein etwa 25 Kilometer entferntes flaches Gletschertal. Es befindet sich auf dem nordöstlichen Ausläufer der Black Ridge in einer Höhe von circa 1400 Metern. Als wir den Helikopter verlassen, bläst uns starker Wind ins Gesicht. Das kommt nicht ganz überraschend, denn diese Stelle liegt genau in der Verlängerung des Priestley-Gletschers, an der dieser einen Knick hat - die katabatischen Winde, die den Gletscher fast permanent herabwehen, treffen also direkt auf die Black Ridge. Zum Glück liegt die Stelle, die sich für unsere Untersuchungen am besten eignet, in einer kleinen Senke, die wenigstens halbwegs vom Wind geschützt ist. Zwar ist es in den letzten Tagen mit fortschreitender Jahreszeit kontinuierlich wärmer geworden, und an der Gondwana-Station in Meereshöhe hatten wir sehr "milde" minus zehn Grad, doch hier in 1400 Metern Höhe zeigt das Thermometer des Helikopters minus 19 Grad Celsius an. Wenn dazu noch starker Wind kommt, wird das Arbeiten schnell unangenehm.##markend##

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Flug zur Black Ridge - Blick aus dem Helikopter.

Wir haben uns eine Spalte ausgesucht, die zwischen zwei Polygonen des Frostmusterbodens liegt. Quer zu dieser Spalte möchten wir einen Graben ausheben, um festzustellen, ob es sich bei den Polygonen um Eiskeilpolygone (ice-wedge polygons) handelt, die im jährlichen Zyklus von Gefrier- und Tauprozessen entstehen. Auch auf dem Mars gibt es relativ junge Polygonböden, und eine Hypothese lautet, dass sie auf die gleiche Art und Weise entstanden sind. Wenn das stimmte, wären diese Muster also ein weiterer Hinweis auf flüssiges Wasser in der jüngeren Marsvergangenheit. Allerdings entstehen Polygone in der Natur auf vielerlei Art, etwa durch Austrocknung von feuchtem Sediment (jeder kennt die netzartigen Risse, die beim Austrocknen von Pfützen oder Stauseen im Schlamm entstehen). Der zugrundeliegende Vorgang ist der gleiche: Sowohl durch Abkühlung als auch durch Austrocknung verringert sich das Volumen, was durch die Bildung von Dehnungsrissen ausgeglichen wird. In Satellitenbildern können sich die verschiedenen Polygone allerdings zum Verwechseln ähnlich sehen - ein schönes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Prozesse zu morphologisch sehr ähnlichen Ergebnissen führen können. Bei der Interpretation ist also Vorsicht geboten: eine morphologische Analogie kann niemals ein Beweis sein. Sie hilft lediglich, das allerdings sehr effektiv, bei der Aufstellung einer Hypothese, die dann auf anderem Wege getestet werden muss.

Unser Graben soll also zunächst dazu dienen, nach einem Eiskeil zu suchen. Im Fall von Eiskeilpolygonen müsste dieser nämlich unterirdisch parallel zu den oberflächlich sichtbaren Spalten zwischen den Polygonen verlaufen. Das Graben gestaltet sich wieder extrem mühsam, denn dem fest verbackenen Boden ist selbst mit einer Spitzhacke nur schwer beizukommen. Dennoch stoßen wir nach harter Arbeit, an der sich auch Raquelle unermüdlich beteiligt, in einer Tiefe von etwa 20 Zentimetern auf reines Eis. Doch anders als ich erwartet hatte, ist es nicht auf den Bereich der Spalte selbst beschränkt. Wir finden es stattdessen auf der gesamten Breite des Grabens (etwa 1,5 Meter). Wenn es zu einem Eiskeil gehört, müsste dieser also mindestens eineinhalb Meter breit sein - viel breiter, als es die Literatur für diese Region angibt. Ich vermute, dass es sich bei dem Eis um ein Relikt der letzten Vergletscherung handelt, das von einer Schicht aus Gesteinspartikeln verschiedenster Größe überlagert wird. Eine ähnliche Situation hatten wir vor drei Jahren in den Helliwell Hills vorgefunden, wo wir ebenfalls überall unter den Polygonen auf Eis stießen, nicht nur unter den Polygongrenzen.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Eis aus dem Untergrund.

Tiefer als bis zum Eis können und wollen wir nicht graben, und damit wird es Zeit für Jean-Pierre, seine Proben zu nehmen. In verschiedenen Tiefen bohrt er mit hohlen Eisschrauben horizontal in den Boden. Wenn er die Schrauben herauszieht, hat er in dem Hohlraum quasi einen Bohrkern mit der Probe, die er dann in Plastikfläschchen füllt. Als auch diese Arbeit erledigt ist, die wegen der Härte des Bodens ebenfalls recht anstrengend ist, muss nur der Graben wieder verfüllt werden. Danach sind wir bereit zum Heimflug. Den nutzen wir, um nochmals in geringer Höhe über die tags zuvor installierten Kameras zu fliegen. Raquelle und Hamish möchten sich die Stelle genau einprägen, um sie in einigen Wochen leichter wiederzufinden. Tatsächlich gelingt es uns schnell, die beiden Kameras auf dem Moränengelände zu finden. Es sollte den beiden hoffentlich leichtfallen, sie am Ende von GANOVEX 13 abzubauen und mir dann wieder zukommen zu lassen.  

Quelle: ESA/DLR/FU Berlin, CC BY-SA 3.0 IGO
Ein Netzwerk riesiger Brüche bedeckt das verschüttete Einschlagsbecken Utopia Planitia auf dem Mars. Diese als "Polygone" bezeichneten Oberflächenstrukturen lassen darauf schließen, dass hier einst ein Ozean existierte. Die Aufnahme stammt von der vom DLR betriebenen, hochauflösenden Stereokamera HRSC an Bord der europäischen Mars Express-Sonde.

8. November 2018

Heute soll ein weiterer Versuch gemacht werden, die Geophysik-Gruppe der Expedition in ihr Außenlager zu bringen. Gestern verhinderten die Wetterbedingungen einen Flug in die Gegend des Mariner-Gletschers etwa 250 Kilometer im Norden der Gondwana-Station. Sollte es diesmal möglich sein, würden beide Helikopter gebraucht. Zuerst will der Chefpilot Lee aufsteigen und die Sicht prüfen und in der Mario-Zucchelli-Station (MZS) auftanken. Sollte es ein "Go" für den Mariner-Gletscher geben, würden beide auch die rote Plastikkugel (Durchmesser etwa 2,5 Meter, Spitzname "Tomate") an einer Schlinge unter dem Hubschrauber befestigt mitnehmen, in der die Bewohner des Camps kochen werden. Ich bin an einer ausgedehnten Eiskernmoräne in der Nähe von MZS interessiert, weswegen ich kurzentschlossen mit Raquelle mitfliege und mich mit ihr direkt dort absetzen lasse. Wir wollen die wenigen Kilometer nach MZS zu Fuß zurücklaufen. Sollte Lee dann inzwischen tatsächlich mit Toni und der Tomate zum Mariner-Camp geflogen sein, würden Raquelle und ich uns mit dem Schneemobil abholen lassen - es sind ja nur fünf Kilometer von der Gondwana-Station über das Meereis. Das wäre bei starkem Wind zwar kein reines Vergnügen, aber wir waren ja dick angezogen. Wir machen aus, dass wir gegen 17:30 Uhr wieder in MZS sein werden und uns per Funk bei Lee melden. Jean-Pierre bleibt in der Gondwana-Station, weil diese Moräne zu nah an der Küste und MZS ist, um als räumlich isoliertes Habitat zu gelten. Zudem ist diese Moräne als Standort für ein zukünftiges Flugfeld ausersehen und bereits teilweise planiert - kein ideales Umfeld, um Proben zu sammeln.

Wir steigen also von Gondwana auf und fliegen zunächst fünf Minuten nach Norden, um die Sicht zu prüfen. Es sieht eher schlecht aus - in der Distanz ist nichts zu erkennen. Bei guten Verhältnissen wäre die Coulman Insel zu erkennen, die etwa in Höhe des Mariner-Gletschers knapp vor der Küste liegt. Lee ist pessimistisch, hofft aber auf eine Verbesserung der Verhältnisse später am Tag. Wir kehren um und fliegen über MZS hinweg weiter nach Süden. Lee setzt uns an einer Stelle ab, die ich vorher in einer geomorphologischen Karte der Moräne des "Boulder Clay" genannten Gletschers ausgesucht hatte. Ich hatte sie in einem Artikel gefunden, der von Teilnehmern der GANOVEX 4-Expedition im Winter 1984/1985 verfasst wurde - auch über 30 Jahre alte Publikationen enthalten wertvolle Informationen. Besonders spannend fand ich die Erwähnung eines Hügels am Moränenrand, der aus Mirabilit besteht, einem Salz, das auch auf dem Mars bereits gefunden wurde. Jetzt mussten wir den Hügel nur noch finden. Das schien zunächst gar nicht so einfach, denn es lag ziemlich viel Schnee und Salz ist weiß, keine gute Voraussetzung für eine schnelle Suche! Raquelle und ich beschlossen also, in einer gewissen Entfernung zueinander parallel zum Rand der Moräne entlang zu laufen, um den Suchbereich zu vergrößern. Aber schon nach wenigen hundert Metern winkte Raquelle in Richtung einer etwa zwei Meter hohen Erhebung. Ihre Augen sind viel besser als meine und sie hatte bemerkt, dass der oberste Bereich dieses Hügels aus weißem Material bestand. Und tatsächlich - wir hatten die Stelle gefunden! Der Landeplatz war also gut gewählt gewesen. Das Salz war absolut schneeweiß und hatte sich in großen Brocken an der Spitze des Hügels kristallisiert, ein Hinweis auf die Nähe des Meeres, das nur wenige Kilometer entfernt und etwa 300 Meter tiefer lag. Ich füllte zwei kleine Sammelröhrchen mit lose herumliegenden Salzpartikeln, an denen meist auch noch kleine Gesteinskörner festgebacken waren.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Salzblöcke im Schnee.

Dann liefen wir weiter nach Norden in Richtung MZS. Wir wollten auf die im Bau befindliche Landebahn, um von dort die Piste zu nehmen, auf der die Baufahrzeuge von MZS zur Baustelle gelangen. Bald fanden wir die Bahn, die verlassen im starken Wind lag. Uns war schon vorher klar gewesen, dass es um diese Jahreszeit noch keine Bautätigkeit geben konnte. Irgendwann sollen hier auch große Jets landen können und den Flugbetrieb nach und von MZS damit unabhängig von der Eissituation zu machen. Der Bau einer derartigen Landepiste auf einer Moräne, unter der nach wie vor Gletschereis liegt, ist eine große technische Herausforderung und bedarf umfangreicher Vorarbeiten. Unter anderem muss nachgewiesen werden, dass sich die Eingriffe in die Umwelt sowie die Auswirkungen auf Pflanzen (soweit vorhanden…) und Tiere in Grenzen halten. Auch die glaziologischen Befunde sind extrem wichtig, denn wenn sich die Piste aufgrund von Eisverlust im Untergrund senkt, wären aufwendige Ausgleichsmaßnahmen nötig.

Wir gingen weiter auf der Piste, auf der wir irgendwann einen einsamen Bagger passierten, der gerade die Piste vom Schnee befreite. Wir grüßten den Fahrer - er schien sich nicht weiter zu wundern, woher plötzlich zwei Fremde zu Fuß kamen - und eilten weiter Richtung MZS, denn die Zeit war doch schon recht vorangeschritten. In unseren dicken Anzügen waren wir auf der Moräne bestens vor dem Wind geschützt gewesen, aber für schnelles Gehen sind sie nicht geeignet. Besonders Raquelle, die sich in zahlreiche Lagen wärmender Kleidung gehüllt hatte, musste nach und nach immer mehr Jacken ausziehen und in den Rucksack stopfen. Auch mich brachte der anstrengende Marsch langsam ins Schwitzen. Diesen Teil des Weges kannte ich übrigens gut, da wir ihn bei unserem Aufenthalt auf der MZS während der GANOVEX 11-Expedition bereits mehrfach gegangen und befahren hatten. Raquelle hatte Probleme mit ihrem Funkgerät, weswegen wir Lee nicht erreichen konnten. Wir beeilten uns also, denn wir wollten vermeiden, dass Lee nach uns suchte. Endlich waren wir dann doch in MZS, gerade noch rechtzeitig. Lee wollte bereits den Motor starten und die Piste entlang fliegen, um uns aufzusammeln. Er und Toni waren also auch heute nicht zum Mariner-Gletscher gekommen - wieder einmal hatte das Wetter nicht mitgespielt. Alle vier flogen wir wieder zur Gondwana-Station.

Zum Abschluss des Tages gab es einen Höhepunkt des Lagerlebens: Die Movie-Night mit Popcorn. Der Film hätte nicht besser gewählt sein können: "Der Marsianer" mit Matt Damon. Da ich der vermutlich einzige Marsforscher auf der Welt bin, der den Film noch nie gesehen hat, ist das für mich praktisch eine Fortbildungsmaßnahme. Zuerst muss ich mich aber beim Abwaschen noch durch einen scheinbar unendlichen Berg von Geschirr und Besteck, Pfannen und Töpfen, Tassen und Bechern kämpfen - fast hätte ich den Beginn des Films darüber verpasst. Chris serviert noch Popcorn in zweierlei Varianten, und es geht los. Der Film gefällt mir dann wider Erwarten ganz gut, im Gegensatz zu dem Buch. Das hatte mir eine Kollegin einst freundlicherweise geliehen, ich fand es allerdings sprachlich unerträglich und hatte es nach wenigen Seiten zur Seite gelegt.

9. November 2018

Es war endlich soweit - das Geophysikteam konnte zum Mariner-Camp abfliegen. Besonders Toni war erleichtert, denn der Erfolg ihrer Arbeit hing davon ab, dieses Lager beziehen zu können. Das Befliegungsgebiet war zu weit von der Gondwana-Station entfernt, um täglich von dort angeflogen werden zu können. Hamish nahm die drei Passagiere an Bord (Toni, Felix und Mike), während Lee die "Tomate" ans Schlepptau nahm. Als Hamish seine Passagiere im Mariner-Camp abgesetzt hatte und zurückkam, waren Jean-Pierre und ich schon bereit. Wir wollten ein weiteres Mal zur Black Ridge, um dort ein zweites Polygon zu beproben. Um 11:30 Uhr starteten wir und waren wie zuvor nach weniger als zehn Minuten am Ziel. Diesmal landeten wir in einer flachen Senke auf einem Plateau, einige hundert Höhenmeter tiefer als zwei Tage zuvor. Der gesamte Boden war von Polygonen durchsetzt. Leider verlief die Längsachse der Senke genau in Richtung Priestley-Gletscher. Das verhalf uns zwar zu einer großartigen Sicht auf den Gletscher, bedeutete aber andererseits, dass die katabatischen Winde, die den Gletscher entlang wehten, genau durch die Senke kanalisiert wurden. Mit anderen Worten: Es war ungemütlich. Zum Glück war wenigstens die Temperatur weiter gestiegen, und in Gondwana hatten wir nur noch minus sieben Grad Celsius. Bei einer Temperaturabnahme von knapp einem Grad Celsius pro hundert Höhenmeter und einer Höhe von etwa 970 Meter wären das also nur etwa minus 15 Grad Celsius. Aber wie immer galt auch heute: Die absolute Temperatur ist ziemlich egal, es kommt immer auf den Wind an.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Black Ridge: die Flechte Buellia frigida auf Granit wachsend.

Wir fanden schnell eine Spalte zwischen zwei Polygonen, die geeignet zum Graben schien. Leider erwies sich schnell, dass der Boden auch diesmal extrem hart war. Die Partikel waren durch Eis in den Porenräumen praktisch festzementiert, und obwohl wir uns zunächst alle Vier beim Hacken abwechselten, kamen wir nur langsam voran. Die Spalte schien aktiv zu sein, denn genau entlang ihres Verlaufs war das Material relativ locker und konnte leicht herausgebrochen werden. Nach ein paar Stunden verzogen wir uns in den Helikopter, um etwas zu essen und zu trinken. Ich hatte eine Konservendose mit Hering in Senfsoße dabei, die fast schon gefroren war - naja. Wichtiger war ohnehin der heiße Tee, und auch etwas Schokolade war sehr willkommen. Der Wind schüttelte den Helikopter hin und her, man empfand seine Stärke hier drin noch heftiger als draußen. Hamish blickte immer wieder besorgt auf seinen Windmesser und meinte, einzelne Böen wären 40 Knoten schnell. Bei einer weiteren Zunahme der Windstärke sei es eventuell nötig, relativ kurzfristig heimzufliegen. Wir beschlossen also, dass Jean-Pierre sein Proben gleich nehmen würde - was man hat, das hat man. Er zückte also die Eisschrauben, legte sich wieder längs auf den Boden und bohrte horizontal in die Wände des Grabens. Danach gruben wir weiter. Doch obwohl der Graben schließlich tiefer war als vorgestern, stießen wir nirgends auf massives Eis. Natürlich können wir nicht ausschließen, dass weiter im Untergrund welches vorhanden ist, aber weiteres Graben hätte unverhältnismäßig viel Zeit erfordert. Zudem drängte inzwischen Hamish auf den Aufbruch. Um 16:30 Uhr wollte er spätestens los.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Die Probenentnahme am Black Ridge ist harte Arbeit.
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Probenentnahme am Black Ridge.

Das sollte gerade noch reichen, um auf einen Grat hinaufzulaufen und von dort eine herrliche Panoramasicht auf den Priestley-Gletscher zu haben. Wie immer war es weiter als gedacht, und kaum war ich oben angekommen (Jean-Pierre kannte die Sicht schon von GANOVEX 10 und war umgedreht), hörte ich Raquelle schon von unten rufen, ich solle runterkommen, die Zeit sei um. Durch den Aufstieg war es mir sehr warm geworden, und die beschlagenen Brillengläser nahmen mir etwas von der in der Tat beeindruckenden Sicht auf das herrliche Panorama des Priestley-Gletschers und der Eisenhower-Range im Westen. Ein paar schnelle Fotos, und der Abstieg durch das oberflächlich lose Schuttmaterial begann. Der Helikopter im Tal war nur noch als Punkt zu erkennen, es mussten also schon einige Höhenmeter gewesen sein. Zum wiederholten Mal hatten wir die Dimensionen falsch eingeschätzt. Um 16:40 Uhr waren wir zurück beim Helikopter und starteten. Hamish stieg so auf, dass wir einen fantastischen Blick hatten (ich hätte mir die Mühe des Aufstiegs zum Grat sparen können…). In der Höhe war der Wind dann doch sehr deutlich zu spüren, und der Flug war zu Beginn recht unruhig. Wieder in Gondwana fanden wir die Station fast etwas leer - wir waren ja nur noch zu siebt. Später erhielten wir die Nachricht, dass auch Lee mit der "Tomate" schon längst im Mariner-Camp angekommen war (er konnte in der Früh mit der Plastikkugel am Seil nicht so schnell fliegen wie Hamish). Sogar einen ersten Testflug konnten Felix und Toni schon durchführen. Zum Ende des Tages genossen wir dann ein köstliches Curry-Gericht, das Raquelle und Jean-Pierre zubereitet hatten, und gingen alle ziemlich früh ins Bett. Die tägliche Arbeit im kalten Wind (für uns) und die unermüdlichen Anstrengungen von Chris und Christian in der Station fordern ihren Tribut.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Blick auf den Mount Melbourne aus dem Helikopter.

10. November 2018

Der Tag beginnt ruhig. Das Esszimmer ist nun am Morgen nur noch spärlich gefüllt, nachdem das Geophysik-Team tags zuvor ins Mariner-Camp gewechselt ist. Wir erfahren, dass der Wind und zu tief liegende Wolken heute das Fliegen unmöglich machen. Die Zeit wird wie immer während der Ruhephasen mit Arbeiten an der Station oder der Dokumentation der bisherigen Ergebnisse gefüllt. Auch die Publikationen der bisherigen GANOVEX-Expeditionen ziehen mich immer wieder an - im Aufenthaltsraum, an den Chris und Christian gerade letzte Hand anlegen, sind alle GANOVEX-Bände vorhanden. Wenn jetzt dann bald der warme Teppich fertig verlegt und ein neuer Ofen in Betrieb sein werden, wird dieses Zimmer ein wunderbarer Raum zum Ausruhen, Lesen und Unterhalten sein.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Blick aus der Gondwana-Station.

Draußen steigt die Temperatur weiter, und erstmals hatten wir Temperaturen über minus sechs Grad Celsius gemessen. Schade, dass das Wetter nicht ganz den langjährigen Erfahrungen entspricht, denn häufig hatten frühere Expeditionen zu dieser Jahreszeit stabile Perioden mit viel Sonnenschein und relativ wenig Wind erlebt. Obwohl wir nicht klagen können und bis heute jeden Tag unterwegs sein konnten, sind doch Wind und Wolken diesmal offenbar überdurchschnittlich häufig.

Nach dem Mittagessen schaufeln wir zunächst wieder viele Schubkarren voll Schnee in den Schmelzer - die Wassergewinnung zählt zu den beiden wichtigsten permanenten Aufgaben in der Station. Die andere ist die Energieversorgung, aber hier können wir als Laien nichts beitragen, denn die Bedienung und Wartung der beiden Dieselgeneratoren setzt technisches Wissen voraus, über das wir "Gäste" nicht verfügen. Der Schmelzer ist ein mehrere Quadratmeter großer Raum, in dem der Schnee über einem Gitter von der Abwärme der Generatoren geschmolzen wird. Das Problem dieses Jahr ist die unbefriedigende Qualität des Schnees, der viele Staub und sogar Gesteinspartikel enthält. Offenbar hatte starker Wind immer wieder Festmaterial als dünne Schichten in die Schneewehen verfrachtet, die sich um die Station ansammeln und die von uns jetzt sukzessive abgebaut werden. Diese Verschmutzung verdreckt die Filter, weswegen Chris bereits einige nachbestellen musste.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Schneeschaufeln zur Trinkwassergewinnung.

Nach dem Schneeschaufeln wechsle ich die Grabungsumgebung und suche mir eine Polygonspalte unmittelbar bei der Station. Zum Vergleich will ich auch hier einen Graben quer zu einer Spalte ziehen. Jean-Pierre kann hier an der Station natürlich keine Untergrundproben nehmen und erkundet deswegen die Umgebung innerhalb des Radius, in dem wir uns alleine ohne Funkgerät bewegen können. Wollten wir diesen Bereich verlassen, sollten wir immer mindestens zu zweit sein und ein Funkgerät mitführen. Jean-Pierres Interesse bei diesem Erkundungsgang besteht eher darin, an ihm bekannten Standorten Proben von Cyanobakterien und Algen zu nehmen, die für seine Habitabilitätsstudien des Mars eine gute Erweiterung für seine Arbeiten mit der Mars-Simulations-Facility im Adlershofer Labor bilden würden. Ich mache mich unterdessen also wieder an die mühsame Arbeit, zunächst mit der Spitzhacke den Boden zu bearbeiten. Hier ist zwar der Regolith insgesamt lockerer als bei den Grabungsstellen der vergangenen Tage, dafür machen mir einige sehr große Brocken zu schaffen, die ich nicht lockern kann. Mit dem Geologenhammer buddle ich sozusagen um sie herum bis in eine Tiefe von etwa 40 Zentimeter. Das Ganze dauert mehrere Stunden, und um 18:00 Uhr reicht es mir - morgen wird weitergemacht.

Jean-Pierre hatte unterdessen außer dem Auffinden der ihm bekannten früheren Messstellen von Flechtenhabitaten, die er zudem zu Vergleichszwecken fotographisch dokumentierte, auch nur einen kleinen Erfolg im Feld verbuchen können. Die wenigen Standorte, wo man Algen und Cyanobakterien hätte beproben können, lagen tief unter Eis und Schnee und waren somit ganz im Gegensatz zu den Flechten unerreichbar. Nur wenig später, nachdem ich meine Tätigkeit für heute beendet hatte, kommt Raquelle vorbei, denn wir hatten ausgemacht, dass wir den Eisberg, der in der Bucht eingefroren ist, erkunden wollen. Sie ist mit Ross, dem Helikoptermechaniker, unterwegs, und ich schließe mich an. Wir holen uns Eispickeln, und ich passe schnell die Steigeisen an die Bergstiefel an. Mit den Eisen an den Füßen stapfen wir zunächst durch Schnee, dann über blankes Meereis in Richtung Eisberg, der offenbar im letzten Jahr in die Bucht gedriftet ist und etwa 500 Meter von der Küste entfernt auf Grund gelaufen sein muss. Zunächst umrunden wir ihn, dabei stoße ich auf ein Robbenloch im Eis. Zunächst hatte ich nur ein Geräusch gehört und war in die Richtung gelaufen. Gerade noch kann ich einen dicken, schnauzbärtigen schwarzen Robbenkopf erkennen, der dann ohne allzu große Eile abtaucht. Natürlich ging es trotzdem zu schnell, um ein Foto zu machen, und ebenso natürlich tut mir die Robbe nicht den Gefallen, wieder aufzutauchen (jedenfalls nicht hier…). Raquelle hat ein Bild ihres Vaters dabei, der Zeit seines Lebens in die Antarktis wollte, und bittet mich ein Bild von ihr und dem Foto zu machen - sie will es ihrem Vater als Souvenir mitbringen. Jetzt am Abend steht die Sonne tief, und das Licht wird mit jeder Minute schöner. Viel Zeit haben wir aber nicht, denn wir sollten gegen acht Uhr abends wieder in der Station sein - Essenszeit. Zurück in der Station gibt es eine köstliche Carbonara, die Chris auf den Tisch gezaubert hat. Auch ohne Helikopterflüge war das ein ausgefüllter Tag, mit dem alle sehr zufrieden sind.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Eine Robbe ruht sich aus.

Weitere Bilder gibt es im Flickr-Album zur Expedition.

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Über den Autor

Ernst Hauber ist Geologe und untersucht die festen Oberflächen der terrestrischen Planeten. Sein Interesse gilt vor allem vulkanischen, tektonischen, und periglazialen Oberflächenformen, wobei er auch intensiv an terrestrischen Analogen arbeitet. Er ist Mitglied in verschiedenen Instrumententeams, die Mars, Merkur, und das Jupitersystem erforschen. Eine seiner Aufgaben ist es, eine sichere Landestelle für den ESA-Rover ExoMars auszuwählen. zur Autorenseite