Raumfahrt | 02. Dezember 2021 | von Manfred Gaida

Schwarze Sonne über dem weißen Kontinent

Bei einer totalen Finsternis wird die Korona der Sonne sichtbar
Quelle: ESO
Ma­gi­scher Mo­ment: Bei ei­ner to­ta­len Son­nen­fins­ter­nis ist für ei­nen kur­zen Mo­ment, wenn sich der Mond kom­plett vor die Son­ne ge­scho­ben hat, die Ko­ro­na zu se­hen - der die Son­ne um­ge­ben­de Strah­len­kranz aus heißem Gas­p­las­ma. Die­se Auf­nah­me der Eu­ro­päi­schen Süd­stern­war­te ESO stammt von der to­ta­len Son­nen­fins­ter­nis in Deutsch­land am 11. Au­gust 1999.

Sonnenfinsternisse ziehen seit jeher die Menschen in ihren Bann, doch bei der totalen Verfinsterung, die sich am 4. Dezember 2021 in der sommerlichen Antarktisregion abspielt, werden sicherlich nicht viele dem Naturereignis an Ort und Stelle zuschauen. Astronomisch angekündigt hat sich diese entlegene Sonnenfinsternis bereits durch die partielle Mondfinsternis am 19. November 2021, die sich in Europa von Grönland, dem nordwestlichen Island und vom norwegischen Nordkap aus vollständig in ihrer partiellen Phase verfolgen ließ. Jetzt, vierzehn Tage später, hält sich der Mond wieder nah genug an einem seiner beiden Bahnknoten auf - diesmal im absteigenden - sodass die himmelsmechanischen Voraussetzungen für eine weitere Finsternis gegeben sind.##markend##

Ein Zusammenspiel von Himmelsmechanik und Sonnenphysik

Mit dem Neumond am 4. Dezember, dessen Kernschatten auf der Erdoberfläche vom Südatlantik über die antarktische Halbinsel hinweg in den südlichen Pazifik hinein wandert, fällt auch die Erdnähe des Mondes zusammen. Mit einer Distanz von 357.000 Kilometern durchmisst seine Scheibe 33 ½ Bogenminuten. Für eine totale Abdeckung der Sonne reicht dies völlig aus, wenngleich die Erde bald das Perihel ihrer Bahn, den sonnennächsten Punkt, durchlaufen wird und die Sonnenscheibe Anfang Januar dann mit 32 ½ Bogenminuten maximal „groß“ wird. (Dies zu erkennen gelingt freilich nur mit gewissen Messtechniken und Vorsichtsmaßnahmen!) Zum Zeitpunkt der Finsternis beträgt der scheinbare Sonnendurchmesser circa 32 ⅓ Bogenminuten.

Zwischen knapp anderthalb und zwei Minuten wird die Totalitätsdauer der Finsternis entlang der Zentrallinie eines mehr als 400 Kilometer breiten Kernschattenpfades betragen. In dem Totalitätsstreifen leuchtet dann sukzessive jener helle Strahlenkranz um die vom Mond verdunkelte Sonnenscheibe auf, der die Menschen stets aufs Neue erstaunen lässt und ihnen in früheren Zeiten nicht selten reichlich Furcht einflößte. Heute wissen wir, dass es sich bei diesem Kranz, der Sonnenkorona, um ein ultradünnes ausgedehntes und auf einige Millionen Grad aufgeheiztes Gas handelt, das die Sonne umgibt und Quelle ihres Windes ist, der nebenbei Kometen einen Schweif verleiht.

Quelle: Fred Espenak
Eine grafische Übersicht des Verlaufs und der Sichtbarkeitszonen der Sonnenfinsternis am 4. Dezember 2021. Mehr Details finden kundige Beobachter hier.

Die geografische Situation

Um 8 Uhr MEZ beginnt das Schauspiel östlich der Falklandinseln im Atlantik. Dort trifft der zigarrenförmig-elliptische Kernschatten mit einer Breite von 414 Kilometer auf die Erdoberfläche und die am Horizont stehende Sonne wird für circa anderthalb Minuten verdunkelt. Der Kernschatten wandert zunächst südostwärts weiter, bis er knapp zehn Minuten später am Nordrand des Weddell-Meeres noch gerade die südlichen Orkney-Inseln streift. Die Höhe der Totalität wird eine halbe Minute nach 8:33 Uhr MEZ im südlichen Weddell-Meer am Rande der Filchner-Ronne-Schelfeiszone erreicht. Die Sonne steht nun 17,2 Grad hoch über dem Horizont und, wenn das Wetter mitspielt, wird die Sonnenkorona maximal für eine Minute und 55 Sekunden aufleuchten. Rund zehn Minuten später erreicht der ellipsenartige Kernschatten das schneebedeckte antarktische Festland, über das er in westlicher Richtung hinwegzieht, bis er sich schließlich um 9:06 Uhr MEZ bei 67 Grad südlicher Breite in der Amundsensee von der Erdoberfläche löst.

Wetter- und Beobachtungsaussichten

Fraglich bleibt, wie gut die Finsternis im Südpolarmeer und in der Westantarktis zu sehen sein wird. Über ozeanischen Wassermassen findet naturgemäß eine intensive Wolkenbildung statt, die sich zudem zum Horizont hin für einen Beobachter entlang des Sehstrahls mehr verdichtet, als wenn er Richtung Zenit blicken würde. Und die Südpolarregion ist ohnehin ein ungemütlicher, stürmischer Ort. Dennoch werden etliche Kreuzfahrt- und Expeditionsschiffe spezialisierter Reiseunternehmen versuchen, von Ushuaia am Beagle-Kanal aus kommend auf offener See die Sonnenfinsternis erlebbar zu machen. Dafür wollen sie sich östlich der südlichen Orkneyinseln auf der Zentrallinie der Kernschattenzone positionieren, wo die Sonne knapp zehn Grad hoch am Himmel stehen und 1⅔ Minuten lang vom Mond total verfinstert sein wird. Man darf ihnen in dieser Wetterküche besonders viel Glück wünschen und 'a little bit' von jener Geduld und Zuversicht, die den britischen Südpolarforscher Ernest Shakleton und seine 27-köpfige Mannschaft vor mehr als hundert Jahren in der gleichen Gegend überleben ließ!

Beste Aussichten dürften man dagegen auf den wenigen geplanten exklusiven Flügen haben, die für einen vierstelligen Dollarbetrag angeboten werden. In einer wolkenfreien Flughöhe von rund elf Kilometern werden sie die maximale Totalitätszeit auf maximal knapp 2 ½ Minuten ausdehnen, wenn die Maschinen eine "ideale" Route im Kernschattengebiet fliegen können.

Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Das EDEN-ISS Ge­wächs­haus zeich­net sich im Un­ter­schied zu bis­he­ri­gen Pflan­zen­zucht-Ex­pe­ri­men­ten in der Ant­ark­tis durch ei­nen ge­schlos­se­nen Kreis­lauf aus, in dem ana­log zu ei­ner spä­te­ren Nut­zung in der Raum­fahrt oder in Wüs­ten auf der Er­de al­les Was­ser, das nicht in den Früch­ten und Pflan­zen steckt, wie­der­ver­wen­det wird.

In der Nähe des Finsternispfades liegen auch einige wissenschaftliche Forschungsstationen, unter anderem die deutsche Polarstation Neumayer III des Alfred-Wegener-Instituts. Dort werden auch Experimente für künftige astronautische Mond- und Marsmissionen durchgeführt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreibt hier zum Beispiel eigens das Antarktisgewächshaus EDEN ISS. Die Forscherinnen und Forscher werden an ihrem entlegenen Aufenthaltsort allerdings nur in den Genuss einer zu 84 Prozent partiell bedeckten Sonne kommen.

Noch näher an der Kernschattenzone liegen dagegen die britische Forschungsstation Halley VI und die argentinische Station Belgrano II. Bei letzterer werden nahezu 99 Prozent der Sonnenscheibe bedeckt. Doch wegen ihrer exponierten Randlage am Südpolarmeer werden diese Plätze häufiger von trübem Wetter mit Niederschlägen heimgesucht, als es im Inneren des weißen Kontinents der Fall ist.

Quelle: M. Gaida / erstellt in Stellarium
Der Himmelsanblick zwischen nordwestlicher (links) und nordnordöstlicher Richtung (rechts) am 4. Dezember 2021 um 8:45 Uhr MEZ vom Union Glacier Camp (79°46′ S, 83°16′ W) aus, erstellt mithilfe des Simulationsprogramms Stellarium. Bäume, wie am Boden zu sehen, wachsen dort freilich nicht.
Quelle: M. Gaida / erstellt in Stellarium
Der nähere Umgebung der Sonnenfinsternis am 4. Dezember um 8:45 Uhr MEZ vom Union Glacier Camp (79°46′ S, 83°16′ W) aus, erstellt mithilfe des Simulationsprogramms Stellarium. Ein Quadrat entspricht einem Gesichtsfeld von 5° x 5°.

Bessere Aussichten, die Sonnenfinsternis ganz in ihrer totalen Phase zu erleben, dürfte der Aufenthalt im Union Glacier Camp bieten, einem komfortablen Zeltdorf für 70 Unverzagte, die das Besondere und Einmalige erleben möchten. Dieses Camp, 700 Meter hoch gelegen, befindet sich am Rand der Kernschattenzone in einer relativ geschützten Lage, umgeben von Bergen, welche heranziehende Wolkenfelder aus drei Richtungen abschirmen. Die Wahrscheinlichkeit der Bewölkung ist hier mit 40 Prozent nur halb so groß wie über dem Ozean. Dennoch bleibt auch an diesem Ort in der antarktischen Schnee- und Eiswüste das Risiko bestehen, die Sonnenbedeckung durch den Mond zu "verpassen" - und bis zum 15. Dezember 2039 auf die nächste Gelegenheit warten zu müssen, wenn sich wieder eine totale Sonnenfinsternis in der Antarktis abspielt. Falls der Himmel jedoch wolkenfrei ist, wird sich dem Beobachter in der antarktischen klaren Luft ein grandioses Schauspiel bieten. Knapp 15 Grad hoch steht die schwarze Sonne eine Dreiviertelminute lang umgeben von ihrer leuchtenden Korona im Sternbild des Schlangenträgers. Am verdunkelten Tageshimmel tauchen östlich neben ihr Merkur und in gleicher Richtung circa 40 Grad Winkelgrad weiter Venus auf, die sich an dem Tag mit -4,9 mag (magnitude, scheinbare Helligkeit eines Sterns) in ihrem größten Glanz befindet. Westlich und oberhalb der Sonne sind der rötliche Mars und der rote Riesenstern Antares, der Hauptstern des Skorpions, zu erkennen. Auch weitere helle Sterne können während der Totalität am Firmament für kurze Zeit auftauchen.

Tipps für Daheimgebliebene

Interessierte, die sich nicht in die antarktische Kälte begeben können oder wollen, können in mindestens zwei Livestreams frühmorgens von der Antarktis aus den Finsternisverlauf unmittelbar verfolgen: Stream von National Geographic und Stream von NASA. Ferner soll in einem Live-Blog über das Ereignis zeitnah berichtet werden. Ein weiterer Livestream wird voraussichtlich aus Südafrika übertragen, wo die Finsternis lediglich partiell zu sehen sein wird, wie unter anderem auch in Tasmanien, Südneuseeland, auf den Falklandinseln und an der südlichsten Spitze des südamerikanischen Kontinents.

Schließlich darf auch mit einem Blick von "ganz oben" auf den Kernschatten gerechnet werden, wie er zwei Erdbeobachtungssatelliten der NASA bei der antarktischen Vorläuferfinsternis am 23. November 2003 gelang. Eine instruktive kurze Rückschau darauf ist hier zu sehen.

Von der Internationalen Raumstation ISS aus wird man leider keine Aussicht auf den Kernschatten haben, denn sie fliegt an dem Morgen schlichtweg zu früh an einer potentiell gerade noch günstigen Aussichtsposition vorbei.

[Anmerkung: Überraschend gelangen der Besatzung der ISS doch noch während eines südatlantischen Überflugs wenige Minuten nach dem ersten Auftreffen des länglichen Kernschattens auf der Erde ein paar einzigartige Aufnahmen, wie sie u.a. hier zu sehen sind. Ein weiteres eindrucksvolles Bild vom Deep Space Climate Observatory (DSCOVR) aus einer Distanz von 1,5 Millionen Kilometern ist hier zu sehen.]

Sarosfamilie 152 – eine kurze "Genealogie"

Quelle: Ian Duffy (CC BY-NC 2.0)
Diese munteren Zeitgenossen scheinen schon einmal das Beobachten des Himmels zu üben - momentan noch ohne angemessenen Augenschutz. Wie sich speziell die antarktische Tierwelt während der totalen Phase einer Sonnenfinsternis verhält, wäre sicherlich eine eigene Studie wert.

Die jetzige Sonnenfinsternis gehört zum 152. Saroszyklus, jenem bewährten Zeitmaß für Finsternisse, welches auf die Babylonier zurückgeht. Nach 6.585 ⅓ Tagen, so stellten sie fest, nehmen Mond, Erde und Sonne nahezu wieder die gleiche Stellung zueinander ein, sodass sich Sonnen- und Mondfinsternisse unter fast denselben himmelsmechanischen Randbedingungen wie 18 Jahre zuvor wiederholen. Saros 152 enthält insgesamt 70 Finsternisse, 30 davon verlaufen total, 22 ringförmig und 15 partiell; drei folgen einer ringförmig-totalen (hybriden) Form. Mit 5 Minuten und 16 Sekunden wird am 9. Juni 2328 die längste Totalität in diesem 1.244 Jahre lang währenden Finsterniszyklus erreicht. Die Finsternis am 4. Dezember 2021 ist seit dem 26. Juli 1805, dem Beginn des solaren Saros 152, die dreizehnte. Imposante Eindrücke von der letzten antarktischen S 152-Sonnenfinsternis, der zwölften, lassen sich unter anderem hier finden.

Noch bis zum Jahr 2220 wird Saros 152 der antarktischen Region rund alle 18 Jahre totale Sonnenfinsternisse bescheren. Erst danach verlagern sich die Zonen der Totalität soweit gen Norden, dass sie den weißen Kontinent nicht mehr überstreichen. Ab dem Jahr 2400 werden sie weitgehend über die nördliche Halbkugel der Erde hinwegziehen, ab dem 29. Oktober 2562 dann allerdings nur noch - 400 Jahre lang - als ringförmige Sonnenfinsternisse auftreten. Die letzte zentrale der ringförmigen Art ist dann die Finsternis am 5. Juni 2923, die mit rund 3 ¼ Minuten fast exakt am geografischen Nordpol ihre Maximaldauer erreicht. Man darf gespannt sein, wie eisbedeckt die Arktis dann aussehen wird... Mit einer partiellen Finsternis am 20. August 3049 stirbt das solare Sarosgeschlecht Nr. 152 schließlich aus.

Weiterführende Links:

 

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Über den Autor

Manfred Gaida ist seit seiner frühsten Jugend vom Weltall fasziniert und wurde schon als Schüler Mitglied der Kölner Sternfreunde. Von 1973 bis 1982 studierte er an den Universitäten Bonn und Köln Astronomie und Physik und war 33 Jahre lang als promovierter Astronom wissenschaftlicher Mitarbeiter im DLR-Raumfahrtmanagement. Zwischendurch widmete er sich auch einige Jahre intensiv dem Wissenschaftsjournalismus und war nebenbei als Fachübersetzer für bekannte populärwissenschaftlich orientierte Verlage tätig. zur Autorenseite