Raumfahrt | 10. Januar 2016 | von Nicole Schmitz

Wir betreten den antarktischen Kontinent - Teil 4

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Antarktisches Begrüßungskomitee

Nach zwölf Tagen auf See und weiteren drei Tagen auf dem Schiff konnten wir pünktlich zu Neujahr am 1. Januar 2016 endlich den antarktischen Kontinent betreten. Im Moment genießen wir die Gastfreundschaft unserer italienischen Kollegen in der Mario Zucchelli-Station in der Terra Nova-Bucht, während wir auf gutes Flugwetter warten, um unsere Reise in Richtung der Helliwell Hills fortsetzen zu können.##markend##

Die Reise bis zur Terra Nova Bay dauerte deutlich länger als gedacht. Am Sonntag, den 27. Dezember, hatten wir endlich den ersten dichten Gürtel aus Treibeis rund um die Antarktis durchfahren und steuerten mit voller Kraft durch das offene Wasser auf die Terra Nova-Bucht zu. Der zweite Eisgürtel, der noch zwischen uns und der Bucht lag, sah auf dem Satellitenbild viel schmaler und harmloser aus als der erste. So hofften wir auf eine schnelle Ankunft. Leider wollte die raue antarktische Natur uns diesen Gefallen nicht tun.

Frühmorgens am 28. Dezember fuhren wir bei zirka 170°E / 75°S in den zweiten Treibeis-Gürtel bei ein - und waren schnell komplett umschlossen von sehr großen, dicken und vor allem dicht gepackten Eisschollen, zwischen denen kaum noch eine Lücke zu finden war. Die Italica ist kein Eisbrecher, das heisst, dass sie mit ihrem verstärkten Rumpf zwar Eisschollen bis zu einer gewissen Größe zur Seite schieben, aber nicht durchbrechen kann. Wenn es also keine Lücke mehr gibt, wird eine Durchfahrt unmöglich. Daher musste sich die Crew zweimal entscheiden, den Rückwärtsgang einzulegen, und bis aufs offene Meer zurückzufahren, um eine günstigere Stelle zu finden. Letztendlich brauchte die Crew starke Nerven und drei Versuche, um an einer weit südlich gelegen Stelle eine Einfahrt ins Eis zu finden, an der die Durchfahrt möglich war.

Zeitraubend Umwege um den Treibeisgürtel

Dieser Umweg kostete uns zwar einen weiteren Tag, bot uns aber unvergesslich schöne und beeindruckende Impressionen von dicht gepackten Eisschollen um uns herum und der Tierwelt auf dem Eis. Wir sahen Pinguine, Weddell-Robben und gelegentlich den ein oder anderen Seeleoparden. Skuas, Albatrosse und Seemöwen nutzen den Auftrieb rund um das Schiff. Frühmorgens am 29. Dezember hatten wir schließlich auch die letzte Eisscholle hinter uns gebracht und konnten bereits den Mt. Melbourne (2732 Meter) am Horizont sehen.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Spannende Fahrt durch den Packeisgürtel

Die meisten von uns standen an diesem Morgen sehr früh auf, um die Einfahrt in die Terra Nova-Bucht nicht zu verpassen. Dicht gedrängt standen wir bei Temperaturen um den Nullpunkt und starkem Wind im Schutz der Brücke, während langsam das Festland in Sicht kam. Nach und nach sahen wir dann auch - zunächst nur mit dem Fernglas - die italienische Station Mario Zucchelli, die deutsche Gondwana-Station und die koreanische Jang Bogo-Station auftauchen.

Sehr langsam näherten wir uns der von meterdickem See-Eis komplett bedeckten Bucht. Auf dem Eis machte sich bereits unser Empfangskomitee bereit: zwei Pistenbullies und drei Pick-Ups von der italienischen Station kamen von der einen Seite. Von der anderen, mindestens genauso schnell, kamen zirka 20 Pinguine angewatschelt und auf dem Bauch angerutscht. Während der nächsten Tage blieben die neugierigen Tiere immer in Sichtweite und verfolgten das Geschehen.

"Anlanden" an der Eiskante und Entladen allen Materials

Da die Station über keinen Hafen oder Steg verfügt, legten wir direkt an der Eiskante an. Mit Eisbohrern wurden tiefe Löcher ins Eis gebohrt, an denen die Italica vertäut wurde. Schnell wurde mit der Entladung der Fracht des Schiffes begonnen, darunter zehn Überseecontainer für die Modernisierung der deutschen Gondwana-Station, all unsere Expeditionsausrüstung in weiteren zwei Containern, Versorgungsgüter für die umliegenden Stationen, ein Krankenwagen(!), ein kleiner Transporter, unsere drei Hubschrauber und noch einiges mehr. Zweimal mussten die Arbeiten unterbrochen werden, da große Platten aus dem Eis immer wieder abbrachen, auch rund um die Eisanker der Italica. Es dauerte einige Stunden mithilfe des Schiffes die Bruchstücke aus dem Weg zu räumen und die Italica neu zu vertäuen.

Wir GANOVEX-"Ganoven" durften während der Entladung des Schiffes noch nicht von Bord. Daher nutzen wir die drei zusätzlichen Tage an Bord, um ein letztes Mal unsere Ausrüstung zu überprüfen und letzte wissenschaftliche Vorbereitungen zu treffen. Für die bevorstehenden Flüge mit der kleinen Twin Otter-Maschine ins Zeltcamp mussten wir außerdem unser Gepäck umpacken und geschickt aufteilen. Da man bei dem wechselhaften antarktischen Wetter nie weiß, ob der nächste Versorgungsflug unmittelbar folgen kann, muss die Ausrüstung, die man zum Überleben braucht, immer "am Mann" beziehungsweise "an der Frau" sein. Warme Kleidung, Schlafsäcke und der empfindlichste Teil der Ausrüstung dürfen mit uns zusammen fliegen, der Rest wird mit reinen Materialflügen transportiert.

Silvesternacht bei strahlendem Sonnenschein

Am 31. Dezember war dann bereits morgens klar, dass wir aufgrund des Wetters und der nicht abgeschlossenen Entladearbeiten den Silvesterabend noch auf dem Schiff verbringen würden. Da der Großteil der Passagiere das Schiff bereits verlassen hatte (unsere italienischen Kollegen waren in die Mario Zucchelli-Station umgezogen, die Mitglieder des MOGS Teams nach Gondwana und die Südkoreaner nach Jang Bogo), feierten wir nur mit der Schiffscrew.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Warten an Bord der "Italica", bis alles entladen ist

Kurz vor Mitternacht, bei strahlendem Sonnenschein, trafen wir uns in der Messe zu einem Glas Prosecco. Ein paar Mitglieder der Crew waren nicht rechtzeitig fertig geworden, daher stellten wir die Uhr in der Messe großzügig ein paar Minuten zurück, um den großen Moment des Jahreswechsels alle zusammen begehen zu können. Nicht ganz pünktlich stießen wir an, und die Schiffssirenen begrüßten zusammen mit uns lautstark das neue Jahr in der Antarktis. Traditionell gab es Linseneintopf und Wurst - das bringt Glück! Später feierten wir noch weiter im Passagierraum des Schiffs, und noch später wurden einige von uns mit einem Kran und Transportkorb vom Schiffdeck aus auf das Eis heruntergelassen, um auch mit den Arbeitern unten anstoßen zu können.

Pünktlich um 9:00 Uhr am nächsten Morgen stand die Abreise für uns an. Auch wenn das Wetter Flüge in die Helliwell Hills noch nicht zuließ, mussten wir das Schiff verlassen, da die Italica sich zur Abfahrt bereit machte. Ziemlich müde fanden wir uns mitsamt unseren Unmengen an Gepäck und Ausrüstung an Deck ein, um - wieder mit Kran und Transportkorb - das Schiff zu verlassen. Vier Pick-Up Trucks standen schon auf dem Eis bereit, um uns zur Mario Zucchelli-Station zu fahren, wo wir eine Holzhütte mit 16 Betten beziehen konnten. Endlich waren wir auf dem Kontinent angekommen!

Zu viel Wind: keine Personenflüge möglich!

Der Plan, gleich am nächsten Morgen mit der Twin Otter und den Hubschraubern ins Camp nach Helliwell Hills zu fliegen, wurde aber wieder von Mutter Natur durchkreuzt. Am 1. Januar konnten wir im Laufe des Tages zwar drei Twin Otter-Flüge mit Material und Ausrüstung losschicken, Personenflüge sind aber nicht möglich, solange die Hubschrauber aufgrund der starken katabatischen Winde (Fallwinde von den nahe liegenden Bergen) nicht fliegen können. Aus Sicherheitsgründen dürfen wir nicht ohne die Hubschrauber ins Camp.

Zurzeit (2. Januar) hoffen wir darauf, morgen im Laufe des Tages in Richtung Camp fliegen zu können. Heute Nachmittag werden wir schon einmal eine Sicherheitseinweisung für die Hubschrauberflüge bekommen. Wir treffen uns alle an einem der Hubschrauber und die Piloten werden uns erklären, welche Sicherheitsabstände beispielsweise beim Einsteigen rund um den Heckrotor eingehalten werden müssen, oder auch in welchem Abstand und in welcher Position wir warten müssen, wenn uns die Hubschrauber in schwierigem Gelände abholen. Parallel werden wir weitere Ausrüstung in die Twin Otter laden, und gespannt darauf warten, dass es endlich richtig losgeht.

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Über den Autor

Nicole Schmitz ist Planetenforscherin und Ingenieurin am Institut für Planetenforschung des DLR in Berlin, Deutschland. Die Forschungsgruppe konzentriert sich auf die Erforschung der planetaren Geologie mit Hilfe von Daten, die von Kameras, Spektrometern und anderen Instrumenten auf verschiedenen Raumfahrtmissionen gewonnen werden. Schmitz war am Design und der Entwicklung von Instrumenten für planetare Erkundungsmissionen, an der Missionsplanung und -durchführung sowie an wissenschaftlichen Aktivitäten für Mars-, Jupiter-, Mond- und Asteroidenmissionen beteiligt. zur Autorenseite