Raumfahrt | 05. Mai 2022 | von Tom Uhlig

Der Letzte macht die Tür zu

Quelle: NASA TV
Das Raumschiff Endurance kurz nach dem Abdocken von der Internationalen Raumstation.

Wenn ich von einer längeren Dienstreise endlich, endlich wieder die Heimfahrt zu meiner Familie antreten darf, dann genieße ich die verschiedenen Schritte und „letzten Handlungen“, die mich meiner Frau und meinen Kindern näher bringen: Das Loswerden des Hotelschlüssels, dann das Zurückgeben des Leihwagens am Flughafen, die Gepäckabgabe, bis man letztlich im Abflugbereich sitzt – nur noch mit dem MP3-Player und dem Buch in der Hand, welches man in den vielen Flugstunden gerne lesen möchte. Irgendwie ein Gefühl der Freiheit...

Vielleicht ging es Matthias Maurer ähnlich, als er sich heute Nacht auf der ISS verabschiedete und sich in die Dragon-Kapsel „Endurance“ setzte, die ihn zurück auf die Erde bringen wird? Für ihn kommen sicher noch andere Aspekte dazu: Seine „Dienstreise“ hat Monate gedauert, auf ihn wartet ein großes „Hallo“ auf der Erde und viele weitere Wochen des „Missionsabschlusses“. Ob er jemals nochmal auf die Internationale Raumstation ISS zurückkehren wird in der Zukunft steht buchstäblich in den Sternen. Und es wird schwierig sein, das Erlebte noch zu toppen.##markend##

Freilich lag der bevorstehende Heimflug schon in den vergangenen Tagen „in der Luft“: Für manche Experimente musste Matthias die letzten Versuche durchführen, mit den neu Angekommenen fand eine Übergabe statt, wir hatten noch letzte Fragen und Bitten an Matthias: Daten sichern, Material verstauen, Dinge in die Dragon-Kapsel schaffen. Und schließlich: Säubern seines Schlafplatzes in Columbus.

Mittwoch abends war dann nochmal ein gemeinsamer Pressetermin für die gesamte Crew, „Farewell remarks“ und schließlich die „Change of Command ceremony“: Tom Marshburn übergab das Kommando über die Raumstation an die zurückbleibende Besatzung, freilich mit feierlichen Worten.

Quelle: ESA/NASA
Matthias Maurer hinterlässt sein Unterschrift auf der ISS.

Während sich die restliche Station dann in den Nachtmodus begeben durfte, stand für die Abreisenden nur ein vierstündiger „Nap“ auf der Timeline. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man da kaum wirklich zum Schlafen kommt – glücklicherweise ist der Rückflug in der Dragon-Kapsel weitgehend automatisiert!

Um 02:00 Uhr unserer Zeit dann aufstehen und die wirklich letzten Handlungen vornehmen: Die letzten Gegenstände einladen, etwa diejenigen Proben, die kontinuierlich gekühlt werden müssen. Matthias nahm bei allen seinen Besatzungskollegen noch einmal eine letzte Blutprobe ab, bis gegen 06:20 Uhr unserer Zeit dann Kayla, Raja, Tom und Matthias in den weißen Raumanzügen in ihrer Dragon-Kapsel sitzen und die Lukentür geschlossen wurde.

Um 07:00 Uhr – früher Donnerstag – wäre dann das Abdocken von der Raumstation angesetzt gewesen. Wegen einer zunächst unerwarteten Anzeige der Software wurde allerdings dann kurz pausiert, bis das Flugkontrollteam eine Erklärung für das Softwareverhalten gefunden hatte. Mit etwa einer Viertelstunde Verspätung – aber immer noch voll innerhalb des einstündigen Zeitfensters – wurde dann die Verbindung zwischen der ISS und der „Endurance“ gekappt, und mit mehreren Düsenstößen entfernte sich die Kapsel dann vorsichtig immer weiter von der Raumstation. Mit dem Departure Phase Burn gegen 10:15 Uhr wird die Kapsel die ISS-Flugbahn schließlich endgültig verlassen. Dann sitzt für mehrere Stunden „Sir Isaac Newton am Steuer“ – wie es im Film „Apollo 13“ so treffend hieß.

Aufregend wird es dann wieder freitags ganz in der Früh: Innerhalb der letzten Missionsstunde wird dann der hintere Teil von Dragon abgekoppelt und der Hitzeschild freigelegt. Nur die vordere Kapsel führt dann einen fast achtminütigen Deorbit-Burn durch, der das Raumschiff so abbremst, dass seine weitere Flugbahn es in die Erdatmosphäre führt. Diese wird die Kapsel dann so rabiat abbremsen, dass der Hitzeschild zu glühen beginnen wird, eine Plasmawolke um das „heiße Geschoss“ wird für fast sieben dramatische Minuten jede Kommunikation mit den Astronauten unmöglich machen – und unmittelbar danach werden sich zwei Sets von Fallschirmen öffnen und Matthias Maurer und Co. im Meer vor Florida landen lassen.

Ich empfinde es als sehr aufregendes Finale einer großartigen Mission. Fast wie Heimkommen nach einer längeren Dienstreise...

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite