Energie | 16. Mai 2013 | von Jan Oliver Löfken

Der versteckte Kohleboom

Die Nutzung von Stein- und Braunkohle nimmt in Deutschland deutlich zu und verzeichnet ein stärkeres Wachstum als alle erneuerbaren Quellen zusammen. Die deutsche Energiewende zeigt damit zwei völlig verschiedene, gar widersprüchliche Gesichter. Einerseits wuchs 2012 der Anteil der Erneuerbaren Quellen an der Stromerzeugung auf stolze 22,9 Prozent. Andererseits wird soviel Braunkohle in deutschen Kraftwerken verfeuert wie seit 1990 nicht mehr. Wie kommt es zu dieser Zunahme, die den eigentlichen Zielen der Energie- und Klimapolitik entgegenläuft?

Um das Ausmaß der Entwicklung zu begreifen, braucht es den genaueren Blick in die Statistiken der Energienutzung und Stromerzeugung. Dabei ist es wichtig, nicht nur prozentuale Veränderungen zu beachten, sondern auch absolute Zahlen des deutschen Energiemix zu analysieren. Tatsächlich wird Jahr für Jahr mehr Strom aus Wind und Sonne erzeugt – gefördert von jedem Stromkunden über das EEG (Erneuerbaren Energien Gesetz). Allein von 2011 auf 2012 stieg der Ökostromanteil von 20,5 auf 22,9 Prozent.

Bezogen auf den gesamten Primärenergieverbrauch, der neben Strom auch Wärme und Treibstoffe für den Verkehr berücksichtigt, wuchsen die Erneuerbaren um 7,8 Prozent auf 1.578 Petajoule (PJ) oder Billiarden Joule. * Auch Stein- und Braunkohle zeigen für diesen Zeitraum Zunahmen, der Verbrauch stieg um 3,1 beziehungsweise 5,1 Prozent. Auf den ersten Blick deutlich geringere Werte. Da der Verbrauch – vor allem von Braunkohle – aber schon auf einem sehr hohen Niveau liegt, überflügelt dieses Wachstum in absoluten Zahlen mit 130 PJ die Zunahme bei den Erneuerbaren, die bei 113 PJ liegt. Die Nutzung der Kohle, besonders der heimischen Braunkohle, boomt. Diese Entwicklung schadet der deutschen Klimabilanz, da Strom aus Braunkohle die höchsten CO2-Emissionen im Vergleich zu allen anderen fossilen Energieträgern aufweist.

Zertifikatpreise am Boden - Kohlestromerzeugung im Höhenflug

Die Gründe für diesen Trend lassen sich nicht nur im schrumpfenden Stromanteil aus Kernkraftwerken finden. Denn dieser Rückgang um 98 PJ im Vergleich seit  2011 konnte durch den Zubau der Wind- und Solarkraftwerke in der Summe mehr als kompensiert werden. Dennoch laufen die Kohlekraftwerke derzeit auf Hochtouren und treiben auch den Stromexport in Nachbarländer auf die höchsten Werte seit Jahrzehnten. Ein drohender Strommangel kann also nicht als Ursache für den Kohleboom dienen.

"Mit unter vier Euro pro Tonne sind die Kosten für CO2-Emissionsrechte einfach zu niedrig", sagt Thomas Pregger, DLR-Experte für Energiesysteme am DLR-Institut für Technische Thermodynamik in Stuttgart. Die Folge: Kohlestrom wird nicht mit den wahren Folgekosten der CO2-Emissionen belastet und ist derzeit konkurrenzlos billig in der Produktion. Offenbar ein gutes Geschäft für die Betreiber von alten wie neuen Kohlekraftwerken. Doch wo liegt die Lösung des Problems? "Wer einen marktgetriebenen Klimaschutz realisieren möchte, muss für einen funktionierenden Emissionshandel sorgen", sagt Pregger. Wie dieses Ziel erreicht werden soll - etwa durch eine Reduzierung der CO2-Emissionszertifikate -  liegt derzeit in den Händen der Politiker in Brüssel und Berlin.

 

* Die Einheit Petajoule (PJ) steht für eine Billiarde Joule, ein Petajoule entspricht knapp 280 Millionen Kilowattstunden Strom.

Quelle: AG Energiebilanzen e.V. (http://www.ag-energiebilanzen.de/viewpage.php?idpage=118&archiv&preview=true)

Bild: Michael Utech, Getty images

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Über den Autor

Der Energiejournalist Jan Oliver Löfken schreibt unter anderem für Technologie Review, Wissenschaft aktuell, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und das P.M. Magazin. Derzeit diskutiert er im DLR-Energieblog aktuelle Themen rund um die Energiewende. zur Autorenseite