Raumfahrt | 28. Januar 2016 | von Tom Uhlig

Bad Vibes

ESA%2dAstronaut Tim Peake an Bord der ISS

Man muss nicht Luft- und Raumfahrt studiert haben, um bei uns im Flight Control Team mitarbeiten zu können. Ich zum Beispiel bin Physiker - und habe in der Elektronenmikroskopie geforscht, wo man sich kleinste Teilchen, bis hinunter auf das atomare Niveau anschauen kann. Um die riesige, raumfüllende und sehr teure "Maschine", die hierfür nötig ist, alleine bedienen zu dürfen mussten wir Diplomanden damals an der Uni in Regensburg zunächst einen "Führerschein" (und dafür eine schöne Aufnahme von Siliziumatomen) machen.

Das Mikroskop so an seine Auflösungsgrenzen zu treiben ist nicht einfach - die elektromagnetischen Linsen müssen perfekt justiert, die Probe gut beschaffen, das Vakuum gut, die Temperatur stabil sein (flüssiger Stickstoff sorgt für entsprechende Kälte) und vor allem: Vibrationen sind ein "no go": Unser Mikroskop war dafür extra auf einem tonnenschweren Sockel im Keller der Uni montiert, komplett vom Gebäude entkoppelt. Schon ein schwungvoller Studentenkollege auf einer Treppe irgendwo im Gebäude hätte sonst meine "Führerscheinprüfung" zunichte gemacht. Manche Labore, wie das der Elektronenholografiekollegen aus Dresden, sind daher auch aus der Stadt mitten in den Wald gezogen, um nicht durch die "Vibrationen der Stadt" gestört zu werden. Selbstverständlich ist auch absolute Ruhe im Raum erforderlich - ein Elektronenmikroskop ist ein hochempfindliches Mikrofon, aber im negativen Sinne...##markend##

Wer hätte gedacht, dass die Raumstation, die schwerelos um die Erde driftet, mit ähnlichen Problem zu kämpfen hat? Wir sprechen genau aus diesem Grund nicht von Schwerelosigkeit an Bord der ISS, sondern von Mikrogravitation, also von einer Schwerkraft, die um mehrere Größenordnungen kleiner ist als auf der Erde. Denn freilich wirkt die Erdanziehung auch auf Flughöhe der ISS noch beinahe unvermindert - aber die ISS bewegt sich sozusagen mit einer Geschwindigkeit auf ihrer Bahn, sodass die Fliehkraft die Anziehungskraft genau kompensiert. Freilich gilt dies exakt nur für den Schwerpunkt, sodass bei einer riesigen Struktur wie der Raumstation kleinste, nicht kompensierte Kräfte auftreten, je weiter man sich vom Schwerpunkt entfernt. Dazu kommen auch Effekte wie die Abbremsung durch die Atmosphäre - jeder kennt vom Autofahren, dass Bremsen in Beschleunigungskräften resultiert. Und dann eben Vibrationen. Die Raumstation ist eine hochkomplexe Maschine, auf der Pumpen laufen, Ventilatoren sich drehen, Menschen und Roboter sich hin- und herbewegen. All das führt zu Vibrationen in den verschiedensten Frequenzbereichen - und intuitiv ist klar, dass Schwingungen sich auch am stärksten auswirken, je mehr man sich vom Massenzentrum der Station entfernt.

Im Columbus-Modul der ISS sind daher die Experimentschränke auch entsprechend ihrer Empfindlichkeit gegen "Störungen des micro-g environments" angeordnet: Alles was sehr sensibel ist, liegt in der Nähe der Eingangsluke, über die Columbus mit dem Rest der ISS verbunden ist, also an der dem Massenzentrum naheliegendsten Seite: Hier untersuchen wir Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit oder züchten empfindliche Kristalle. Auf der gegenüberliegenden Seite von Columbus findet dagegen die weniger sensible Forschung statt: Hier haben wir die Racks eingebaut, die sich mit der menschlichen Physiologie befassen - ob die Schwerelosigkeit und Vibrationsarmut bei metabolischen Prozessen im Körper perfekt ist oder nicht, ist nicht von entscheidender Bedeutung für die Experimente.

In der Zukunft soll allerdings auf der Außenplattform von Columbus - auf der weniger günstigen Seite also - ein empfindliches Experiment installiert werden: Das Atomic Clock Ensemble in Space (ACES) [http://wsn.spaceflight.esa.int/docs/others/aces_flyer.pdf]. Dieses soll neue, hochpräzise Atomuhren unter Weltraumbedingungen testen, sowie - wie meistens, wenn hochpräzise Uhren schnell oder "schwerelos" fliegen - Einsteins Theorien verfeinern.

Bevor das Experiment geflogen wird, wollen wir freilich möglichst genaue Werte über die Mikrogravitationsbedingungen am zukünftigen Installationsort bekommen. Deswegen haben wir Tim Peake heute eine erste Vorbereitungsarbeit auf seinen Stundenplan gepackt. Zunächst musste er in Columbus etwas umräumen, um Zugang zum "end cone"-Bereich zu haben. Dann holte er einen der Space Acceleration Measurements System (SAMS)-Sensoren aus dem japanischen Modul, um ihn dann ganz hinten in Columbus an der Struktur des europäischen Labors zu befestigen. Dieses Sensorsystem erlaubt die Messung von Beschleunigungen, Kräften und Vibrationen und wird uns in den kommenden Wochen wertvolle Daten liefern. Unser Team verfolgte Tims Arbeiten über die Kamera - dank der guten Vorbereitung konnte er seine Aufgabe ohne Komplikationen und ohne Fragen zügig erledigen.

In Kürze wird dann die Messreihe beginnen und den Weg dafür ebnen, dass an Columbus bald die Uhren zu ticken beginnen. Dann "läuft die Zeit" - wie auch immer man das interpretieren will...

Quelle: NASA
ESA-Astronaut Tim Peake muss zuerst etwas aufräumen, bevor er den SAMS-Sensor an der Hinterwand von Columbus installieren kann.
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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite