Raumfahrt | 12. Dezember 2018 | von Manfred Gottwald

TanDEM-X-Bild des Hiawatha-Gletschers

Quelle: DLR
TanDEM-X Radaramplitudenbild der Region um Hiawatha. Die Strukturen im Eis kennzeichnen dessen Oberflächenstruktur und Dynamik.

Grönlands Küsten sind durchzogen von zahlreichen Gletschern, die sich, gespeist vom Grönländischen Eisschild, Richtung Meer bewegen. Im Nordwesten findet sich bei 78,8 Grad nördlicher Breite und 67 Grad westlicher Länge der Hiawatha-Gletscher. Er entspringt in einem halbrunden Gebiet am Rande des Inlandeises und bildet eine schmale Gletscherzunge, die sich auf einer Länge von zehn Kilometern in das eisfreie Gebiet von Inglefield Land erstreckt. Hiawathas nördlicher Nachbar, der Humboldt-Gletscher, ist weitaus bekannter; dieser ergießt sich auf einer Breite von mehr als 100 Kilometern in die polaren Gewässer der Nares-Strasse. Das TanDEM-X-Bild zeigt die Region um den Hiawatha-Gletscher.

Jüngst erlangte Hiawatha jedoch weltweite Aufmerksamkeit. Im Rahmen von NASAs IceBridge- Kampagne zur Untersuchung der Veränderung der polaren Eiskappen war vor Jahren mit Hilfe von Radarmessungen eine kreisförmige Depression im Boden unterhalb des Eises am Ursprung des Hiawatha-Gletschers festgestellt worden. Nachfolgende Vermessung eines internationalen Forscherteams mit einem leistungsfähigeren flugzeuggetragenen Radar an Bord der Polar 6 des Alfred-Wegener-Instituts lieferte ein genaues Abbild dieser schüsselförmigen Vertiefung. Mit einem Durchmesser von 31 Kilometern und einer Tiefe von etwas mehr als 300 Metern ähnelte sie Einschlagskratern, wie man sie von der Erde oder den festen Oberflächen anderer Himmelskörper kennt.##markend##

Quelle: NASA
Der Hiawatha-Gletscher und im Hintergrund das halbkreisförmige Gebiet des Inlandseises, in dem er entspringt.

Ob eine runde terrestrische Struktur tatsächlich die Folge eines Einschlags eines Asteroiden ist, lässt sich nur auf Fernerkundungsdaten gestützt jedoch nicht bestätigen. Zahlreiche andere geologische Formen wie Vulkankrater und -calderas oder Intrusionen weisen ähnliche Morphologien auf und leiten oft in die Irre. Zweifelsfrei kann ein Impaktkrater nur durch den Nachweis der bei einem Einschlag entstehenden Schockeffekte im Gestein erfolgen. Dazu zählen Strahlenkegel (shatter cones), Planare Deformationslamellen (planar deformation features) oder Planare Brüche (planar fractures) - letztere nur auf mikroskopischer Ebene in Kristallen. Diese Gesteinsmetamorphose ist ein untrügliches Zeichen eines Einschlags. Nur beim Auftreffen eines extraterrestrischen Projektils mit Geschwindigkeiten von mehr als elf Kilometern pro Sekunde (hypervelocity) und der sich dabei ausbildenden Stoßwelle treten die für die Umwandlung erforderlichen hohen Drucke und Temperaturen auf. In der Erdkruste gibt es keine geologischen Phänomene, welche vergleichbare Bedingungen schaffen.

Nun ist das Auffinden von durch Schockmetamorphose ausgelösten Gesteinsveränderungen, vor allem der mikroskopischen, generell oft ein mühsames Unterfangen. Im Falle der Hiawatha-Struktur erschwert nicht nur die sehr entlegene Position genaue Untersuchungen, mehrere hundert Meter darüber liegendes Festlandseis machen es unmöglich, direkte Gesteinsproben zu entnehmen. Deshalb hatten die beteiligten Wissenschaftler versucht, aus Sedimenten in einer Schmelzflussrinne am westlichen Rand der Struktur Gesteinsproben zu entnehmen, um darin nach Schockmerkmalen zu suchen. Tatsächlich fanden sich in Kristallen Deformationsfiguren, die sich als Schockeffekte interpretieren ließen.

Quelle: Bildverarbeitung DLR unter Nutzung von Copernicus Sentinel-2-Daten / ESA
Sentinel-2 RGB-Aufnahme vom Rand des Grönländischen Eisschildes in Inglefield Land.

Was konnte zum Alter eines Hiawatha-Einschlags gesagt werden? Direkte Altersbestimmung durch radiometrische Methoden entfiel mangels geeigneter Gesteinsproben. Die beteiligten Wissenschaftler schätzten daher das Alter der Struktur anhand seiner jung aussehenden Morphologie sowie bestimmter Eigenschaften des bedeckenden Eisschildes. Ihr Ergebnis datiert einen Einschlag in das Pleistozän, das heißt den Zeitraum der zurückliegenden 2,6 Millionen Jahre mit einer Untergrenze von nur etwa 12.500 Jahren. In letzteren Fall hätte es einen Asteroideneinschlag in prähistorischer Zeit gegeben, vergleichbar mit dem Ereignis vor 15 Millionen Jahren, das den Rieskrater erzeugt hatte, der heute 110 Kilometer nordwestlich von München als einer der am besten untersuchten Impakte gilt!

Quelle: DLR
Farbkodiertes schräg beleuchtetes digitales Höhenmodell von Hiawatha und Umgebung.

Der Fund unter dem Eis erzeugt aber nicht nur einhellige Zustimmung. Namhafte Impaktgeologen zweifeln die vorgebrachten Beweise an. Sie argumentieren, dass der Ursprung des Gesteins, in dem die Schockeffekte gefunden wurden, und seine direkte Herkunft aus der Depression einer genaueren Analyse bedürfen. Vor allem verwundert aber das sehr geringe Alter. Wenn die Struktur deshalb als sehr gut erhalten angesehen wird, sollte neben einem Kraterrand auch ein deutlicher Zentralberg oder innerer Ring zu sehen sein. Dieses Merkmal tritt bei Einschlägen von Asteroiden ab einer gewissen Größe auf, die Krater mit einem Durchmesser größer als vier Kilometer erzeugen. Das Ergebnis ist ein sogenannter komplexer Krater. Kleinere Projektile erzeugen einen einfachen Krater, das heißt eine schüsselförmige Vertiefung mit einem erhöhten Kraterrand. In der Morphologie der Struktur unter Hiawatha fehlt eine ausgeprägte zentrale Erhebung, sie erinnert eher an einen überdimensionierten einfachen Krater. Ebenfalls würde man dicke Auswurflagen in Entfernungen bis zum zehnfachen Kraterdurchmesser erwarten. Solche sind nicht bekannt.

Die kontroverse Diskussion zeigt, dass der sonst relativ unscheinbare Hiawatha-Gletscher noch ein interessantes Betätigungsfeld bietet. Vielleicht steht am Ende dieser Arbeiten die widerspruchsfreie Bestätigung eines Impakts; ansonsten hätte man ein weiteres Beispiel dafür gefunden, wie schwierig es ist, auf unserem Heimatplaneten die Narben kosmischer Einschläge eindeutig nachzuweisen.

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Über den Autor

Manfred Gottwald gehörte dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt seit 1991 an und ist seit einiger Zeit im Ruhestand. Verbunden bleibt Gottwald dem DLR aber weiterhin - unter anderem durch die Arbeiten zu Impaktkratern, für die er Daten der TanDEM-X-Mission nutzt. zur Autorenseite