Raumfahrt | 13. Juni 2018 | von Ralf Dujmovits

Leben und Forschen auf 7000 Meter: die "MyoCardioGen"-Studie des DLR - Teil 2

Quelle: Nancy Hansen
Ralf Dujmovits bei der Blutanalyse im envihab, die alle paar Tage durchgeführt wird.

Seit dem 15. Mai sind die Profibergsteiger Ralf Dujmovits und Nancy Hansen nun schon Probanden der Studie "MyoCardioGen" im DLR. Für die beiden bedeutet dies: Leben unter extremem Sauerstoffmangel, denn so – das ist die Annahme der Studienärzte – könnte das Herz dazu angeregt werden, seine Funktion zu verbessern. Ein solches Ergebnis könnte in Zukunft wiederum Herzpatienten als Therapieansatz zu Gute kommen.##markend##

Rund um die Uhr verbringen die Probanden unter ärztlicher Aufsicht die Tage und Nächte bei einem Sauerstoffgehalt von teilweise nur acht Prozent. Die Nebenwirkungen kennen sie von ihren Touren auf die höchsten Berge der Welt: Kopfschmerzen, erhöhter Blutdruck, extreme Müdigkeit und geringe Belastbarkeit am Tag, Schlaflosigkeit in der Nacht. Oftmals fällt die Konzentration schwer. Im ersten Blog berichtete Ralf Dujmovits über die erste Zeit in der DLR-Forschungsanlage :envihab, in diesem Blog schildert er den typischen Tagesablauf.

Vier Wochen sind Nancy und ich nun schon in der Abgeschiedenheit der fensterlosen Hypoxie-Kammer des :envihab – zehn Tage davon auf 7000 Meter oder knapp darunter. Unzählige Untersuchungen und Tests liegen hinter uns, jede von ihnen ein wertvoller Datensatz für die Wissenschaftler und Ärzte im DLR.

Der Tagesablauf – die Untersuchungen

Jeden Morgen um 7:15 Uhr klingelt der Wecker. Je "höher" wir kommen – das heißt je niedriger der Sauerstoff-Anteil wird - desto mühsamer fällt es, sich zur täglichen Routine aus den Federn zu kämpfen. Jeden zweiten Tag müssen wir unseren Urin sammeln: Alles geht - wie nachts auf Expedition im Zelt - in Weithalsflaschen. Diese werden hier allerdings eingescannt und im Kühlschrank bis zum nächsten Morgen aufbewahrt. Durch die simulierte Höhe nehmen wir tagsüber meist mehr als fünf Liter Flüssigkeit zu uns. Entsprechend hoch sind die Mengen an Sammelurin, der zum Beispiel wichtige Aussagen über Säuregrad des Körpers und Abbauprodukte der Muskulatur gibt. Bis 9 Uhr haben wir Zeit fürs Frühstück (fast immer Müsli mit frischen Früchten; lecker!), danach geht es mit den Routine-Untersuchungen los: Atemgas-Analysen und EKG-Messungen stehen auf dem Programm, Blutdruck- und Sauerstoffsättigungswerte werden erfasst. Bei banal erscheinenden Gangbildbewertungen wird getestet, ob wir fünf Meter problemlos ohne Gangunsicherheit auf einer geraden Linie gehen können. Alle paar Tage werden Blut- und Blutgasanalysen durchgeführt  und natürlich gibt es regelmäßig Temperatur- und Gewichtsmessungen.

Nach diesen Routine-Untersuchungen haben wir jeden Tag einen von zwei Kognitionstests – ein kurzweiliger (der Spaß macht) und ein eher langwieriger (den wir nicht so gerne mögen). Zu den Aufgaben gehört, im Sekundenabstand auftauchende Bilder wiederzuerkennen, die eventuell  bereits drei Bilder zuvor schon einmal zu sehen waren, oder aber auch auf einem Bildschirm voller Zweier einen VIELLEICHT auftauchenden Fünfer schnellstmöglich zu finden und den entsprechenden Knopf zu drücken.

Quelle: Nancy Hansen
Die Kognitionstests gehören nicht unbedingt zu den Lieblingsaufgaben der beiden Bergsteiger.


Im Normalfall haben wir im Anschluss eine Mittagspause mit gesundem 4-Sterne-Mittagessen aus der DLR-Kantine, danach geht’s weiter - entweder mit Ultraschallaufnahmen des Herzens, um unter anderem die Fließgeschwindigkeiten des Bluts oder den Druck zwischen Herz und Lunge zu messen, oder mit Aufnahmen des Herzens oder des Kopfs im Magnet-Resonanz-Tomographen (MRT).
Da das MRT außerhalb der Hypoxie-Kammer steht, tragen wir auf dem Weg dorthin Atemmasken und führen eine Flasche Luftgemisch mit, das genau dem hier aktuell in der Kammer entspricht. Im MRT selbst atmen wir dann auch diese Luftmischung, die zurzeit einer Höhe von etwa 6.700 Metern entspricht. Anstrengend! Vor allem wenn wir zwei Stunden im MRT liegen, und die Blase drückt ;-)

Als wir diesen Wechsel von ‚unserer‘ Kammer zum MRT zum ersten Mal geübt hatten, bekamen wir auch die Möglichkeit seit langem zum ersten Mal wieder ins Freie zu gehen. Trotz des damals eher grauen Wetters ein erhebender Moment!

Die MRT-Aufnahmen sind unglaublich eindrücklich, da wir das Herz quasi aus allen Richtungen schlagen sehen können. Inzwischen sind im Vergleich zum Beginn unserer Studie schon leichte Veränderungen am Herz und am Schlagverhalten zu sehen. Unsere Herzen sind hier schließlich quasi 24 Stunden am Tag unter Volllast und fangen an, sich dieser Dauerbelastung entsprechend anzupassen. Ob damit auch eine Stärkung des Herzmuskels stattfindet, werden wir nach aufwändigen Messverfahren zum Ende der Studie in ersten Ergebnissen erfahren.

Quelle: Nancy Hansen
Zwischen den Untersuchungen bauen Ralf Dujmovits und Nancy Hansen immer wieder Trainingsphasen auf dem Laufband und an der Kletterwand ein.

Am Nachmittag oder auch wenn es zwischen den Untersuchungen Pausen gibt, bauen wir Trainingsphasen ein: Laufen auf dem Laufband, Radeln auf dem Fahrrad-Ergometer oder Klettern an der rotierenden Kletterwand sind unsere Möglichkeiten. Zu Beginn unserer Zeit hier haben wir die Kletterwand – manche sagen auch: Klettern wie auf einem Hamsterrad - noch regelmäßig genutzt. Da wir aber – trotz langsamer Geschwindigkeit und nur 10 Grad Überhang - sehr schnell an unsere Atemkapazitätsgrenzen kommen, haben wir das Klettern etwas zurück gestellt. Das anaerobe Training verursachte Kopfschmerzen. Bei einem Spiroergometrie-Test an der Kletterwand war ich immer erstaunt, dass ich nach zwei – maximal drei Minuten Klettern – das Klettern abbrechen musste.

Die Tage donnern hier in einem unglaublichen Tempo vorbei. Nach einem frühen Abendessen – zumeist proteinreicher Fisch-Belag für unser Lieblings-Dinkelvollkornbrot und alkoholfreies Weizenbier - geht’s zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr schon ins Bett. Die große Höhe – oder vielmehr  der niedrige Sauerstoff-Anteil - nötigen dem Körper viel Schlaf zur Erholung ab.

Weitere acht Tage liegen vor uns – sechs davon auf knapp 7000 Metern Höhe. Wir haben den ursprünglich angepeilten Sauerstoff-Anteil von nur acht Prozent (entsprechend 7.100 Metern Höhe) auf momentan 8,5 Prozent angehoben (entsprechend 6.720 Metern Höhe). Nancy hat sich langsamer an die Höhe angepasst, und ihr Blutdruck der Lungengefäße hat in 6700 Metern den Grenzwert erreicht, den die Studienärzte festgelegt haben. Damit ihr Herz keinen Schaden nimmt, haben wir gemeinsam entschieden, es momentan bei dieser Höhe zu belassen. Vielleicht findet ja noch eine weitere Adaption bei ihr statt, und wir können noch ein paar der verbleibenden Tage dauerhaft den Sauerstoff-Anteil auf lediglich acht Prozent senken.

Nach dem Ende unseres Aufenthalts  in der Hypoxie-Kammer werden wir uns noch einmal mit einem zusammenfassenden Rückblick melden. Wir sind sehr gespannt, ob sich unsere Herzfunktionen im Vergleich zum Studienbeginn verbessern und damit hoffentlich die Grundlage zu einer zukünftigen Herzinfarkt-Therapie gelegt ist.

Drücken Sie uns weiterhin die Daumen – es bleibt unglaublich spannend.

Ralf Dujmovits

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Über den Autor

Ralf Dujmovits kennt Länder wie Peru, Kanada, Tansania, Pakistan, Thailand, Norwegen oder auch Island vor allem von oben - wenn er von Bergen wie dem Mount McKinley, dem Huascarán, dem Kilimanjaro oder dem Nanga Parbat blickte. Er stieg auf allen sieben Kontinenten auf die höchsten Bergen. Er stand als erster Deutscher auf den Gipfeln aller 14 Achttausender. zur Autorenseite

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