Raumfahrt | 09. Mai 2019 | von Friederike Wütscher

AGBRESA: "Im Weltraum hat man viel Zeit, aber keine Tankstelle nebenan" - Docking-Training

Quelle: DLR.
DLR-Doktorandin Sarah Piechowski beim Überwachen des Docking-Trainings einer Probandin

Selber ein Raumfahrzeug durch die unendlichen Weiten des Weltalls steuern und mit riskanten Manövern unter widrigen Umständen an die sichere Raumstation andocken - was sich anhört wie ein Kindheitstraum eines jeden Hobbyastronauten ist für die Probanden der AGBRESA-Bettruhe-Studie tägliche Arbeit: Das Erlernen des Steuerns eines Raumfahrzeugs mit sechs Freiheitsgraden, 6DF, wie es wissenschaftlich korrekt bezeichnet wird, ist eins der zahlreichen wissenschaftlichen Experimente bei der Studie, die die Probanden durchlaufen. Den Weltraum-Flug führen sie allerdings ganz irdisch und Bettruhe-gerecht im Liegen in Köln durch: Insgesamt 20 Docking-"Sitzungen" haben sie am Ende ihrer Bettruhe durchlaufen und dabei die Fertigkeit erworben, ein Raumschiff im All zu steuern und - wenn alles gut läuft - fachgerecht an der Raumstation anzudocken.##markend##

Einige der Probanden lernen schneller, andere langsamer. Aber Schnelligkeit ist eher kontraproduktiv, wie Bernd Johannes, Weltraumpsychologe am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, der das Programm entwickelt hat, weiß:

Quelle: DLR.
DLR-Versuchsleiter und Weltraumpsychologe Bernd Johannes und Doktorandin Sarah Piechowski

"Gerade die Hasardeure, die computerspielerfahren sind und unser System der Fortbewegung mit den Steuerknüppeln schnell lernen, kommen dann an ihre Grenze, wenn sie zu schnell fliegen und vergessen, dass es im All keinen Widerstand für die Bewegung gibt. Dann kommt es schnell zu einem Crash oder sie driften ab und wundern sich, warum das Programm das nicht auffängt. Deshalb sage ich immer allen, dass wir eins zur Genüge haben im All: Zeit. Treibstoff und Sauerstoff dagegen haben wir nur begrenzt."

In der Ruhe liegt die Kraft

Die Computerfreaks unter den Liege-Probanden lernen das Fliegen also leichter, sind aber auch oft zu schnell unterwegs. Diejenigen, die nicht zu den Zockern gehören, brauchen insgesamt länger. Einen Unterschied zwischen Männern und Frauen dagegen konnte Bernd Johannes auch in Vorstudien nicht ausmachen, die Frauen kommen in der Lernkurve insgesamt etwas langsamer voran, aber die End-Performance ist bei beiden Geschlechtern gleich.

Neu bei dem Versuch im Zuge der AGBRESA-Studie ist, dass es nun eine 3D-Version des Lernprogramms gibt. Um herauszufinden, ob diese das intuitive Erlernen der anspruchsvollen Flugmanöver erleichtert, benutzt die Hälfte der Bettruhe-Probanden die neue 3D-Version mit einer Virtual-Reality-Brille, die restlichen Probanden steuern mit dem herkömmlichen 2D-System. Bernd Johannes geht davon aus, dass durch das stereoskopische Sehen mit der VR-Brille eine bessere räumliche Vorstellung vermittelt und somit der Lernprozess verbessert werden kann. Außerdem wurde das sogenannte Eyetracking mit eingebunden, also die Augenbewegung wird während des Trainings verfolgt, um festzustellen, ob diese in Zusammenhang mit der Performance liegt, da die Testperson die Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Entfernung zum Ziel, der Raumstation, abschätzen muss.

Quelle: DLR.
Probandin beim Docking-Training

Das System des 6DF-Programms wurde am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin von Bernd Johannes selbst entwickelt und umgesetzt. Auch für die Anwendung bei der Bettruhe-Studie wurde alles in Eigenproduktion gebaut: Der Aufbau, mit dem die Probanden den Bildschirm und die Steuerknüppel das Experiment im Liegen über sich bedienen, ist von der institutseigenen Werkstatt gebaut: "Das gibt es nicht von der Stange", so Bernd Johannes stolz. Aber auch das Programm, an dem er seit 14 Jahren arbeitet, ist self-made: Er hat es selber entwickelt und bisher mit 22 Probanden im DLR, 30 Probanden in Philadelphia, USA und 17 Probanden in Moskau, Russland getestet, bevor nun die AGBRESA-Probanden ihr Geschick an der für Bettruhe angepassten Version probieren. Die Fähigkeit, ein Raumfahrzeug manuell an ein Raumschiff im Weltraum andocken zu können, ist zu einem wichtigen Bestandteil der bemannten Raumfahrt geworden. Die Anwendung wurde entwickelt, um den Erwerb und den Erhalt dieser Dockingfähigkeit auch bei Langzeitmissionen im Weltraum untersuchen und unterstützen zu können. Bei dem Training spielen nicht nur motorische, sondern vor allem psychologische Fähigkeiten eine Rolle: das Verständnis der komplexen räumlichen Situation und die gleichzeitige synchrone Steuerung von sechs Freiheitsgraden mit zwei völlig unterschiedlichen Steuerknüppeln sind entscheidende Fertigkeiten, die während des Trainings erworben werden.

Wie das russische Original

Jede Trainingseinheit dauert 45 Minuten, das Docking-Experiment findet nur in der Liegephase der Studie statt. Die Probanden werden in dem der Probandenstation benachbarten Modul 5 in eins der beiden Docking-Zimmer gebracht und gehen dort ihrem Flug-Geschäft nach. Bedient wird das Raumschiff mit zwei Steuerknüppeln, die genau wie die original russischen Steuerknüppel funktionieren. "Für viele der Probanden ist unser Training das Highlight der Woche!", freuen sich Bernd Johannes und seine Doktorandin Sarah Piechowski. Sie bemerken bereits jetzt zur Halbzeit des Trainingsprogramms einen Fortschritt bei den Probanden und ihren Flugfähigkeiten und freuen sich schon auf die großen Datenmengen, mit deren Auswertung sie bereits angefangen haben. Dafür lohnt sich der hohe Einsatz der Probanden als auch der Untersucher, die nahezu jeden Tag vor Ort sind.

Quelle: DLR.
Eingang zu Modul 5 in :envihab

 

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Über den Autor

Friederike Wütscher ist am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und stellt die vielfältigen Arbeits- und Themengebiete des Instituts nach außen dar. Besonders diese Vielfalt und die aufwendigen Studien, die das Institut in :envihab und den weiteren Forschungsanlagen durchführt, begeistern sie. Deshalb ist sie auch immer wieder bei verschiedenen Projekten vor Ort im Einsatz und kann direkt vom Studiengeschehen berichten. zur Autorenseite

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