Digitalisierung | 24. Juli 2020 | von Anko Börner

Mit Sensor-Knowhow die "Black Box" erhellen

Quelle: DLR
 

Informations- und Kommunikationstechnologien begleiten unser tägliches Leben seit geraumer Zeit. Eine stetig wachsende Zahl von Computern, Kameras, Mobilgeräten etc. generiert mehr und mehr Daten. Große Datenbanken speichern diese Daten, und leistungsfähige Netzwerke verteilen sie bei Bedarf an jeden Ort auf der Erde. Unterstützt durch die Entwicklung performanter Algorithmen und geeigneter Hardware ist es Forschergruppen gelungen, Lösungen für äußerst anspruchsvolle und herausfordernde Problemstellungen zu finden. Echtzeit-Gesichtserkennung auf Smartphones, die Klassifikation von Fernerkundungsdaten oder das autonome Fahren verdeutlichen beispielhaft, was heutzutage (zumindest unter Laborbedingungen) möglich ist.##markend##

Mit einer Geschwindigkeit, die mindestens genauso groß ist wie die der technischen Entwicklungen,  wachsen die Erwartungen und Anforderungen potentieller Nutzer solcher Technologien. Wenn Anwendungen in operationellen Umgebungen wie auf Satelliten oder in Fahrzeugen zum Einsatz kommen sollen, sind hohe technologische Reifegrade und herausragende Qualitätsmerkmale zwingend notwendig.
Darüber hinaus wird immer deutlicher, dass die Menge und Heterogenität der Daten den klassischen Verfahren der Datenverarbeitung Grenzen setzt. Diese klassischen Methoden basieren auf physikalischen Modellen und funktionieren gut, wenn das Problem in analytischer Form beschrieben werden kann. Für komplexere Aufgabe, zum Beispiel die Ableitung semantischer Informationen, ist eine solche Herangehensweisen nicht mehr umsetzbar. An dieser Stelle kommen Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) ins Spiel.

Quelle: DLR

Mit dem neuen Forschungsschwerpunkt 'Sensor AI' wollen wir am DLR-Institut für Optische Systeme gemeinsam mit weiteren Instituten des DLR sowie externen Partnern (z.B. mit dem DLR-Institut für Datenwissenschaften in Jena, dem DLR-Institut für Robotik und Mechatronik, dem Einstein Center Digital Future und der TU Berlin) unser Wissen über Sensoren in die KI-basierte Datenverarbeitung einbringen. So soll mehr Licht in die "Black Box" gebracht werden - in die Methoden, mit dem eine KI Daten auswertet und Entscheidungen fällt. Folgende Forschungsfragen stehen dabei im Vordergrund:

  • Können wir das Wissen über Sensoren nutzen, um die Qualität von Methoden der Künstlichen Intelligenz zu bewerten und zu verbessern?
  • Wie können physikalische und datenbasierte Modelle verknüpft werden bzw. voneinander partizipieren?
  • Wie kann es gelingen, KI-Methoden in einen Sensor zu integrieren?
  • Wie können KI-Systeme für die Raumfahrt genutzt werden?

Das Geheimnis der Neuronalen Netze

KI hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, speziell Verfahren des Machine Learning (ML) liefern bemerkenswerte Ergebnisse für Problemstellungen, die vor ein paar Jahren noch als unlösbar galten. Deep Neural Networks, Recurrent Neural Networks und Convolutional Neural Networks sind heutzutage Standardtechnologien bei der Erforschung von Lösungen für komplexe Fragestellungen in unterschiedlichen Anwendungsgebieten, zum Beispiel in der Bildverarbeitung oder in Kommunikationssystemen.

Nach wie vor stehen wir vor der großen Herausforderung, besser nachzuvollziehen, was in Neuronalen Netzen passiert. Es wird bisher nicht ausreichend verstanden, warum Entscheidungen getroffen werden und wie sicher diese Entscheidungen sind. Zuverlässige Qualitätsmetriken sind schwer ableitbar, aber nötig, um solche modernen Technologien operationell einzusetzen und letztlich zu zertifizieren. Erklärbarkeit und Transparenz von Neuronalen Netzen ist deshalb ein aktueller Forschungsschwerpunkt.

Mit zunehmenden Erfahrungen verstehen wir immer besser, welche Möglichkeiten KI bietet und welchen Begrenzungen sie unterliegt. Dabei ist festzustellen, dass einem wesentlichen Element der gesamten Prozesskette bisher zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwird - der Sensorik selbst. Mit dem Thema 'Sensor AI' wollen wir diese Lücke schließen.

Der Sensor - komplex, aber erforscht

Typischerweise starten KI-Ansätze mit Daten, aus denen Informationen oder Handlungsanweisungen abgeleitet werden. Die Prozesse der Datengewinnung beziehungsweise die Umstände, unter denen die Daten erzeugt werden, finden kaum Berücksichtigung bei der Datenverarbeitung. Bilder von Kameras, mit denen ein Neuronales Netz angelernt wird, sind in der Regel nicht mit Angaben über die Verzeichnung des Objektivs, über das Rauschen des Detektors oder über die Temperatur des Instruments annotiert, obwohl das Resultat (in dem Fall die Bilder) von diesen Parametern abhängt.

Sensoren sind komplexe Einheiten, die physikalische Eigenschaften eines Objekts und der Umgebung in ein (meist digitales) Signal wandeln. Die physikalischen Wirkmechanismen von Sensoren sind gut verstanden, die dazugehörigen mathematischen Modelle wurden in den letzten Jahrzehnten entwickelt und verifiziert. Mit Hilfe solcher Modelle (auch digitale Zwillinge oder digital twins genannt) können Sensoren über ihren gesamten Lebenszyklus von der Entwicklung bis zum operationellen Einsatz charakterisiert, überwacht und gesteuert werden. Dieses Knowhow soll genutzt werden, um informationstechnische Modelle aus der KI-Welt mit der physikalischen Realität und letztlich Bits und Bytes mit SI-Einheiten zu verbinden.

Anwendungen für 'Sensor AI' in der Raumfahrt

Von einem solchen 'Sensor AI'-Ansatz können viele wissenschaftliche Disziplinen profitieren. Weltraumgestützte optische Instrumente  wie Kameras oder Spektrometer sind perfekt geeignet, um das Potential dieses Ansatzes zu demonstrieren. Sie erzeugen zum einen Daten mit einem kaum abschätzbaren Informationsgehalt, sie sind extremen Bedingungen ausgesetzt und die einsetzbaren Ressourcen sind äußerst begrenzt. Es verbietet sich quasi von selbst, einen Grafikprozessor mit einer Leistung von 500W auf einen Satelliten zu bringen. Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen an solche Instrumente immer mehr. Die Datenraten räumlich oder spektral hochauflösender optischer Sensoren übersteigen bei weitem die aktuellen Downlink-Kapazitäten von Satelliten. Die Menge an Daten macht eine zeitnahe Auswertung schwierig, wird aber gefordert.

Welche konkreten Beispiele für eine Anwendung von 'Sensor AI' sind denkbar? Eine Onboard-Datenverarbeitung,  gegebenenfalls sogar auf semantischer Ebene, ist ohne KI schwer vorstellbar. Erste Konzepte und Ansätze existieren bereits, akzeptiert werden diese aber nur, wenn die Qualität der abgeleiteten Informationen sichergestellt wird. Und das wird nur gelingen, wenn die komplexen physikalischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.

Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die Modellbildung solcher Systeme, die für die Definition von technischen Requirements, die Optimierung des Instruments oder die Charakterisierung/Kalibration eines optischen Instruments benötigt wird. Eine vollständige Simulation solcher Systeme mit ihren zeitlich veränderlichen thermischen, mechanischen, elektrischen und optischen Eigenschaften ist nicht leistbar. Hier kann KI helfen, komplexe Modelle näherungsweise zu beschreiben.

Ähnliche Anwendungsbeispiele können auch in anderen Anwendungsdomänen, wie zum Beispiel beim autonomen Fahren, der Robotik oder der Medizintechnik gefunden werden.

'Sensor AI' wird die Qualität von KI-Methoden und -Systemen verbessern, die Effizienz von KI-Technologien  erhöhen und die Entwicklung hardwarenaher Lösungen unterstützen. Unser  Ziel ist es, KI in konkrete Applikationen zu bringen und damit die High-Tech-Strategie  der Bundesregierung zu unterstützen.

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Über den Autor

Anko Börner ist Leiter der Abteilung Echtzeit-Datenprozessierung am DLR-Institut für Optische Sensorsysteme in Berlin. Er hat Elektrotechnik an der TU Ilmenau studiert und "landete" bei einem Praktikum am DLR, das ihn seit dieser Zeit nicht mehr loslässt. zur Autorenseite