Luftfahrt | 08. Juni 2021 | von Florian Wozny

Durch CO2-Kompensationen klimaneutral Fliegen: Eine Zwischenlösung

Flugzeug am Himmel
Quelle: DLR/Alejandro Morellon (CC-BY 3.0)
Die umweltverträglichere Luftfahrt der Zukunft – Zwischenziel klimaneutrales Fliegen

Seit 2021 müssen Fluggesellschaften Emissionen auf internationalen Flügen ausgleichen, die über den durchschnittlichen Werten des Jahres 2019 liegen. Dies geschieht mithilfe von CO2-Kompensationsprojekten, die beispielsweise in erneuerbare Energien oder den Erhalt von Wäldern investieren, also Treibhausgasemissionen reduzieren oder speichern. Hierfür werden anschließend Gutschriften ausgestellt. Die Klimawirkung der Gutschriften hängt allerdings stark von den zugrundeliegenden Projekttypen ab. In einem neuen DLR-Diskussionspapier zeigen mein Team und ich die Grenzen der Kompensationspflicht auf.

Steigende Treibstoffkosten haben bereits zu Investitionen der Fluggesellschaften in technologische Weiterentwicklungen geführt, da sie etwa ein Drittel der gesamten Betriebskosten ausmachen. So wurden zum Beispiel die Antriebe und Verbrennungsprozesse über die Jahre verbessert. Pro Jahr sinkt der Treibstoffverbrauch um etwa zwei Prozent. Die Umweltvorteile wurden jedoch durch die enorme Zunahme an Luftverkehr egalisiert. Die Politik steht vor einem Dilemma.##markend##

Wie kann es also weitergehen? An neuen Technologien für sauberes Fliegen wie synthetischen Kraftstoffen wird noch geforscht. Die rasanten Fortschritte bei Elektroautos sind nicht auf den Luftverkehr übertragbar, da Batterien mit der nötigen Leistung für Flugzeuge zu schwer sind. Eine direkte Wasserstoffverbrennung wäre technologisch machbar, trägt aber zu sogenannten Nicht-CO2-Klimaeffekten oder auch Kondensstreifen bei, deren Klimawirkung mindestens ebenso groß ist wie die von CO2.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Kompensation von CO2-Emissionen aus dem Luftverkehr nach aktuellem Stand der Antriebstechnologien eine attraktive und "schnelle" Lösung für die Branche. Aus diesem Grund wurde das Kompensationsprogramm CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) beschlossen. Es verpflichtet Fluggesellschaften seit diesem Jahr, CO2-Emissionen mit Kompensationsgutschriften auszugleichen. Dies gilt jedoch nur eingeschränkt, nämlich für Emissionen auf internationalen Flügen und auch nur dann, wenn sie über dem Durchschnittswert des Jahres 2019 liegen.

Die CO2-Kompensation ist sehr komplex. Drei grundlegende Kriterien sind für ihre Klimawirkung unerlässlich und bilden die Basis von CORSIA:

  1. Zusätzlichkeit
    Es muss sichergestellt werden, dass ohne ein Kompensationsprojekt keine Kohlenstoffreduktion stattgefunden hätte. Dieses Kriterium ist nicht erfüllt, wenn zum Beispiel ein Windpark, der heute durch ein Kompensationsprojekt finanziert und gebaut wird, morgen aufgrund anderer Umstände oder wegen der finanziellen Attraktivität ohnehin entstanden wäre.
     
  2. "Non-Leakage"
    Kohlenstoffreduzierungen an einem Ort dürfen nicht dazu führen, dass sich Kohlenstoffemissionen an anderer Stelle erhöhen. Wenn zum Beispiel ein Wald durch ein Kompensationsprojekt unter Schutz gestellt wird, der von Abholzung bedroht ist, muss sichergestellt werden, dass nicht stattdessen an anderer Stelle eine Abholzung stattfindet.
     
  3. Dauerhaftigkeit
    Die Reduktion von heute kann morgen schon wieder aufgehoben sein. Der Schutz von Wäldern muss zum Beispiel für mindestens 100 Jahre gewährleistet sein, damit eine Klimawirkung eintritt. Das ist eine ziemlich lange Zeit, wenn man bedenkt, wie sehr der Mensch die Landschaft in den letzten 100 Jahren verändert hat.
     

Es sind Unternehmen und Non-Profit-Organisationen entstanden, die die Einhaltung der Kriterien versprechen, indem sie Kompensationsprojekte zertifizieren und überwachen. Unter CORSIA sind nur Projekte von zertifizierten Organisationen zugelassen. Dennoch: Das Angebot von zertifizierten Gutschriften ist gewaltig. Durch die Analyse des CORSIA-fähigen Angebots habe ich mit Kolleginnen und Kollegen im Rahmen einer Studie zeigen können, dass der Großteil der Kompensationen in Projekten generiert wird, die den oben beschriebenen drei Kriterien oftmals nicht genügen. CORSIAs Versprechen der Klimaneutralität lässt sich hiermit sehr schwer erfüllen.

Quelle: Wozny et al. 2021
Die Abbildung veranschaulicht den Anteil, den die größten Kompensationsprojekte am Gesamtangebot der drei wichtigsten Verifizierungsstandards CDM, Gold Standard und VERRA haben. Projekte, die größer als 80 Prozent der anderen Projekte sind, machen weit mehr als die Hälfte aller Kompensationsangebote aus.

Zertifizierungsorganisationen befinden sich in einer Zwickmühle. Je höher die Nachfrage nach Kompensationsgutschriften ist, desto größere Projekte werden benötigt, um die Nachfrage zu bedienen. Doch je größer die Projekte sind, desto schwieriger wird es, die drei Kriterien für die Klimawirkung zu erfüllen. Zum Beispiel sind größere Projekte aufgrund von Skaleneffekten profitabler und damit attraktiver für private Investoren. Dies stellt allerdings das Zusätzlichkeitskriterium in Frage. Denn sobald etwas finanziell attraktiv ist, entstehen oftmals bereits durch die Markmechanismen Geschäftsmodelle. Positive Klimaeffekte wären also nicht mehr zusätzlich.

CO2-Kompensationen bei Buchungsvorgängen kaufen – (K)eine gute Idee?

Über die Klimawirkung des Reisens sind sich die Menschen in letzten Jahren immer bewusster geworden. "Flugscham" wurde zum Schlagwort für das Verantwortungsempfinden. CO2-Kompensationen, die bei der Buchung von Flügen als Optionen angeboten werden, sind unabhängig von CORSIA und als freiwilliges Zusatzkonzept zur Förderung von Projekten zur Treibhausgasreduktion sicherlich sinnvoll. Wer reist, sollte sich allerdings im Klaren sein, dass CO2-Kompensationen nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer klimaverträglicheren Luftfahrt sind. Sie sollen kein Gefühl einer vollkommenen Entlastung vermitteln oder Reisende sogar dazu animieren, mehr zu fliegen. So interpretiert, wären CO2-Kompensationen sogar schädlich für das Klima.

Für Flugreisende ist es nicht leicht, Kompensationsprojekte mit einer hohen Klimawirkung zu erkennen. Sie können eine Tonne CO2 bereits für drei Euro kompensieren. Wählt man ein anderes Kompensationsprojekt, kann die Tonne CO2 aber auch mit 25 Euro zu Buche schlagen. Das grundlegende Problem ist hier, dass die Preise von Kompensationsgutschriften nicht viel über Klimawirkung der dahinterliegenden Projekte aussagen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass teurere Gutschriften nicht zwangsläufig eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, das wichtige Kriterium der Zusätzlichkeit zu erfüllen. Wir können die Preise also nicht als Daumenregel verwenden, sondern müssen genauer hinschauen.

Es gibt Kompensationsgutschriften mit guter Klimawirksamkeit, die Fluggäste direkt bei der Airline oder bei Drittanbietern erwerben können. Ein Beispiel sind hier zertifizierte Projekte zur Verbesserung der Energieeffizienz privater Haushalte – zum Beispiel durch die Bereitstellung von ressourcensparenden Kochöfen, da Essen in vielen Ländern noch unter hohem Energieverbrauch über offener Flamme zubereitet wird. Auch regulatorisch ließe sich etwas verbessern, etwa durch eine restriktivere Auswahl von zugelassenen Kompensationsprojekten unter CORSIA.

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Über den Autor

Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Köln hat Florian Wozny in Potsdam am Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung promoviert und zeitgleich am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn an umwelt- und gesundheitsökomischen Fragestellungen geforscht. zur Autorenseite