Raumfahrt | 21. September 2021 | von Celia Baumhoer

Befliegungskampagne auf dem Aletschgletscher

DLR%2dWissenschaftler auf dem Weg über den Gletscher zur Konkordiahütte
Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Der Weg über den Gletscher zur Konkordiahütte

Der Aletschgletscher ist ein Gletscher der Superlative. Mit einer Länge von über 22 Kilometern und einer Mächtigkeit von bis zu 900 Metern ist er der größte Gletscher der Alpen. Ein Fünftel der gesamten Eismasse in der Schweiz wird alleine durch den Aletschgletscher gespeichert. Natürlich geht der Klimawandel auch am Aletschgletscher nicht spurlos vorüber. Wie hat sich die Schneebedeckung in den letzten Jahrzehnten in der Aletsch-Jungfrau-Region verändert? Wie viel Masse verliert der Gletscher pro Jahr? Diesen und weiteren Fragen geht Anfang September für zwei Wochen ein DLR-Team im Rahmen des Polar-Monitor-Projekts mit hochaufgelösten Luftbildern und verschiedenen Satellitensensoren auf den Grund.##markend##

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Ausblick über den Aletschgletscher. Links ist das Jungfraujoch mit dem Sphinx-Observatorium zu sehen.

Unsere Reise beginnt an der 3454 Meter hoch gelegenen Station Jungfraujoch, der höchstgelegenen Bahnstation Europas. Mit der elektrischen Zahnradbahn starten wir an der Kleinen Scheidegg und werfen noch einen letzten ehrfürchtigen Blick auf die Eigernordwand, bevor die Bahn im dunklen Tunnel zum Jungfraujoch verschwindet. Kaum vorstellbar, dass der Tunnel durch Eiger und Mönch anfangs nur in Handarbeit gebaut wurde und es ganze 16 Jahre Bauzeit benötigt hat, bevor die Bahn 1912 in Betrieb genommen werden konnte.

Am Jungfraujoch angekommen, machen wir uns auf den Weg zur Mönchsjochhütte, um dort unseren Bergführer zu treffen. Für uns bedeutet das weitere 200 Höhenmeter Aufstieg, diesmal aber zu Fuß mit schwerem Gepäck durch sulzigen Schnee. Doch der grandiose Blick über den Aletschgletscher entschädigt uns für die Mühen. Nachts auf der Hütte kämpfen wir noch mit der Akklimatisierung. „Hier schläft man nicht, hier ruht man“, meint unser Bergführer knapp. Nach einer schlaflosen Nacht machen wir uns vor Sonnenaufgang auf den Weg über den Gletscher, um mehrere Passpunkte auszubringen oder markante Gegenstände wie zum Beispiel Gebäudeecken oder Regenmesser auszuwählen, die später als Referenzpunkte für die Luftbildaufnahmen dienen werden.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Die charakteristische schwarz-weiße Passpunktmarke wird mit GPS eingemessen. Sie wird später ein Referenzpunkt für die Luftaufnahmen.

Der erste Punkt erweist sich als besonders spannend. Damit wir den Regenmesser auf einem Felsvorsprung einmessen können, muss ein Bergschrund überwunden werden. Hier klafft das Eis weit auseinander. Hoffentlich hält die nur zentimeterdicke Schneebrücke über dem tiefen Abgrund! Das Ausbringen der weiteren Passpunkte erweist sich als deutlich einfacher. Geradezu gemütlich laufen wir in Seilschaft mit Steigeisen den Gletscher hinunter und bringen an geeigneter Stelle weitere Passpunkte aus. Schwarz-weiße Planen werden ausgelegt und mit Nägeln im Schnee und Eis fixiert, bevor sie mit dem GPS auf bis zu einen Zentimeter genau eingemessen werden.

Nach 15 Kilometern Fußmarsch sind fast alle Punkte ausgebracht und unser Ziel, die Konkordiahütte, ist fast erreicht. Fast, wären da nicht noch die 467 Treppenstufen und etliche Höhenmeter zu überwinden. Hier zeigt sich der Einfluss des Klimawandels sehr deutlich: Als die erste Hütte am Konkordiaplatz im Jahr 1877 gebaut wurde, lag sie nur knapp über dem Gletscher. Inzwischen hat der Aletschgletscher so sehr an Mächtigkeit verloren, dass sich die Hütte heute auf einem Felsvorsprung – 200 Meter über dem Gletscher – befindet.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Auf dem Rückweg zur Konkordiahütte. Der rote Kreis zeigt die Lage der Hütte circa 200 Meter über dem Gletscher.
Quelle: © DLR / Matthias Geßner
Nach vollbrachter Arbeit darf man die grandiose Aussicht genießen

Auf dem Rückweg zum Jungfraujoch machen wir noch an einer der Mittelmoränen halt, um dort den letzten Passpunkt auszubringen. Man kann sich die Mittelmoränen wie Förderbänder vorstellen. An den Seiten der Gletscher fällt Schutt von den Felswänden auf das Eis und wird langsam Richtung Tal transportiert. Genaugenommen bildet sich der Große Aletschgletscher erst dort, wo am Konkordiaplatz das Ewigschneefeld, der Jungfraufirn und der Große Aletschfirn zusammenfließen. Durch den Zusammenfluss werden aus den anfänglichen seitlichen Schutthalden die charakteristischen Mittelmoränen.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Die charakteristischen Mittelmoränen auf dem Aletschgletscher
Quelle: © Lorenz Frutiger
Einmessen eines Passpunktes auf der Mittelmoräne

Der Anstieg zurück zum Jungfraujoch zieht sich in die Länge. Von Anfang an thront das Sphinx-Observatorium auf dem Felsvorsprung des Jungfraujochs und sieht zum Greifen nah aus. Unser Ziel ist die Forschungsstation am Jungfraujoch, zu der auch das Observatorium gehört. Neben der Glaziologie sind hier viele weitere Forschungsdisziplinen vertreten, beispielsweise die Atmosphärenwissenschaften, Medizin, Meteorologie und Biologie.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Das Sphinx-Observatorium und die Forschungsstation unten rechts im Felsen

Irgendwann ist auch der Anstieg aufs Jungraujoch geschafft, doch am Abend ist die Enttäuschung groß, als ein unvorhergesehener Schneesturm über uns hinweg zieht. Sind die neu angebrachten Passpunkte noch sichtbar oder eingeschneit? Nach einem Erkundungsflug mit der Drohne am nächsten Morgen steht es fest: Unsere Targets sind eingeschneit. Jetzt heißt es abwarten und schauen, wann Flugwetter ist.

Die Forschungsstation wurde 1931 in den Felsen gebaut. Neben urigen Schlafräumen gibt es hier eine Bibliothek, die sich perfekt zum Arbeiten eignet und einen grandiosen Blick auf den Aletschgletscher bietet. Über diesen Komfort können wir uns glücklich schätzen, denn die ersten Wissenschaftler am Jungfraujoch mussten sich Schneehöhlen unterhalb des Mönchs graben, um hier forschen zu können.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Erkundungsflug mit der Drohne

Das Jungfraujoch – ein unwirklicher Ort der Gegensätze

Tagsüber kommen Touristen aus aller Welt, um das UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch zu bewundern, im Eispalast durch den Gletscher zu wandern oder sich in einem der unzähligen Souvenirshops einzudecken. Über 1 Million Besucher pro Jahr kommen hierher. Aber wenn die letzte Bahn talwärts gefahren ist, kehrt Ruhe ein und die unzähligen Tunnel wirken fast geisterhaft. Die einstige Herberge ist vor einigen Jahrzehnten abgebrannt und so bleiben nur wir Forschende und die Betriebswarte der Forschungsstation zurück. Dieses Privileg genießen wir sehr, insbesondere bei gutem Wetter. Mit dem schnellsten Aufzug der Schweiz (111 Meter Höhenunterschied in 25 Sekunden) kann man auf die Terrasse des Sphinx-Observatoriums fahren und atemberaubende Sonnenuntergänge beim Klang des Alphorns bestaunen.

Quelle: © DLR/Celia Baumhoer
Sonnenuntergang von der Sphinx-Terrasse aus betrachtet

Endlich ist Flugwetter angesagt – doch dann…

Um 5 Uhr heißt es: Aufstehen! Erneut machen wir uns auf den Weg zur Konkordiahütte, um die Passpunkte vom Schnee zu befreien. Zudem müssen die Passpunkte erneut eingemessen werden, damit man die Gletscherfließgeschwindigkeit bestimmen kann. Neben der Gletscherfließgeschwindigkeit wird die Befliegung Aufschluss über die Massenbilanz des Gletschers geben. Das MACS-Kamerasystem nimmt Luftbilder und ein Höhenmodell auf, welches mit bestehenden Höhenmodellen verglichen werden kann, um den Rückgang der Eismächtigkeit zu bestimmen. Die hochaufgelösten Luftbilder werden genutzt, um die aktuelle Schneebedeckung zu bestimmen und dienen als Validierungsdaten für das "Global SnowPack" des DLR - einem Datensatz zur täglichen Schneebedeckung abgeleitet aus Satellitendaten.

Beim ersten Punkt angekommen, betrachten wir erstaunt die verformte Passpunktmarke. Unter den schwarzen Bereichen ist der Schnee deutlich stärker geschmolzen als unter den Weißen. Andersherum macht man sich den Effekt zunutze, indem Gletscher im Sommer mit weißen Planen abgedeckt werden, um die Reflexionsstrahlung zu erhöhen und ein Abschmelzen zu verringern.

Quelle: © Peter Baracchi
Der Aufstieg zum Jungfraujoch

Am nächsten Tag werden bodengestützte Referenzdaten zur Schneebedeckung gesammelt. Geplant war das zeitgleich zur Befliegung. Doch leider hat das Militär den Luftraum für die nächsten Tage zur Sperrzone erklärt. Wir können nicht. Enttäuscht laufen wir zurück zur Forschungsstation.
 
Doch zu guter Letzt hat sich das Warten gelohnt und beim Einmessen des letzten Passpunkts am Ostgrat der Jungfrau werden wir mit einem grandiosen Ausblick über den Aletschgletscher belohnt, der den meisten Besuchern vorenthalten bleibt. Und der Blick in den Himmel ist nicht weniger erfreulich: Unser Flugzeug mit dem MACS-Kamerasystem kreist über unseren Köpfen und kann endlich die ersehnten Luftbilder aufnehmen!

Quelle: © DLR/Jörg Brauchle
Ausblick aus dem motorisierten Segelflieger über den Aletschgletscher

 

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Über den Autor

Celia Baumhoer ist Wissenschaftlerin am Earth Observation Center (EOC) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Team für kalte und polare Regionen. zur Autorenseite