Raumfahrt | 23. März 2022 | von Tom Uhlig

Ein Außeneinsatz ist kein Spaziergang

Quelle: NASA/ESA/DLR
Jeder Außenbordeinsatz muss genauestens vorbereitet werden – von Seiten der Astronauten ebenso wie von den Mitarbeitern im Kontrollzentrum.

Unsere Astronautenkollegen werden nicht müde, zu betonen, dass ein Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS eben kein „Spaziergang“ ist, wie man so üblicherweise leicht daher sagt. Jeder Extravehicular Activity (EVA) gehen akribische Vorbereitungen, spezifisches Training und Arbeiten von dutzenden von Experten voraus – so auch diesem Außeneinsatz heute von Matthias Maurer und Raja Chari.##markend##

Wir hatten bereits letzte Woche am Dienstag einen Außeneinsatz (Kayla Barron und Raja Chari) – wobei man betonen muss, dass diese üblicherweise nicht wöchentlich, sondern wesentlich seltener stattfinden. Die zeitliche Nähe macht alles nochmal etwas anspruchsvoller...

Wenn man nur einmal auf den Stundenplan der Astronauten der vergangenen Woche schaut, dann bekommt man einen Eindruck davon, wie aufwändig ein Außeneinsatz ist – wobei freilich die Vorbereitungen „bei uns am Boden“, für die man noch einmal ein Vielfaches der Zeit ansetzen müsste, noch gar nicht mitgerechnet sind: Da mussten zunächst die Batterien und die Wasserversorgung der beiden EMUs (EVA Mobility Units – die „Raumanzüge“ eben) aufgeladen und nachgefüllt und das System regeneriert werden, was Sauerstoff zur Verfügung stellt und Kohlendioxyd bindet.

Dann ein Riesenzeitaufwand: Beide Astronauten waren – über mehrere Tage verteilt - insgesamt jeweils um die acht Stunden damit beschäftigt, die verschiedenen Teile, Werkzeuge und Geräte zusammenzustellen, zu testen und zu prüfen, die für den EVA benötigt werden. Die 30-seitige Prozedur für den detaillierten EVA-Ablauf sorgt auch dafür, dass jeder Gegenstand schließlich genau an der Stelle mit der richtigen Einstellung greifbar ist, wo er später benötigt wird – auch das bereits eine logistische Meisterleistung.

Die wichtigen Notfallprozeduren wurden noch einmal trainiert: Matthias und Raja absolvierten ein „On-Board-Training“ (OBT) für das Warn- und Alarmsystem der EMUs und für das Verhalten im Fall einer ungeplanten „Ammoniakdusche“ – das äußere Kühlsystem der ISS wird mit diesem gefährlichen Stoff betrieben – sollten die Astronauten hiermit unabsichtlich kontaminiert werden, so muss klar sein, was für die Dekontamination zu tun ist.

Kayla Barron und Tom Marshburn, die die EVA-Astronauten mit dem Roboterarm unterstützen werden, hatten drei Stunden lang Zeit, noch einmal ihre Prozeduren zu durchdenken und miteinander zu besprechen, und weitere zwei Stunden führten auch sie noch einmal ein „On-Board-Training“ hierzu durch. Natürlich mussten auch Raja und Matthias sich noch einmal ausgiebig mit ihren komplizierten Aufgaben „außen“ befassen, sich die Wege über die Außenseite der ISS einprägen, die Koordinationsschritte durchsprechen. Dazu hatten sie dreimal jeweils etwa zwei Stunden Gelegenheit – jeweils gefolgt von einer einstündigen Konferenzschaltung mit den Experten in Houston, wo sie nochmal die Gelegenheit für Fragen hatten. Auch ein Trainingsmodell der komplizierten Stecker, mit denen sie während des EVAs hantieren mussten, wurde hervorgeholt und noch einmal ausgiebig begutachtet und die besten Handhabungsmöglichkeiten ausprobiert.

Nachdem es an einem Raumanzug beim letzten EVA Probleme mit den Helmlichtern gegeben hatte – etwa die Hälfte des EVAs geschieht ja im Dunklen bei den nur 90 Minuten langen „ISS-Tagen“ – half Kayla am Sonntag aus und kümmerte sich um weitere Tests und die Reparatur der Scheinwerfer.

Wer glaubt, die Weltraumanzüge stünden wie unsere Schuhe bereit zur Nutzung im Schuh- oder hier eben EMU-Regal, der irrt: Auch die Anzüge müssen zunächst aus mehreren Teilen zusammengebaut werden – und jeweils mit Teilen der passenden Größe: An den Hard Upper Torso (HUT) musste Matthias eine passende „Leg assembly“ hinbauen, sein EMU bekam neue „Lower Arms“, er tauschte die amerikanische gegen die deutsche Flagge aus und klebte das Expedition-66-Patch auf. Das Disposable In-Suit Drink Bag (DIDB), woraus der EVA-Astronaut während seines stundenlangen Einsatzes über einen im Helm installierten Strohhalm trinken kann, wird aufgefüllt und eingebaut. Schließlich prüften die beiden EVAler noch einmal alle batteriegetriebenen Komponenten des Raumanzugs, Scheinwerfer, Kameras, Handschuhheizer, und den Datenrekorder des EMUs, schlossen die „Comm Cap“ an, die Mikrofon und Kopfhörer integriert hat, und nahmen die Lautstärkeeinstellungen vor. Da sie unmöglich die 33-seitige Prozedur für den EVA-Ablauf im Kopf behalten können, hat Houston für sie die wichtigsten Informationen in einer mehrseitigen Minicheckliste zusammengestellt, die sie am Handgelenk mitführen können. Diese Prozedur musste auch noch ausgedruckt und angebracht werden.

Besonders faszinierend: Die vielen Stunden der Vorbereitung mussten innerhalb einer Woche eingeplant werden, „verschränkt“ mit den Aufräum- und Abschlussarbeiten des vergangenen EVAs, „gefaltet“ mit einem Besatzungswechsel inklusive Ab- und Andocken, und „integriert“ mit den trotzdem weiterlaufenden anderen Aktivitäten, „ganz nebenbei“ etwa eine Konferenz mit dem deutschen Bundeskanzler... Aber inzwischen sind unsere Planungsteams da wirklich exzellent!

Zuletzt ging es dann an die Vorbereitung der Luftschleuse. Diese musste in die korrekte Konfiguration gebracht, die essentiellen Gegenstände bereitgelegt werden. Nachdem die Astronauten hier eine Zeitlang von der übrigen Raumstation isoliert sein werden, wurden auch Feuerlöscher und Notfallatemgeräte hereingebracht – sicher ist sicher.
Gestern dann noch einmal eine Private Medical Conference (PMC) mit ihren Flugärzten, um sich ein letztes Mal zu versichern, dass die beiden gesund und munter – und bereit für das Abenteuer sind.

Der Tag heute steht freilich komplett im Zeichen des sechseinhalb Stunden langen Außeneinsatzes. Im „Daily Summary“ von heute, der täglichen Crewzeitung, mussten die Houstoner Experten Matthias informieren, dass es Probleme mit seiner Handschuhheizung gibt, sodass diese deaktiviert bleiben muss. Nach den thermischen Analysen für diesen Ausstieg ist die einhellige Expertenmeinung, dass dies kein Problem sein sollte – falls doch, bitten sie Matthias um Rückmeldung während des EVAs – es würden dann ad hoc Phasen in den Zeitplan eingebaut, in denen er seine Hände in der Sonne wärmen könne.

Bevor Raja und Matthias „draußen“ Kabel ziehen, Steckverbindungen lösen und neu zusammenstecken, Kameras austauschen, Isolierungsmatten glattziehen und wieder sauber fixieren und sich mit dem Roboterarm durch die „Luft“ schwenken lassen, müssen sie – ähnlich einem Taucher, der beim Auftauchen immer wieder Deko-Stopps machen muss – ihre Körper auf den geringeren Luftdruck im Raumanzug gewöhnen, ihre Blutgaswerte herunterfahren, um Luftembolien in den Blutgefäßen vorzubeugen.

Mit diesem „Pre-Breathe-Protokoll“ sind sie derzeit beschäftigt, bevor sich dann die Luftschleuse Richtung Raumstation für sie schließen und gegen 13:50 Uhr die Außenluke den Blick auf die Erdkugel freigeben wird. Dann könnte ich mir gut vorstellen, dass Matthias' Puls nochmal richtig hoch geht – dann ist für ihn ein weiterer Höhepunkt seiner Mission gekommen.

Matthias, wir wünschen Dir einen erfolg- und eindrucksreichen Außeneinsatz, komm gut wieder „rein“ – von diesem Tag wirst Du Dein Leben lang erzählen!!

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite