Raumfahrt | 27. April 2022 | von Thomas Berger

Projekt MARE: Mit der Orion zum Mond – und wieder zurück

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Quelle: NASA
Mit dem Raumschiff Orion soll die unbemannte NASA-Mission Artemis-I innerhalb von 42 Tagen zum Mond und wieder zurück zur Erde fliegen

Im Sommer des Jahres 2022 ist es endlich soweit: Unser MARE-Experiment fliegt mit der NASA-Mission Artemis-I einmal um den Mond. Seit Jahren haben wir auf diesen Zeitpunkt hingearbeitet und mussten damit zu leben lernen, dass es bei Weltraumprojekten immer wieder zu Verzögerungen kommt. Auch hatten wir sehr mit den Auswirkungen der Coronakrise zu kämpfen. Sie stellte uns bei der Fertigstellung des Experiments vor große und ganz neue Herausforderungen.

MARE ist das Matroshka AstroRad Radiation Experiment, mit dem wir mit den zwei "nicht-menschlichen Passagieren" Helga und Zohar die Strahlenbelastung auf dem Mondflug der Orion-Kapsel messen werden. Die beiden 95 Zentimeter großen, weiblichen Phantome sind in ihrem Inneren schichtweise (genauer: in 38 Schichten) mit Kunststoffelementen verschiedener Dichte ausgerüstet. Diese Elemente simulieren die Knochen und Organe des Körpers, zum Beispiel Lunge, Magen, Gebärmutter und Knochenmark. Zohar wird auf dem Orion-Mondflug mit der Schutzweste AstroRad, Helga ohne Schutz fliegen. So sammeln die baugleichen Modelle vergleichbare Datensätze, um die Wirksamkeit der Schutzweste bewerten und verbessern zu können.##markend##

In den letzten Wochen haben wir am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln die MARE-Hardware in passende Transportkisten verpackt und jetzt ist sie auf dem Weg zum NASA Kennedy Space Center in Florida. Unser Team wird rund vier Wochen vor dem Start hinterherfliegen und dort Helga und Zohar für deren Einbau in das unbemannte Orion-Raumschiff vorbereiten. 17 Tage vor dem Start übergeben wir Helga und Zohar an das Ground Handling Team, das die "Messpuppen" in die Raumkapsel einbauen wird. Dann beginnt die spannende Wartezeit bis zum Start der Rakete und es heißt: Daumen drücken für den maximal 42-tägigen Flug und die sichere Landung.

Sobald die Orion nach ihrem Flug um den Mond wieder auf der Erde zurück in Florida ist, wird das DLR-Team beim Ausbau von Helga und Zohar dabei sein, um die Messdaten der 16 aktiven Strahlungsmessgeräte M-42 des DLR direkt vor Ort auszulesen. Wenn alles so klappt, wie wir es gebaut und getestet haben, werden die Strahlungsmessungen der DLR-Instrumente mit dem Start der Rakete – ausgelöst durch interne Beschleunigungssensoren – gestartet. Dann speichern wir diese Daten alle fünf Minuten über die gesamte Mission ab. Wir werden anschließend erstmals Weltraumstrahlungswerte in dem für Astronautinnen gebauten Orion-Raumschiff während eines Raumflugs zum Mond gemessen haben.

Die über 10.000 passiven Strahlungssensoren, die jeweils in Zohar und Helga verbaut sind, müssen nach der Landung noch auf Ihre Auswertung warten. Erst wenn die beiden Phantome wieder bei uns zurück im Kölner Labor sind, können wir die Daten mit unseren Auswertungsgeräten auslesen. Zusätzlich werden die Sensoren der internationalen Partner für deren wissenschaftlichen Untersuchungen weitergeschickt. Mit der gesamten Auswertung des MARE-Experiments werden sich alle Beteiligten noch monatelang beschäftigen. Das Experiment MARE ist somit nach dem Weltraumflug der Orion noch lange nicht abgeschlossen.

Vor dem hoffentlich erfolgreichen Flug von Helga und Zohar mit Orion – zum Mond und wieder zurück – mussten einige Hürden gemeistert und viele Tests durchgeführt werden

In den letzten Jahren haben wir mehrere Prototypen der beiden Sitze gebaut, in denen Helga und Zohar Platz nehmen. "Platznehmen" heißt im Fall unserer nicht-menschlichen Besatzungsmitglieder, sie werden in ihren Sitzen an die Basisplatten im Orion-Raumschiff geschraubt. Wir haben das Ganze mehrmals am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen in Vibrationstests überprüft und konnten zeigen, dass die Vibrationen während des Raketenstarts keine Auswirkungen auf unsere Strukturen haben und wir somit sicher sein können, dass Helga und Zohar den Flug ohne Probleme in ihren Sitzen überstehen werden.

Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Helga in ihrem "Sitz" während der finalen Vibrationstests am DLR in Bremen


Wir haben im Rahmen der letzten Jahre unsere DLR-Messgeräte M-42 entwickelt, gebaut, getestet, unter anderem auf Flügen der DLR-Höhenforschungsrakete MAPHEUS, und zwar während der Missionen MAPHEUS-7, -8 und -10. Wir haben die Messgeräte geschüttelt, dem Vakuum ausgesetzt, haben sie mit Schwerionen am HIMAC, dem Heavy Ion Medial Accelerator im japanischen Chiba, kalibriert, haben die Software der Messgeräte endlos lange getestet, verändert, umgeschrieben um am Ende sicher zu sein, dass alles für die Mission funktioniert.

Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Drei Flugmodelle des DLR-Messgeräts M-42 mit deren Batterien in unserer kleinen Vakuumkammer in der Abteilung Strahlenbiologie


Wir haben Helga und Zohar mit tausenden passiven Strahlungsdetektoren ausgestattet, die von Partnern aus der ganzen Welt zur Verfügung gestellt wurden. Wir haben diese Detektoren an jeweils über 1.400 Messplätzen in die beiden Phantome eingebaut und warten nun gespannt, dass sie uns von ihrem Mondflug umfangreiche Weltraumstrahlungsdaten liefern, mit denen wir eine 3-dimensionale Dosisverteilung in den beiden Messkörpern generieren können.

Quelle: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Zohar – bestehend aus 38 Scheiben – nach dem Einbau aller passiven Strahlungsdetektoren

 
Wir haben im Oktober 2019 beim sogenannten Fit-Check den Einbau der Phantome Helga und Zohar in das Orion Raumschifft geprobt. Dazu stellten wir in Größe und Gewicht identische Dummys zur Verfügung, die dann von dem Ground Handling Team der NASA ohne Probleme in die Orion eingebaut werden konnten.

Quelle: © DLR
Das DLR-Team beim Fit-Check am Johnson Space Center der NASA im Oktober 2019

Wir haben eine Vielzahl an Dokumenten geschrieben, die alles ganz genau dokumentieren, beschreiben und erklären. Wir haben mehrere Sicherheitsbegutachtungen all unserer Tests und Versuche mit der NASA erfolgreich absolviert.

Das MARE-Experiment ist komplex und war nur in internationaler Zusammenarbeit möglich. Darum möchten das DLR-Team und ich den Projektpartnern und allen Kolleginnen und Kollegen danken. Jetzt ist MARE bereit, mit der NASA-Mission Artemis-I zum Mond, um ihn herum und zurück zur Erde zu fliegen. We are ready to take-off!

 

 

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Über den Autor

Thomas Berger ist Physiker und leitet die Arbeitsgruppe Biophysik in der Abteilung Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Seine Kollegen und er entwickeln, bauen und fliegen Strahlungsmessgeräte in den Weltraum. zur Autorenseite