Raumfahrt | 21. Oktober 2022 | von Manfred Gaida

Partielle Sonnenfinsternis über Europa

Quelle: Rolf Hempel (CC BY-NC-ND 3.0)
Aufnahme der partiellen Sonnenfinsternis in Deutschland am 10. Juni 2021.

Am 25. Oktober 2022 ist es wieder soweit. Nahezu über ganz Europa bis nach Westasien und dem gesamten indischen Subkontinent sowie über dem nordöstlichen Afrika und dem Vorderen Orient wird sich im Zeitraum von circa 11 bis 15 Uhr MESZ für jeweils rund zwei Stunden eine partielle Sonnenfinsternis ereignen. In Deutschland wird sie bei guter Sicht zwischen 11:06 und 13:22 Uhr MESZ zu sehen sein. Im Südwesten bei Basel werden zehn Minuten nach zwölf Uhr maximal 18 Prozent der Sonnenscheibe bedeckt, auf Rügen sind es wenige Minuten später maximal knapp 36 Prozent, die hinter dem Mond "verschwinden". In Köln werden um 12:07 Uhr MESZ nur 22,1 Prozent der Sonnenscheibe bedeckt, in Berlin um 12:14 Uhr MESZ dagegen 32,2 Prozent. Die Sonne steht dabei der Jahres- und Tageszeit entsprechend jeweils rund 25 Grad über dem Horizont. Allgemein nimmt der Grad der Bedeckung durch den Mond von Südwesten nach Nordosten zu.##markend##

Global erreicht die Finsternis um 16 Uhr Ortszeit (GMT+5) ihr Maximum im westsibirischen Tiefland bei 61°38‘ nördlicher Breite und 77°20‘ östlicher Länge an einer Stelle, die 60 Kilometer nördlich des Flusses Ob am Rande einer ausgedehnten Seenlandschaft liegt. Die Sonne steht dort zu diesem Zeitpunkt bereits am Horizont und der Mond bedeckt zu 82 Prozent die Sonnenscheibe. Es dürfte imposant sein, die sichelförmige Sonne dort untergehen zu sehen, wie diese Animation zeigt. Für den eigenen Beobachtungsstandort lassen sich die exakten Zeiten mithilfe einer globalen "Finsternis-Karte" herausfinden. Weitere Einzelheiten sowie Links zu Live-Übertragungen, können auf dieser Internetseite recherchiert werden.

Quelle: 2016 F. Espenak www.EclipseWise.com
Eine globale Gesamtübersicht zum Verlauf der partiellen Sonnenfinsternis am 25. Oktober 2022. Die Zahlenwerte an den blauen Bögen geben die jeweilige Größe der Finsternis an, die in Sonnendurchmessern angibt, wie tief die Neumondscheibe in die Sonnenscheibe eingedrungen ist. Einer Größe von 50 Prozent entspricht eine bedeckte Fläche der Sonnenscheibe von 39 Prozent.

Das Augenlicht schützen

Es bestehen gute Aussichten, dass die partielle Sonnenfinsternis mittags an etlichen Orten Deutschlands von Anfang bis Ende zu beobachten sein wird. Wer das Ereignis mit dem bloßen Auge verfolgen möchte, muss dabei unbedingt sein Augenlicht mit einer qualifizierten, geprüften Sonnenfinsternisbrille, auch bekannt als SoFi-Brille, schützen. Auch darf man auf keinen Fall mit einer derartigen Schutzbrille vor den Augen die Sonne durch ein Fernglas oder ein Teleskop beobachten. Hierfür gibt es große Schutzfolien und Filter, die stabil vor dem Objektiv angebracht werden. Vom Gebrauch von Okularsonnenfiltern ist dringendst abzuraten, da sie von der Sonnenstrahlung erhitzt unversehens platzen können. Leider findet man solche Filter noch immer bei kleinen Teleskopen, die vor Jahrzehnten in Discountläden vertrieben wurden. Ab in die Tonne damit! Weitere Informationen zur sicheren Sonnenbeobachtung finden sich hier; der kurz erwähnte augenärztliche Artikel zur totalen Sonnenfinsternis am 11. August 1999 ist noch immer sehr aufschlussreich und kann hier in vollständiger Form nachgelesen werden.

Die sicherste Methode, unser Heimatgestirn nicht nur bei einer Finsternis zu beobachten, ist freilich die Projektion der Sonnenscheibe auf eine weiße Fläche, wie es gern auf öffentlich zugänglichen Volkssternwarten gehandhabt wird. Besucher sollten darauf zu achten, nicht in der Nähe des abbildenden Okulars in den Strahlengang des Teleskops zu geraten. Außerdem sind Sucherfernrohre mit parallelem Strahlenweg, mögen sie noch so klein sein, sicher abzudecken.

Die Mondfinsternis über der Südsee

Bei einer Sonnenfinsternis führen die himmelsmechanischen Randbedingungen an den Knoten der Mondbahn regelmäßig dazu, dass 14 Tage vor- oder nachher eine Mondfinsternis stattfindet. In einigen Fällen ereignen sich im vierzehntägigen Abstand sogar drei Finsternisse – Mond-Sonne-Mond oder Sonne-Mond-Sonne – wie zum Beispiel in den Finsternisperioden vom 18. Juli bis zum 17. August 2027 beziehungsweise vom 12. Juni bis zum 11. Juli 2029. Hinweis: In manchen älteren Darstellungen der jährlichen Finsternisperioden wurden reine Halbschattenfinsternisse des Mondes nicht aufgeführt, sodass manche Jahre, wie zum Beispiel 1944 und 1969, mitunter nur zwei Finsternisse aufweisen.

Quelle: timeanddate.com
Sonnen- und Mondfinsternisse finden nur dann statt, wenn sich der Mond exakt in oder nahe einem Knoten seiner Bahn befindet. Die Knoten sind dabei die Schnittpunkte von Erd- und Mondbahn, die Verbindung von auf- und absteigendem Knoten wird als Knotenlinie bezeichnet. Fielen Mond- und Erdbahnebene zusammen, gäbe es zu jeder Voll- beziehungsweise Neumondzeit eine Mond- beziehungsweise eine Sonnenfinsternis.

Auf die partielle Sonnenfinsternis am 25. Oktober 2022 folgt entsprechend der aktuellen Distanzen an der Knotenline vierzehn Tage später eine totale Mondfinsternis. Sie bleibt allerdings in Europa unsichtbar, wird aber von Nordostasien über den Pazifik hinweg bis in die westlichen und polaren Gebiete Nordamerikas hinein vom Anfang bis zum Ende zu sehen sein. Vor allem die Bewohner und Touristen der Trauminseln Tahiti, Bora Bora in der Südsee und auf Hawaii, wo der Mond besonders hoch steht, dürften in der Nacht vom 7. auf den 8. November auf ihre Kosten kommen und die Aussicht auf ein herrliches, romantisches Naturschauspiel haben mit einem, fast anderthalbstündigem Verweilen des vollständig verfinsterten Mondes im Kernschatten der Erde.

Auf Hawaii (und auch an anderen Orten) böte es sich an zu versuchen, die Rötung des Vollmonds wissenschaftlich genauer zu erfassen und Rückschlüsse auf den gegenwärtigen Staubgehalt der Erdatmosphäre zu ziehen. Das Licht des Mondes in der Kernschattenphase ist langwelliges Sonnenlicht, welches zuvor durch die irdische Lufthülle gelaufen ist und insofern ihren aktuellen Zustand mittransportiert. Bekannt ist, dass zum Beispiel hohe Staub- und Ascheeinträge durch Vulkanausbrüche den "Blutmond" dunkler werden lassen. Auf dem Mauna Loa befindet sich auch eine hochempfindliche Messstation des US-amerikanischen Scripps-Instituts für Ozeanographie, welche seit 1958 den CO2-Gehalt der Erdatmosphäre misst, die man Keeling-Kurve nennt. Sie ist eine der Grundlagen für den Beweis eines anthropogen verursachten Klimawandels. Diesem Thema widmet das DLR 2023 ein eigene öffentliche, wissenschaftliche Vortragsreihe.

Quelle: 2020 F. Espenak www.EclipseWise.com
Der globale Verlauf der totalen Mondfinsternis vom 7. auf den 8. November 2022 mit den dazu relevanten Größen und Zeiten.

Der Saros – ein perfekter Fahrplan für Finsternisse

Finsterniserscheinungen waren für die Menschen früherer Zeiten oft faszinierend und erschreckend zugleich. Im Altertum deutete man sie als Schicksalszeichen und versuchte aus ihnen eine Botschaft der Götter für den jeweiligen Herrscher herauszulesen. Die Babylonier stellten als erste mathematische Regeln auf, mit denen sich Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen ließen und fanden heraus, dass sie im Abstand von 6585 1/3 Tagen in ähnlicher Art und Form aufeinanderfolgen. Diese Periode nannte man "Saros", was so viel wie Wiederholung bedeutet. Nach Ablauf einer Sarosperiode nehmen Mond, Erde und Sonne in etwa wieder die gleiche Stellung zueinander ein, sodass sich Sonnen- und Mondfinsternisse nach diesem Zeitraum unter fast denselben Bedingungen wie gut 18 Jahre zuvor wiederholen. 

Die jetzige partielle Sonnenfinsternis gehört zum solaren Saroszyklus 124. Dieser fing am 6. März 1049 mit einer partiellen Sonnenfinsternis in der Ostantarktis an und wird am 11. Mai 2347 im Norden Alaskas – ebenfalls partiell – enden. Der gesamte Saroszyklus 124 umfasst in 1.298 Jahren 73 Finsternisse; die Finsternis am 25. Oktober 2022 ist die 55. darin. Seine besten Zeiten mit langen, beeindruckenden totalen Verfinsterungen der Sonne hat dieser Zyklus allerdings bereits gesehen. 

Einen der ergreifendsten, bis heute unübertroffenen Berichte über eine totale Sonnenfinsternis in diesem Zyklus schrieb der Schriftsteller Adalbert Stifter (1805–1868), als am 8. Juli 1842 in Wien die 45. Finsternis dieser Sarosfamilie (Nr. 124) stattfand. Schon frühmorgens war in der Kunst- und Kulturstadt Österreichs alles auf den Beinen, denn nach heutiger Zeitzoneneinteilung war um viertel vor acht MEZ mit einer knapp zweiminütigen totalen Verfinsterung der Sonne und dem Aufleuchten ihrer Korona zu rechnen. Adalbert Stifters eindrucksvolle Beschreibung, im Original in drei Folgen erschienen in der "Wiener-Moden-Zeitung und Zeitschrift für Kunst, schöne Literatur und Theater" 1842 III. Quartal, kann man nachlesen und nachhören.

Quelle: Jakob Alt, Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842 (gemeinfrei)

Ob irgendwer eines Tages eine genauso literarisch schöne Beschreibung einer totalen Mondfinsternis verfassen wird, bleibt abzuwarten. Die bevorstehende 20. Mondfinsternis im lunaren Saroszyklus 136 böte vermutlich an den Traumstränden der Südsee dazu genügend Inspiration...

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Über den Autor

Manfred Gaida ist seit seiner frühsten Jugend vom Weltall fasziniert und wurde schon als Schüler Mitglied der Kölner Sternfreunde. Von 1973 bis 1982 studierte er an den Universitäten Bonn und Köln Astronomie und Physik und war 33 Jahre lang als promovierter Astronom wissenschaftlicher Mitarbeiter im DLR-Raumfahrtmanagement. Zwischendurch widmete er sich auch einige Jahre intensiv dem Wissenschaftsjournalismus und war nebenbei als Fachübersetzer für bekannte populärwissenschaftlich orientierte Verlage tätig. zur Autorenseite