Raumfahrt | 08. August 2014 | von Tom Uhlig

Planung ist das halbe Leben – oder manchmal noch etwas mehr…

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Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
An der STRATOS-Konsole im Columbus-Kontrollzentrum

Gestern wurde es amtlich: Der ursprünglich für Ende August geplante Weltraumausstieg von Alexander Gerst, ein absolutes Highlight der Mission, ist verschoben worden wegen noch ausstehender technischer Arbeiten an einem der Raumanzüge. Sicher eine Enttäuschung für die Astronauten – aber die Extravehicular Activity (EVA) ist weiterhin auf dem Plan, nur eben etwas später... Die Astronauten haben sich daher heute in einer positiven Weltsicht geübt und für uns im Kontrollzentrum zehn Gründe zusammengestellt, warum sie über diese Verschiebung eigentlich doch nicht ganz unglücklich sind. Auf Nummer sieben ist gelandet: "Mehr Zeit, um für die Kontrollzentren Horoskope zu erstellen" - eine ihrer neuen Lieblingsbeschäftigungen, mit denen sie uns und sich täglich bei Laune halten.##markend##

Des einen Freud, des anderen Leid. Freilich müssen wir immer wieder lachen über ihre lustigen Einfälle, die sie „aus den Sternen lesen“ und uns herunterschicken - allerdings liegt nun ein Riesenberg Arbeit vor uns. Denn wir müssen jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um die sich wirklich auftuenden Lücken im Stundenplan, die durch den Wegfall der zeitaufwändigen Vorbereitungen für den EVA entstanden sind, mit anderen Aufgaben für die Crew zu füllen - wir wollen uns nicht zu sehr auf ihren astrologisch-humoristischen Zeitvertreib verlassen.

Ein Blick auf den sogenannten On-board Short Term Plan Viewer (OSTPV) zeigt unser Dilemma. In diesem Softwaretool ist nach rechts die Zeitachse dargestellt; eine vertikale Linie zeigt die momentane Zeit an. Nach unten stellen verschiedene vertikale Bänder unterschiedliche wichtige Informationen dar: Wann wir Funkverbindung mit der Raumstation haben und wann diese für einige Minuten abreißt; ob die ISS gerade von der Sonne beleuchtet wird oder ob sie im Erdschatten fliegt; welche Lokalzeit gerade in den verschiedenen Kontrollzentren ist. Und schließlich für jeden Astronauten und für unser Kontrollzentrum ein "Band": Hier sind als kleine Balken die Aktivitäten vermerkt, die zu erledigen sind. Unsere „Boden-Aktivitäten“ bestehen aus Kommandosequenzen und eingebauten Telemetriekontrollen, die Aktivitäten der Astronauten können Pressekonferenzen, Reparaturen oder der reguläre Service von ISS-Komponenten sein, aber auch die Unterstützung von Experimenten, Vorbereitungsaufgaben oder der tägliche Sport. Selbst die Schlafenszeit, das Mittagessen und das Frühstück haben ihren Platz in der "Timeline". Und freilich nahmen die Arbeiten zur EVA-Vorbereitung einen sehr großen Teil der Astronautenzeit ein - das fällt nun alles weg und muss durch anderes ersetzt werden!

Hinter den meisten Balken im OSTPV verbirgt sich eine detaillierte Prozedur, die den Astronauten im Detail darüber Auskunft gibt, welche Arbeitsschritte sie in welcher Reihenfolge auszuführen haben. Zum Beispiel: Schraube x drei Umdrehungen nach rechts, Foto von der neuen Konfiguration machen, Knopf y drücken, überprüfen, ob die LED z angegangen ist. Das ist weit weg vom Bild des innovativen Astronauten, der selbständig und mit großem Ideenreichtum in der Raumstation "freestyled".

Es ist für Außenstehende schwer vorstellbar, wie viel Arbeit, Koordination und Bürokratie hinter dieser Timeline stecken, die auch jeder Flight Controller auf seinem Bildschirm hat. Etwa ein Jahr im Voraus werden die Astronauten schon verplant - da sind sie selber noch am Boden und im Training für ihre Mission. Die ersten konkreten Pläne über die Experimente, welche Alexander Gerst durchführen würde, wurden bereits im Frühjahr 2013 publiziert. Basierend darauf wurde dann eine erste Timeline für seine Mission erstellt, die in November 2013 zum ersten Mal international diskutiert und schließlich im Februar 2014 verabschiedet wurde: Das sogenannte On-Orbit Operations Summary (OOS) war geboren.

Seither sind die Aktivitäten am heutigen Tag oder auch die EVA im Prinzip schon festgelegt. Natürlich ist bemannte Raumfahrt sehr dynamisch (wie man jetzt wieder sieht) und der Plan muss sich den entsprechenden Gegebenheiten anpassen. Deswegen wurde vorletzten Montag, am 21. Juni, die gegenwärtige Woche aus dem OOS "herausgelöst" und als Weekly Look-ahead Plan (WLP) noch einmal bearbeitet, verfeinert, auf die gegenwärtige Lage an Bord zurecht geschnitten, mit der aktuellen Funkverbindungsverfügbarkeit versehen und schließlich wieder von den Betriebsteams überprüft und freigegeben.

Aber auch dieser Plan ist noch nicht der endgültige: Letzten Mittwoch wurde aus dem WLP der Plan des heutigen Tages herausgenommen, noch einmal zwei Tage lang überarbeitet, überprüft und angepasst und als Short Term Plan (STP) sowohl in den Kontrollraum als auch an die Astronauten übergeben. Dreimal haben wir seitdem noch einmal zusammen über den Plan geschaut, die sogenannten E-7, E-3 und E-1 reviews. Und immer wieder kommt es dennoch vor, dass wir beim E-1 review einen Tag vor der eigentlichen Planausführung noch Fehler entdecken, deren Änderung wir dann formal beantragen müssen. Und nachdem in solchen Fällen ein eigentlich international schon verabschiedetes Produkt verändert werden muss, verlangt der Änderungsprozess die Unterschrift aller ISS-Partner - ein großer bürokratischer Aufwand, aber derartige Dinge machen einen großen Teil unserer Arbeit an der Konsole aus.

Eine EVA zu verschieben heisst natürlich, einen beträchtlichen Teil der nächsten Tage komplett umzubauen - und das meiste, was wir als Kompensation vorschlagen können, müssen wir aus der Zukunft "klauen" und damit wieder in anderen Tagen Lücken aufreissen... Da ist nun unser EPIC-Team gefragt, unsere Planungsexperten. Das Resultat ihrer Bemühungen versuchen wir für Interessierte (Alexander Gersts Stundenplan) darzustellen, um zumindest einen ungefähren Eindruck von einer ISS-Timeline zu vermitteln.

Damit orakelt unser heutiges Horoskop für die Crew: "Wenn die ISS im dritten Aszendenten steht, wird Eure Timeline wieder gut gefüllt sein" -  womit gezeigt wäre, dass wir von Astrologie überhaupt keine Ahnung haben...

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite