Energie | 12. Juni 2015 | von Matthias Reeg

Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende?

Zur Versorgungssicherheit bei hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem

Ungeachtet der weithin geteilten Ziele der Energiewende in Deutschland sind doch die konkreten Wege dorthin heftig umstritten. Wir haben im DLR (in der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung im Institut für Technische Thermodynamik) gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern aus anderen Instituten der Helmholtz-Allianz Energy-Trans untersucht, welche Auswirkungen Veränderungen im Strommarktdesign mit sich bringen, um die Versorgungssicherheit auch bei steigenden Anteilen an erneuerbaren Energien kostengünstig sicher zu stellen. Ein ausführliches ENERGY-TRANS-Diskussionspapier (Reeg et al. 2015) und ein zusammenfassender Policy Brief (Lehmann et al. 2015) sind Grundlage für diesen Blogbeitrag.##markend##

Strommasten
Quelle: Alois Wüst (CC-BY 3.0)
 

Gegenwärtig ist insbesondere die Frage, ob und wie Versorgungssicherheit im Zuge dieser tiefgreifenden Transformation des Energiesystems gewährleistet werden kann, Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher und öffentlicher Debatten. Dabei wurde in letzter Zeit häufig die Forderung nach zusätzlichen Zahlungen an Kraftwerksbetreiber für die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten laut. Die Einführung derartiger Kapazitätszahlungen, in Form von Kapazitätsmärkten (umfassender, fokussierter und dezentraler KM), hat jedoch weitreichende Folgen für den Transformationsprozess und die zukünftige Organisation der Stromversorgung in Deutschland. Denn die möglichen (negativen) Wechselwirkungen zwischen einem solchen Kapazitätsmarkt und dem Energy-Only-Markt sowie die daraus resultierenden Investitionsanreize für benötigte Flexibilitätsoptionen im Stromsystem über den Kurzfristhandel (Day-Ahead-Markt) sind noch nicht umfänglich untersucht und verstanden worden. Hinzu kommt, dass aufgrund fehlender Erfahrungswerte im speziellen Kontext der Energiewende und politischer Einflussnahme die Gefahr von Fehlanreizen besteht, durch welche der Weiterbetrieb unflexibler und CO2-intensiver Kraftwerke gefördert und so der angestoßene Umbau der Stromerzeugung erschwert werden könnte.

Grundsätzlich müssen Maßnahmen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit die Ursachen von Kapazitätsengpässen möglichst umfassend und direkt adressieren. Im Sinne des energiepolitischen Dreiecks und der Ziele der Energiewende sollte bei der Ausgestaltung der Maßnahmen zudem neben der Versorgungssicherheit auch die Wirtschaftlichkeit, sowie Umwelt- und Sozialverträglichkeit der zukünftigen Energieversorgung berücksichtigt werden.
Diese Anforderungen erfüllen Kapazitätszahlungen nur bedingt. Einmal eingeführt, sind sie zudem nur schwer an veränderte Rahmenbedingungen anpassbar oder gar revidierbar. Das ist insbesondere problematisch, weil derzeit noch unklar ist, ob, wo und in welcher Form Versorgungsengpässe in Deutschland in Zukunft überhaupt auftreten werden. Daher erscheint die Einführung von Kapazitätszahlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht zielführend. Sinnvoller wäre vielmehr ein Maßnahmenmix, welcher das bestehende Strommarktdesgin an die Bedürfnisse fluktuierender Stromerzeugung anpasst. Diese Reformen könnten unter anderem durch die Einführung kurzfristigerer Handelsprodukte und kürzerer Gebotsfristen sowie mögliche Anpassungen des Regelenergiemarktes beinhalten. Sowohl auf dem Energy-Only- als auch dem Regelenergie-Markt können zusätzlich die Handelsschließungen beziehungsweise Auktionsenden (engl. Gate-Closure) näher an den Zeitpunkt der physikalischen Einspeisung gerückt und damit an die Anforderungen höher Anteile erneuerbarer Energien im System angepasst werden.

Außerdem kann die Einspeisung erneuerbarer Energien bedarfsgerechter gestaltet werden. Hierbei spielt unter anderem die regelbare Stromerzeugung aus Biomasseanlagen eine wichtige Rolle, deren Flexibilitätspotenziale trotz politischer Bemühungen nach wie vor kaum ausgeschöpft werden. Würden alle Biomasseanlagen für stromgeführte Fahrweise nachgerüstet beziehungsweise neue Anlagen entsprechend ausgelegt, liegt für die Biomasse bis zum Jahr 2020 ein Flexibilisierungspotential von bis zu 15 Gigawatt vor. Zusätzlich sind Anreize zum Ausbau von Netzen, Speichern und Nachfragemanagement zu setzen, damit die fluktuierende Einspeisung räumlich besser verteilt, neue innovative Technologien an den Markt herangeführt und die bisher unelastische Stromnachfrage flexibilisiert wird. Sollte die Gewährleistung von Versorgungssicherheit unter diesen geänderten Rahmenbedingungen trotzdem als zu unsicher erscheinen, würde sich die Einführung einer strategischen Reserve empfehlen, die durch die Regulierungsbehörde oder die Netzbetreiber vorgehalten wird – nicht jedoch die Ausgestaltung eines völlig neuen, zusätzlichen Marktsegments durch die Einführung eines Kapazitätsmarktes.

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Über den Autor

Matthias Reeg ist seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung beim DLR-Institut für Technische Thermodynamik. Ihn fasziniert unter anderem die Transformations- und Nachhaltigkeitsforschung komplexer sozio-technischer Systeme. zur Autorenseite