Beitrag aus dem DLRmagazin 163
Langsam biegt es um die Ecke und gleitet nahezu geräuschlos heran. Dieses Auto hat zwar vier Plätze, aber es besitzt weder ein Gaspedal noch ein Lenkrad. Es wurde von Forscherinnen und Forschern des DLR-Instituts für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart entworfen und ist ein Konzept für das Stadtauto von morgen. In der Stadt werden sowohl Personen als auch Güter transportiert – und das jeweils in unterschiedlicher Anzahl. Das DLR-Team untersuchte gemeinsam mit Verkehrsforschern in Berlin unter anderem, wie viele Personen aus Nutzersicht in einem Fahrzeug Platz haben sollten, welche Reichweite elektrisch angetriebene Fahrzeuge haben müssen, um attraktiv zu werden, und unter welchen Bedingungen Personen eine Shuttle-Lösung gegenüber einem eigenen Pkw bevorzugen. Ihre Ergebnisse zeigten die vielfältigen Ansprüche an das Fahrzeug.
„Für den Gütertransport benötigen wir eine andere Lösung als für Personen, die sicher, schnell und komfortabel von A nach B gelangen wollen. Dementsprechend mussten wir modular denken“, sagt DLR-Projektleiter Marco Münster. Die Lösung ist das Urban Modular Vehicle, kurz UMV, ein vielseitig einsetzbares Stadtmobil. Es ist ein Konzept für ein elektrisch angetriebenes, weitgehend automatisiertes Straßenfahrzeug und ein wahrer Tausendsassa: Eine modulare Karosseriebauweise vereint unterschiedliche Fahrzeugtypen auf einer Plattform. Die Basisversion des UMV ist ein Viersitzer mit einer Rahmenstruktur aus Leichtmetall. Karosserie, Antrieb und die Stufe der Automatisierung können an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden.
Vom Paketauto bis zum Skateboard
Insgesamt konzipierten die DLR-Forscher neun unterschiedliche Variationen vom Stadtflitzer bis zum Kleintransporter. Das Bodenmodul lässt sich in Länge (3,70 bis 4,10 Meter) und Höhe (1,60 bis 2,30 Meter) anpassen. Front- und Heckmodule bleiben einheitlich, können bei Bedarf aber auch variiert werden. Der Fahrzeugaufbau ist variabel und kann je nach Einsatzzweck angepasst werden. Dank Leichtbauweise mit Aluminium und Magnesium wiegt die Karosseriebasis nur 182 Kilogramm. „Der Grundgedanke des Fahrzeugs ist der eines Baukastens, mit dem eine große Zahl von Variationen bei möglichst vielen gleich bleibenden Teilen kostengünstig produziert werden können“, ergänzt der DLR-Wissenschaftler.
Mit dem variablen UMV können die Wissenschaftler nun an einem Konzept für die Entwicklung vom konventionellen Auto mit Fahrer bis hin zu vollständig autonomen Fahrzeugen forschen. In der Cargo-Variante fährt der Nutzer beispielsweise noch selbst. Aber die Wissenschaftler simulieren auch autonome Varianten. In einem Szenario fährt eine mobile Paketstation selbstständig abends zwischen 21 und 23 Uhr durch das Wohngebiet, sodass Pakete dann abgegeben oder geholt werden können, wenn die Empfänger zu Hause sind. Darüber hinaus arbeiten die Stuttgarter an einer sogenannten Skateboard-Variante des UMVs. Dabei wird ein Unterbau konzipiert, auf den unterschiedliche Wechselcontainer aufgesetzt werden können. „Das kennt man schon bei Lkw, die verschiedene Aufbauten aufnehmen können. Wir möchten so etwas für die Beförderung von Personen entwickeln“, erklärt Münster. Das Skateboard-UMV existiert bislang allerdings nur virtuell.
Der Peoplemover als Prototyp
Als ersten Prototypen realisierten Marco Münster und sein Projektteam den UMV-Peoplemover-2 + 2. Im Gegensatz zur Cargo-Variante ist dieses Konzept nur auf die Beförderung von Personen ausgelegt. Es soll den öffentlichen Personennahverkehr als Shuttle ergänzen. Dementsprechend ist das Innere des Fahrzeugs einfach gestaltet und die großen Oberflächen sind leicht zu säubern. An USB-Schnittstellen können die Fahrgäste ihre elektronischen Geräte aufladen. Momentan besitzt der Prototyp noch einen modellhaften Antrieb. Perspektivisch soll er bei einer Spannung von 400 Volt eine Reichweite von etwa 400 Kilometern erreichen können. Die Batterie soll später im doppelten Boden des Fahrzeugs versteckt sein.
Das Fahrzeug kommt per App
Anders als herkömmliche Autos parkt der Peoplemover nicht vor der Haustür der Nutzer, sondern wird bei Bedarf per App bestellt. „Die meisten Autos stehen 90 Prozent des Tages herum und blockieren knappe Flächen in der Stadt. Unser UMV würde auch die lästige Parkplatzsuche ersparen“, ergänzt Marco Münster. Das Ziel der Forscher ist es, dass das Konzept dort unterstützen kann, wo beispielsweise wenige oder schlechte Verkehrsanbindungen existieren oder wo Fahrgäste ein Ziel ansonsten nur über Umwege erreichen könnten. Darüber hinaus könnte der Peoplemover auch Lastspitzen wie den Berufsverkehr abfangen. Dazu soll das Fahrzeug in den öffentlichen Personennahverkehr eingebettet sein und Optionen für die Route in Kombination mit U-Bahn, S-Bahn, Bus, Rad- oder Fußwegen anzeigen können. Ein Display an der Fahrzeugdecke erfasst unterschiedliche Fahrtinformationen wie Route, Ankunftszeit oder Wetterdaten. Außerdem zeigt es auch mögliche Zwischenhalte an, an denen weitere Personen ein- oder aussteigen. Durch diese Verknüpfung erhoffen sich die Wissenschaftler, den Individualverkehr in den Städten zu reduzieren und den Fahrgästen die optimale Route zu ihrem Ziel anbieten zu können.
Das Urban Modular Vehicle ist Teil des DLR-Projekts Next Generation Car (NGC). Darin entwickeln Verkehrsforscherinnen und -forscher aus 22 DLR-Instituten gemeinsam Technologien und Konzepte für zukünftige Straßenfahrzeuge. Darüber hinaus arbeiten sie im NGC-Gesamtprojekt auch in den Bereichen Antriebsstrang, Energiemanagement, Fahrzeugstruktur, Fahrwerk und Fahrzeugintelligenz. Darüber hinaus kooperieren sie mit Kolleginnen und Kollegen aus den Forschungsschwerpunkten Verkehrssystem und Schienenverkehr. Die Fahrzeuge der nächsten Generation bewegen sich mit alternativen Antrieben fort, stellen optimierte Sicherheitskomponenten für Insassen und Verkehrsteilnehmer zur Verfügung und sind in der Lage, autonom zu fahren.
Ihre Karossieren sind alle in Leichtbauweise entworfen und die Fahrzeuge sind vollständig in das Verkehrsgeschehen integriert. Neben dem UMV entwarf das Team aus Stuttgart auch ein Fahrzeugkonzept für den Pendlerverkehr und die Langstrecke. Mit dem Peoplemover haben Marco Münster und sein Projektteam noch Pläne: „Der Peoplemover bietet für die nächsten Jahre eine solide Entwicklungsplattform für viele DLR-Forscher. Er kann in instituts- und themenübergreifenden Projekten eingesetzt werden. Beispiele sind die Ausgestaltung des Interieurs, die Entwicklung von Klimakonzepten, das Aufrüsten des Fahrzeug mit Sensoren und Rechnern und vieles mehr.“
Next-Generation-Cars
Perfekt für Pendler
Das Safe Light Regional Vehicle (SLRV) ist das leichteste Mitglied der NGC-Familie. Mit nur 400 Kilogramm Gesamtgewicht wiegt es so viel wie ein Golfcart. Seine Karosserie besteht aus einem leichten Aluminium-Schaum-Sandwich mit einer inneren Ringstruktur. Der kostengünstige Zweisitzer ist ideal für Pendler und kann dort eingesetzt werden, wo nicht ausreichend Bus- und Bahnverbindungen vorhanden sind. Mit diesem Konzept wendeten die DLR-Wissenschaftler erstmals ausgewählte Sicherheitsstandards für reguläre Pkw auf ein Fahrzeug dieser Größenklasse (L7E) an. Das Team aus Stuttgart möchte Leichtfahrzeuge attraktiver machen. Aktuell integrieren die DLR-Fachleute den Antriebsstrang – eine Brennstoffzelle – in das Testfahrzeug. Mit einer Tankladung Wasserstoff soll das SLRV für den Versuchsbetrieb mehr als 100 Kilometer weit fahren können. Mit dem fertigen Versuchsfahrzeug möchten die Wissenschaftler die Fahrzeugkomponenten im Zusammenspiel in realen Situationen erproben.
Für die Langstrecke
Das sogenannte Interurban Vehicle besitzt einen Brennstoffzellenantrieb und soll eine Reichweite von bis zu 1.000 Kilometern erreichen – perfekt für Reisen von Stadt zu Stadt. Dank des alternativen Antriebs ist es dabei völlig emissionsfrei unterwegs. Die Reiselimousine soll bis zu fünf Personen Platz bieten, inklusive Gepäck. Sie ist ausgelegt bis zu einem Automationslevel SAE 4. Das bedeutet, dass das Auto in bestimmten Szenarien die Fahraufgabe selbstständig übernehmen kann. Als jüngste Entwicklung existiert es bislang als Karosseriedemonstrator ohne Antrieb. Anhand des Demonstrators möchten die Wissenschaftler im DLR Stuttgart untersuchen, wie unterschiedliche elektrische Funktionen in die Struktur integriert werden können.
Das Urban Modular Vehicle (UMV)
Mit dem modularen Stadtfahrzeug, dem Urban Modular Vehicle, haben die DLR-Verkehrsforscher das Stadtauto von morgen von Grund auf neu gedacht. Es ist ein intelligentes und sicheres Elektrofahrzeug mit der Besonderheit, dass alle Fahrzeugtypen auf demselben Basismodul aufbauen und das UMV so extrem variabel machen. Die modulare Bauweise ermöglicht es den Wissenschaftlern außerdem, an einer Plattform unterschiedliche Technologien und Konzepte zu erforschen.
Der Beitrag stammt aus dem DLRmagazin 163. Sie erhalten das DLRmagazin im Abo auch kostenfrei nach Hause geliefert. Hier finden Sie alle Ausgaben des DLRmagazins.