27. Juli 2018 | Tina Stäbler will mit extrem belastbaren Hitzeschilden hoch hinaus

Cool bleiben, wenn es heiß hergeht

Ob an der Kletterwand oder im Labor: Extreme sind Tina Stäblers Ding. Sie mag es, den scheinbar unbezwingbaren Steilhang zu erklimmen. Am DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie in Stuttgart entwickelt die Doktorandin ein Überwachungssystem für faserkeramische Hitzeschilde. Mit dessen Hilfe lassen sich beim Wiedereintritt von Raumfahrzeugen in die Erdatmosphäre Schäden im Material erkennen. Für ihre Arbeit ist die Wissenschaftlerin jüngst ausgezeichnet worden: Sie erhielt den renommierten Amelia Earhart Preis.

Tina Stäbler will mit extrem belastbaren Hitzeschilden hoch hinaus

Flugexperimente, Stabilisierungsfinnen, Raketentriebwerke - beim Durchqueren der Technologiehalle führt Tina Stäblers Weg an diversen Raumfahrtstrukturen vorbei. Ihr Arbeitsplatz ist heute an der "Indutherm", einer Anlage, die es ermöglicht, Materialien bei Temperaturen über 1000 Grad Celsius mechanisch zu prüfen. Durch ein Bullauge hat man einen guten Blick ins Innere. Drinnen ist eine rechteckige Platte aus Faserkeramik eingespannt, sie leuchtet in hellem Orange. Auch Tina Stäblers Augen strahlen, wenn sie von ihrer Forschungsarbeit erzählt. Die heute 32-Jährige untersucht am DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie in Stuttgart, wie sich faserkeramische Strukturen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verhalten und wie sich dabei Schäden im Material aufspüren lassen.

Ein Überwachungssystem kann im Extremfall Leben retten

"Der Eintritt in die Atmosphäre ist eine der heiklen Phasen einer Weltraummission. Starke Hitze und hohe mechanische Belastungen - Raumfahrzeuge sind dabei extremen Bedingungen ausgesetzt. Für einen sicheren Wiedereintritt ist ein intaktes Hitzeschild essenziell", erklärt Tina Stäbler. Wie wichtig es ist, Schäden rechtzeitig erkennen und reparieren zu können, zeigte auf tragische Weise das Unglück des Spaceshuttles Columbia im Jahr 2003. Aufgrund eines beschädigten Hitzeschildes brach die amerikanische Raumfähre beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander und verglühte. Alle sieben Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Damit in Zukunft kritische Bauteile eines Hitzeschildes vor ihrem Versagen ausgetauscht oder durch Anpassung der Flugbahn weitere Schäden verhindert werden können, entwickelt Tina Stäbler im Rahmen ihrer Promotion eine Methode zur Zustandsüberwachung von Hitze­schilden. Für ihre Arbeit erhielt die Doktorandin den Amelia Earhart Preis. Dieser wird in Erinnerung an die gleichnamige Luftfahrtpionierin vergeben und zeichnet jährlich weltweit bis zu 30 Wissenschaftlerinnen aus, die im Bereich der Luft- und Raumfahrt promovieren.Bei ihren Untersuchungen nimmt die Ingenieurin vor allem die elektrischen Eigenschaften von Faserkeramik unter die Lupe: Sie misst den elektrischen Widerstand, wodurch sich Rückschlüsse auf Veränderungen im Material ziehen lassen. So kann sie mechanische Spannungen, die zu gefährlichen Rissen führen können, aufspüren. Die glühende Probe, die man durch das Fenster der Heißprüfanlage sehen kann, besteht aus Faserkeramik. Diese Werkstoffklasse ist hochbelastbar und zeichnet sich durch eine hohe Temperatur- und Schadenstoleranz aus - und die meisten Faserkeramiken sind elektrisch leitfähig.

Die Platte in Größe eines Frühstücksbrettchens ist zum Messen des elektrischen Widerstands an jeder Seite mit zwölf Kontakten versehen. Tina Stäbler erklärt, wie das Ganze funktioniert: "Alle Kontakte der Probe werden an einen Prüfstand angeschlossen. Immer zwei Kontakte auf gegenüberliegenden Seiten werden aktiviert und Strom eingeprägt. Zwischen den Kontakten auf der einen Seite und denen auf der anderen Seite wird nacheinander der elektrische Widerstand gemessen. Bei zwölf Kontakten auf jeder Seite sind das auf einer üblichen Probe zwölf mal zwölf, also 144 Messungen pro Durchlauf. Mit dem aktuellen Prüfstand können Proben mit bis zu 32 Kontakten pro Seite angeschlossen werden; das ergibt 1024 Einzelmessungen pro Durchlauf. Da immer Widerstand und Spannung gemessen werden, verdoppeln sich die Messungen pro Durchlauf auf 288 beziehungsweise 2048." Das Netz der Messpfade ist bei 32 Kontakten je Seite feinmaschiger und die Genauigkeit deutlich erhöht.

Die Probe wird im Vakuum auf 1100 Grad Celsius und in anderen Experimenten auf bis zu 1750 Grad Celsius aufgeheizt. Wie auch im Raumfahrzeug befinden sich die Kontakte dabei in einem weniger heißen Bereich. Während die Probe abkühlt, werden zyklisch Zugversu­che gefahren. Dann heißt es: ziehen, entlasten, warten. Was passiert beim ersten Zug? Wie verhält sich die Probe beim x-ten Zug? - "So kann ich feststellen, ob ein kritischer Lastzustand eingetreten ist. Wenn ja, müsste man die Paneele austauschen." Die Vorteile des neuen Prüfverfahrens: Es wird verhindert, dass Strukturen unvorhergesehen versagen und die Wartungsintervalle des Hitzeschildes verlängern sich.

"Beim Messen müssen wir schnell sein. Es ist wichtig, dass Schädigungen rasch entdeckt werden", erläutert Tina Stäbler. Derzeit müssen die Daten nach jedem Experiment ausgewertet werden. Zukünftig sollen sie mit einem speziellen Algorithmus in Echtzeit ausgewertet und kritische Änderungen gemeldet werden. Tina Stäblers Ziel ist es, dass das von ihr entwickelte Messverfahren irgendwann tatsächlich fliegend zum Einsatz kommt: "Man könnte es auch in der Luftfahrt anwenden. Voraussetzung ist, dass das zu überwachende Material elektrisch leitfähig ist.

Raumfahrt - ein Kindheitstraum

Der Raumfahrt gilt Tina Stäblers Leidenschaft. Von klein auf hat sie auf das Mädchen eine besondere Faszination ausgeübt. Es mag Zufall sein, dass die Forscherin mit zweitem Vornamen Ariane heißt. "Ariane - wie die europäische Trägerrakete", lacht sie. Der Name ist Programm. "Die Frage, ob es Leben außerhalb der Erde gibt, hat mich schon lange beschäftigt." Als Schülerin hat Tina Stäbler am seti@home-Projekt der Universität Berkeley teilgenommen, das sich mit der Suche nach außer­irdischem intelligentem Leben beschäftigt. Dazu sucht ein Teleskop den Himmel nach Radiosignalen ab; zur Auswertung der großen Daten­mengen wird die Rechenlast an PCs weltweit verteilt. So auch an den Rechner im Hause Stäbler. Voraussetzung war lediglich eine Internetverbindung und die Installation des kostenlosen seti@home-Clients. "Der PC lief den ganzen Tag und durchforstete Datenpakete. Ich fand es spannend, mir die Statistiken anzusehen", erzählt Tina Stäbler. Ob sie an Außerirdische glaubt? - "Ich denke schon, dass es irgendwo Leben gibt. Aber ob wir es jemals zu Gesicht bekommen?" Doch warum in ferne Galaxien schweifen, wenn es auch "nah" Interessantes zu entdecken gibt: "Eine bemannte Marsmission wäre natürlich großartig!" Ob Tina Stäbler schon einmal daran gedacht habe, Astronautin zu werden? - "Klar! Aber das nächste Ziel ist jetzt erst mal die 'Diss'", sagt sie und zwinkert. Ins All soll es also erst mal nicht gehen, doch hoch hinaus schon: Tina Stäbler ist regelmäßig in der Kletterhalle und am Fels anzutreffen. Und wenn sie nicht gerade für ihre Promotion arbeitet, engagiert sie sich für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Seit mehreren Jahren bringt sie sich beim Girls‘Day ein, um ihre Begeisterung weiterzugeben. "Spätestens seit dem Buch und dem Film ‚Hidden Figures‘ ist klar, dass Frauen maßgeblich zur Raumfahrt beitragen. Das soll so bleiben und darf auch gern noch mehr werden.

Promotion in einer Helmholtz-Nachwuchsgruppe

Als Tina Stäbler im Mai 2014 zum DLR kam, hatte sie gerade ihr Diplom in Luft- und Raumfahrttechnik in der Tasche. "Was mich am DLR überzeugt hat, war die Möglichkeit von Anfang bis Ende bei meinem Projekt dabei zu sein: von den ersten Überlegungen, wie das System funktionieren soll, über die Tests bis zum Prototypen des Versuchsstands. Das Fertigen von Proben, Auswerten der Daten, die Weiterentwicklung und Verbesserung bis hin zum funktionierenden System. Man sieht nicht nur einen kleinen Teil, sondern das Ganze und das ist wirklich toll am DLR!"

An der Universität Stuttgart ist sie noch immer eingeschrieben - jetzt als Doktorandin. Was das Herausfordernde am Promovieren ist? "Wenn man promoviert, ist man selbst irgendwann der größte Experte auf seinem Gebiet. Niemand hat sich damit mehr beschäftigt als man selbst, ab einer gewissen Tiefe sind die Anlaufstellen dünn gesät." Eine solche Anlaufstelle für Tina Stäbler ist Dr.-Ing. Hannah Böhrk, die stellvertretende Leiterin der Abteilung "Raumfahrt Systemintegration". Hannah Böhrk leitet auch die Helmholtz-Nachwuchsgruppe "Hochtemperaturmanagement für den Hyperschallflug". Darin untersucht sie mit Tina Stäbler und anderen jungen Forscherinnen und Forschern moderne Hitzeschilde, und zwar in Simulationen und in Experimenten. Sie wollen das Thermalverhalten von Strukturen beim Wiedereintritt und im Hyperschallflug besser verstehen. "In der Helmholtz-Nachwuchsgruppe forschen wir gemeinsam intensiv an einer übergreifenden Sache im kleinen Team", so Hannah Böhrk. "Dadurch sind wir ständig miteinander im Austausch." Tina Stäbler wird die erste Absolventin der Gruppe sein und ist zurzeit regelrecht beflügelt davon, ihre Arbeit zu vollenden und ihr Thema anschließend in neue Richtungen weiterzuentwickeln. Neben den Hochtemperaturanwendungen aus der Raumfahrt sieht sie die Detektion und Lokalisation von Schäden in Flugzeugstrukturen als Einsatz­gebiet. "Es macht Spaß, mit so zielstrebigen Doktoranden exzellente Forschung zu betreiben!"

Bei aller Zielstrebigkeit im Job, in der Freizeit darf es gerne auch mal spielerisch zugehen: Fast enthusiastisch berichtet sie von ihrer neuesten Errungenschaft, von "Terraforming Mars", einem Gesellschaftsspiel, in dem es um die Umwandlung des Mars in einen erdähnlichen Planeten geht. - Wer weiß, vielleicht fliegt Tina Stäbler eines Tages zum Roten Planeten? Auch dafür braucht man intakte Hitzeschilde.

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Kontakt

Nicole Waibel

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Bauweisen- und Strukturtechnologie
Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie (ZLP)
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart