23. Juni 2020

Ho­me­of­fi­ce im Deut­schen Raum­fahrt­kon­troll­zen­trum: Neue Plas­ma­kris­tall-Ex­pe­ri­men­te auf der ISS

Kosmonaut Anatoli Ivanishin beim PK-4 Experiment
Kos­mo­naut Ana­to­li Iva­nis­hin beim PK-4 Ex­pe­ri­ment
Bild 1/4, Credit: ROSKOSMOS/ESA

Kosmonaut Anatoli Ivanishin beim PK-4 Experiment

Un­ter An­lei­tung der DLR-Plas­ma­for­scher führ­te Kos­mo­naut Ana­to­li Iva­nis­hin die 10. Mess­rei­he der Plas­ma­kris­tall-Ex­pe­ri­men­te durch. Das Plas­ma­kris­tall-La­bor PK-4 ist im EPM-Rack (Eu­ro­pean Phy­sio­lo­gy Mo­du­les) in­stal­liert und be­fin­det sich seit 2015 im Co­lum­bus-Mo­dul auf der ISS.
Columbus-Kontrollzentrum
Co­lum­bus-Kon­troll­zen­trum
Bild 2/4, Credit: DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Columbus-Kontrollzentrum

Blick in das Co­lum­bus-Kon­troll­zen­trum, das sich im Deut­schen Raum­fahrt-Kon­troll­zen­trum des DLR in Ober­pfaf­fen­ho­fen be­fin­det. Das Co­lum­bus-Kon­troll­zen­trum steu­ert im Auf­trag der ESA den Be­trieb des Welt­raum­la­bors und ko­or­di­niert das wis­sen­schaft­li­che Pro­gramm.
Plasmakristall-Labor PK-4
PK-4 – ei­ne Ne­on­röh­re als Ver­suchs­re­ak­tor
Bild 3/4, Credit: MPE .

PK-4 – eine Neonröhre als Versuchsreaktor

Die ISS-Ex­pe­ri­ment­an­la­ge „PK-4“ kann kom­ple­xe Plas­ma­kris­tal­le mit­tels ei­ner Gleich­strom-Ent­la­dung mit et­wa 800 Volt in ei­ner mit ei­nem Edel­gas ge­füll­ten Glas­röh­re ent­ste­hen las­sen – im Prin­zip ei­ne Ne­on­röh­re als Ver­suchs­re­ak­tor.
Die Internationale Raumstation
20 Jah­re ISS
Bild 4/4, Credit: Roskosmos/NASA.

20 Jahre ISS

Seit 20 Jah­ren im All: die In­ter­na­tio­na­le Raum­sta­ti­on. Die ISS ist ein ein­zig­ar­ti­ges La­bor für Ex­pe­ri­men­te, die in kei­ner wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tung auf der Er­de durch­ge­führt wer­den kön­nen. Deutsch­land ist über die ESA mit rund 45 Pro­zent an der Wis­sen­schaft auf der ISS be­tei­ligt.
  • Rundes Jubiläum: Erfolgreicher Abschluss der 10. Messkampagne auf der ISS mit Plasmakristall-Labor PK-4.
  • Deutsches Raumfahrtkontrollzentrum übernimmt erstmals die wissenschaftliche Betreuung der PK-Experimente.
  • COVID-19-Schutzmaßnahme: DLR-Wissenschaftler halten von Oberpfaffenhofen aus Kontakt mit PK-4-Kontrollzentrum in Toulouse und ISS.
  • Einzigartige Einblicke in PK-4: In der Schwerelosigkeit können sich Plasmakristalle ausbilden. Die Plasmateilchen verhalten sich dabei wie Atome und können einzeln mit bloßem Auge beobachtet werden.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Komplexe Plasmen, ISS

Normalerweise wären die Forschenden jetzt in Toulouse, da sie nur von dort aus ihr Plasmakristall-Labor PK-4 steuern können, das sich seit 2015 an Bord der Internationalen Raumstation ISS befindet. Die Corona-Pandemie machte die Reise von Oberpfaffenhofen zum CADMOS-Kontrollzentrum nach Frankreich jedoch unmöglich. Die monatelang vorbereiteten Experimente in der Schwerelosigkeit drohten auszufallen. Doch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erhielten "naheliegende" Unterstützung: Die Standortkollegen vom Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum stellten ihre Ressourcen zur Verfügung und richteten ein "Homeoffice" der besonderen Art ein. Nun hat die Forschungsgruppe vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum ihre einwöchige Versuchsreihe erfolgreich abgeschlossen – von Oberpfaffenhofen aus, unter Berücksichtigung sämtlicher COVID-19 Schutzmaßnahmen. Dank der speziell eingerichteten IT- und Kommunikationskanäle konnten sie die Messungen am Bildschirm mitverfolgen und den Ablauf abstimmen – als ob sie im Kontrollraum von Toulouse säßen. Die Experimente an Bord der ISS führte der russische Kosmonaut Anatoli Ivanishin unter Anleitung der Plasmaforscher durch.

"Das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum war ein Glücksfall für uns in Oberpfaffenhofen. Die Kolleginnen und Kollegen haben uns in dieser Ausnahmesituation wunderbar unterstützt und hier erstmals die wissenschaftliche Betreuung übernommen. Wir freuen uns sehr, dass wir per Video- und Tonübertragung durchgehend mit der Experimentsteuerung im Kontrollzentrum von Toulouse und mit Kosmonaut Anatoli Ivanishin auf der ISS verbunden waren", sagt Dr. Mikhail Pustylnik, PK-4 Projektwissenschaftler in der DLR-For­schungs­grup­pe Kom­ple­xe Plas­men am DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. Die erfolgreiche Zusammenarbeit ist auch ein Resultat der langjährigen Erfahrungen: Die Forschungsgruppe führte ihre mittlerweile zehnte Messkampagne in der Schwerelosigkeit durch und verbucht somit ein rundes Jubiläum. Mit dem Betrieb des europäischen Columbus-Moduls betreut das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum bereits die ESA-Experimente auf der ISS und kennt das PK 4-Labor.

Lehrbuchwissen der Zukunft

Plasma ist ionisiertes Gas aus dem rund 99 Prozent der sichtbaren Materie des Weltalls beschaffen ist. Sterne wie die Sonne bestehen aus Plasma. Wenn in dem leitfähigen Gas zusätzlich Staubteilchen oder andere Mikropartikel enthalten sind, werden diese hoch aufgeladen und es entsteht ein "komplexes Plasma": In der Schwerelosigkeit können sich die Teilchen frei im Raum ausbreiten und bilden geordnete dreidimensionale Kristallstrukturen. Die Teilchen verhalten sich dabei ähnlich wie Atome in einem Festkörper oder einer Flüssigkeit. Die Aufzeichnungen des Plasmakristall-Labors PK-4 machen diese Vorgänge sichtbar. Mit jeder neuen Experimentreihe gewinnt die Plasmaforschung fundamentale Erkenntnisse für das Lehrbuchwissen der Zukunft. Daraus lassen sich vielfältige Anwendungen ableiten, unter anderem Plasmatechnologien für die Mikrochip-Produktion, den medizinischen Bereich oder für künftige Raumfahrtmissionen.

Die aktuellen Strömungsversuche mit PK-4 könnten zum Beispiel dabei helfen, die Ausbreitung von Schockwellen besser zu verstehen. ISS-Besatzungsmitglied und Experimentator Ivanishin heizte die Mikroteilchen mit kurzen elektrische Pulsen auf, um sichtbar zu machen, wie sich die kinetische Energie bei einer Schockwelle ausbreitet und welche Wechselwirkungen auf Teilchenebene stattfinden. Das Einsetzen und Abklingen von turbulenten Strömungen wurde in mehreren Versuchen ergänzend untersucht.

Mithilfe von Laserstrahlen erzeugte das Experimentteam außerdem Scherflüsse in der komplexen Plasma-Flüssigkeit. Die Messungen bauen auf den Ergebnissen der vergangenen Experimentreihe auf und geben Aufschluss über die Zähigkeit von Flüssigkeiten. Neben der Oberflächenspannung gehört diese Viskosität zu den wichtigsten Eigenschaften einer Flüssigkeit. Zusätzlich untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DLR die dynamischen Strukturen von Plasmakristallen. Kosmonaut Ivanishin nutze dazu eine neue Experimentmöglichkeit, um Plasmakristalle zu zerstören. Er schaltete den Strom an der Plasmakammer aus, um die Gasentladung zu stoppen und schaltete den Strom dann sofort wieder an. In der tomographischen 3D-Aufzeichnung können die Forscher genau nachvollziehen, wie die Plasmakristalle dadurch schmelzen und re-kristallisieren, wenn die Ladung wieder aktiviert wird.

Über das Projekt

Das Plasmakristall-Labor PK-4 ist eine Kooperation der europäischen Weltraumorganisation ESA - Eu­ro­pean Space Agen­cy und der russischen Raumfahrtbehörde RO­SKOS­MOS, unter wissenschaftlicher Führung der Gruppe Komplexe Plasmen des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum (ehemals am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, MPE) und der russischen Akademie der Wissenschaften (Joint Institute for High Temperatures, JIHT). Die experimentelle Hardware ist eine Eigenentwicklung der DLR-Gruppe während ihrer Zeit am MPE und der OHB Sys­tem AG (ehemals Kayser Threde). PK-4 wird durch ESA und ROSKOSMOS finanziert. Zusätzliche Finanzierung des Projektes in Deutschland erfolgte durch das Raum­fahrt­ma­na­ge­ment des DLR und der Max-Planck-Gesellschaft.

Kontakt
  • Bernadette Jung
    Pres­se­re­dak­ti­on
    Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)

    Kom­mu­ni­ka­ti­on
    Telefon: +49 8153 28-2251
    Münchener Straße 20
    82234 Weßling
    Kontaktieren
  • Dr. Hubertus Thomas
    Lei­ter For­schungs­grup­pe Kom­ple­xe Plas­men
    Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
    In­sti­tut für Ma­te­ri­al­phy­sik im Welt­raum
    Linder Höhe
    51147 Köln
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