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ESA-Ministerratskonferenz - eine persönliche Betrachtung

Vorab das nüchterne Ergebnis: Es ist gelungen, in vielen wichtigen Fragen eine Einigung zu erreichen. Dazu gehört das Verhältnis zwischen ESA und Europäischer Union (EU) sowie die in meinem letzten Blogeintrag vorgeschlagene Lösung, aber auch

  • die Zukunft der Trägerraketen

    • Ariane 5 ME wird weiterentwickelt mit dem Ziel eines Erststarts in 2017/2018.
    • Mögliche Gemeinsamkeiten von Ariane 5 und Ariane 6 werden untersucht.
    • Bezüglich der Ariane 6 wird eine Studie zur Klärung wichtiger Fragen gestartet.
  • Erdbeobachtung einschließlich neuer Wettersatelliten wird intensiviert.
  • das Projekt eines vollelektrischen, geostationären Satelliten wurde beschlossen
  • der Betrieb der Internationalen Raumstation ISS bis zum Jahr 2020 sowie die Entwicklung und der Bau eines Servicemoduls (SM) auf Basis des ATV für ein zukünftiges amerikanisches Multipurpose Crew Vehicle auf Vorschlag der NASA als Europäisches Barterelement

... und vieles mehr.

Schon die Vorbereitungen waren insbesondere in Bezug auf das Thema "Zukunft der Trägersysteme" sehr anstrengend: Die unterschiedlichen Positionen von Frankreich und Deutschland führten zu vielen Treffen in Paris, Berlin, Genf und an anderen Orten, ohne dass ein Durchbruch sofort erkennbar war. Beide Seiten hatten sich in feste Positionen "vergraben", die unversöhnlich schienen.

"Wir haben seit geraumer Zeit unermüdlich versucht, mit Frankreich zu einer gemeinsamen sinnvollen Lösung zu kommen. Dies ist jedoch an der außerordentlich starren, von nationalem Autarkiedenken gekennzeichneten Haltung Frankreichs, die wohl auch militärische Aspekte umfasst, gescheitert. Es ist im Augenblich nicht einmal mehr möglich, zu einer ordentlichen europäischen Beratung zu kommen."

Dieses Zitat stammt nicht aus dem Jahr 2012, sondern wurde 1972 in einem Schreiben von Bundesforschungsminister Klaus von Dohnanyi an Bundeskanzler Willy Brandt formuliert. Vor 40 Jahren ging es hierbei um die Entscheidung, das Ariane-Programm zu beginnen oder sich am Shuttle-Programm der USA mit dem Spacelab zu beteiligen. Im Ergebnis kam man auf der 5. Europäischen Weltraumkonferenz (ESC) im Dezember 1972 zum bekannten "second package deal": Beide Infrastrukturprogramme wurden mit unterschiedlichen nationalen Schwerpunkten durchgezogen - auf Kosten der Satellitenkommunikation. Wenn auch mit viel weniger Konflikten - das Finden einer Lösung insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland war auch diesmal nicht auf Anhieb einfach. Am Schluss gab es aber auch in 2012 eine gemeinsame und vor allem konstruktive Lösung, die die Interessen beider Seiten berücksichtigte:

ESA selbst verhielt sich verständlicherweise passiv, um es sich nicht mit einem der beiden Länder zu verscherzen. Es waren die amtierenden ESA-Ratspräsidenten, der Schweizer Staatssekretär für Bildung und Forschung, Mauro Dell'Ambrogio, und der luxemburgische Minister für Justiz-, Medien- und Kommunikation, François Biltgen, die sich schon vor der Konferenz einschalteten und versuchten, eine Lösung zu erarbeiten. Ein Gipfeltreffen in Genf führte trotz langer Verhandlungen bis Mitternacht allerdings vordergründig nicht zum Erfolg. Die Erläuterung der Hintergründe, wie es dann doch zu einem gemeinsamen Text kam, der bis auf unwesentliche Änderungen am Schluss in das Dokument der Konferenz aufgenommen wurde, bleibt späterer Zeit vorbehalten. Denn dazu musste das Papier erst noch auf deutscher und französischer Seite zur Akzeptanz gebracht werden.

Deutsche Delegation bei der ESA-Ministerratskonferenz. Bild: DLR/Thilo Kranz, CC-BY
Deutsche Delegation bei der ESA-Ministerratskonferenz. Bild: DLR/Thilo Kranz, CC-BY


Deutsche Delegation bei der ESA-Ministerratskonferenz. Bild: DLR/Thilo Kranz, CC-BY.

Das Feilschen um Worte half zwar der Sache wenig, befriedigte aber die Handelnden in ihrem Verständnis, "gestaltet" zu haben. Auf der Konferenz waren dann noch eine Reihe von Gesprächen zu führen, die durch die geschickte Moderation der amtierenden ESA-Ratspräsidenten Biltgen und Dell'Ambrogio und dem perfekten Zusammenspiel mit dem Leiter der deutschen Delegation, Staatssekretär Peter Hintze, und dem gut organisierten DLR-Team am Ende durch Erfolg gekrönt wurden. Auch hier war die Balance zwischen den verschiedenen Playern Ministerium, Leiter der deutschen Delegation, "Stakeholder" für die verschiedenen Programme, Vertreter der ESA-Mitgliedsländer und ESA-Exekutive äußerst anspruchsvoll. Dass der Schlaf dabei auf der Strecke blieb, ist eine der Konstanten im Rahmen von ESA-Ministerratskonferenzen. Am Ende gab es viele "Gewinner", allen voran ESA selbst, deren Position durch die verschiedenen Projekte gefestigt wurde. Und durch das Papier zum Verhältnis zwischen ESA und EU wird eine neue Ära eingeläutet.

Meine persönliche Beurteilung bleibt nicht bei der positiven Betrachtung der wirklich wichtigen Entscheidungen stehen, sondern zieht den Aufwand (vor allem den zum Teil unnötigen Aufwand) und auch manch völlig überflüssigen Ärger gleichermaßen ins Kalkül. Die Details der Entstehung einzelner Lösungen sind zwar spannend, aber im Moment nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Dass das Ergebnis der Konferenz trotzdem sehr positiv ausgefallen ist, ist prima und vor allem den vor Ort Aktiven geschuldet, darf aber nicht über die unnötigen Schwierigkeiten hinwegtäuschen. Hier sind Konsequenzen zu ziehen, will man in Zukunft den Erfolg deutscher Raumfahrtpolitik nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.