Partizipation - Patentrezept oder lästiges Übel?
Als ich Anfang der neunziger Jahre an der TU Darmstadt schrittweise in verantwortungsvollere Positionen (vom Versuchsanstaltsleiter über Dekan bis zum Universitätspräsidenten) kam, stellte sich mir immer wieder die Frage nach der Legitimation meiner Entscheidungen. Ich suchte stets den unmittelbaren Kontakt zu den Betroffenen einer Entscheidung - vom Arbeiter in der Versuchsanstalt bis zu den Universitätsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern aller Bereiche. Dieses Vorgehen wurde häufig argwöhnisch beobachtet, da damit historisch gewachsene Selbstverständnisse scheinbar in Gefahr gerieten. Gern wurde das Argument der Notwendigkeit rascher Entscheidungen betont oder auch der Satz "Wenn Du das Wasser aus dem Teich lassen willst, frage nicht die Frösche" benutzt.
Einen Höhepunkt der Partizipation stellte (und stellt) die Diskussion über den Ausbau des Frankfurter Flughafens dar, deren Moderation ich im Jahr 2000 übernahm. Schnell wurde mir klar, dass Partizipation nicht die persönliche Entscheidung ersetzt, aber durch den offenen Austausch verschiedener Meinungen und Fakten eine solide Grundlage für Entscheidungen schafft. Neben diesem direkten Vorteil für den Entscheidungsträger (nach dem Motto "Viele Köpfe denken besser als einer") kommt es durch eine vernünftige Partizipation auch zu einer besseren Situation bezüglich der Akzeptanz von Entscheidungen, da Grundlagen gemeinsam definiert wurden.
Exakt in diesem Verständnis habe ich die Aufgabe als Vorstandsvorsitzender des DLR übernommen und versuche durch verschiedene Instrumente Partizipation zu realisieren. Partizipation funktioniert allerdings nur, wenn alle den Willen dazu bekunden und sich einbringen. Kritik hinter vorgehaltener Hand oder in abgeschotteten Zirkeln mag für die Lufthoheit eines Stammtisches hilfreich sein, aktive Partizipation funktioniert aber anders.
Die verschiedenen Diskussionsmöglichkeiten (Direkter Dialog, Tour durch DLR-Standorte mit Informationsveranstaltungen, Betriebsversammlungen etc.) dienen nicht der "Verkündung" von Entscheidungen, vielmehr sollen sie neben der Information über aktuelle und geplante Aktivitäten insbesondere der Aufnahme von verschiedenen Bedürfnissen, Vorschlägen und kritischen Anmerkungen meinerseits dienen.
Im Rahmen der Diskussion bezüglich des Frankfurter Flughafens haben wir unter anderem den Begriff der "No-Regret-Strategie" verwendet, der ausdrücken soll, dass der Entscheidungsträger durch Partizipation eine umfängliche Information erhält, um Aussagen wie "Hätte ich dies oder das gewusst, hätte ich anders entschieden" gezielt zu vermeiden.
Übrigens kann auch nachgewiesen werden, dass Partizipation nicht nur Entscheidungen besser, sicherer und verständlicher macht. Sie entspricht des weiteren nicht der vielfach geäußerten Vermutung bezüglich der Verspätung von Entscheidungen. So dauerte z.B. die Realisierung der Startbahn 18 West über 20 Jahre von der Planung bis zur Ausführung (ohne Partizipation), während die Realisierung der Landebahn Nordwest nur etwa 10 Jahre (mit Partizipation) erforderte. Richtig genutzte Partizipation in einer Einrichtung führt darüber hinaus auch zu einer Identifikation und Motivation, deren Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Partizipation ist daher aus meiner Sicht ein Muss für eine moderne Einrichtung – und ich freue mich jedes Mal über die Möglichkeit, mit DLRlern über unser DLR zu diskutieren.
Bild: Trust Circle, illustrated by Nancy Margulies, CC-BY Flickr-User ChristopherA.