14. Juli 2015

Neue Fahrerassistenzsysteme erhöhen Sicherheit auf Schienen und Binnenwasserstraßen

Neue Fahrerassistenzsysteme können zukünftig den Verkehrsfluss auf der Schiene und den Binnengewässern sicherer machen und zugleich den Anforderungen an Effizienz und Umweltverträglichkeit gerechter werden. Wie diese Assistenzsysteme funktionieren, demonstrierten Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit Projektpartnern am 23. Mai 2014 während einer Fahrt auf dem ehemaligen Bereisungsschiff "MAINZ" der Bundesregierung auf der Mosel bei Koblenz.

Laut statistischem Bundesamt stieg von 1999 bis 2011 in Deutschland die Gesamtbeförderungsleistung von Gütern um 32 Prozent. Bis 2050 wird mit einem Anstieg des Güterverkehrsaufkommens um weitere 30 Prozent gerechnet. Der straßengebundene Güterverkehr stößt bereits heute an seine Grenzen. Die Forscher der DLR-Institute für Kommunikation und Navigation sowie für Verkehrssystemtechnik, des Instituts für Verkehrstelematik und des Geodätischen Instituts der Technischen Universität Dresden entwickelten nun Fahrerassistenzsysteme mit verbesserter Navigationseinheit, um den Gütertransport auf Schiene und Binnenwasserstraßen stärken und effizienter gestalten zu können. Hierbei kommt in Zügen eine "Train Location-Unit" (TLU) und auf Binnenschiffen eine "Position, Navigation, Time-Unit" (PNT-Unit) zur Anwendung.
 

Genauere und zuverlässigere Navigationsdaten durch Nutzung spezieller Sensorik

"Für diese spezielle und vor allem sicherheitskritische Navigationsanwendungen werden äußerst genaue Positions-, Navigations- und Zeitinformationen (PNT) benötigt, die mit herkömmlichen satellitenbasierten Navigationssystemen (Global Navigation Satellite Systems - GNSS) allein derzeit nicht zu erreichen sind", sagt Alexander Born, Projektleiter im DLR-Institut für Kommunikation und Navigation. Neben der hohen Genauigkeit von Navigationsdaten sind zugleich deren Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit (Integrität) wichtig. Zudem können durch äußere Einflüsse wie Bebauung, Wald oder aber auch durch künstliche Störsender Signale der Navigationssatelliten verfälscht, abgelenkt oder blockiert werden. Um eine kontinuierliche und verlässliche Bereitstellung der PNT-Daten zu gewährleisten, wurden die TLU wie auch die PNT-Unit um weitere Sensoren erweitert. Ein sehr wichtiger Zusatzsensor ist zum Beispiel eine inertiale Messeinrichtung aus Beschleunigungsmessern und Drehratensensoren (IMU). "Charakteristisch für diese Sensorik ist deren hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Signaleinflüssen. Durch Sensorfusion stabilisiert die IMU zudem das System bei kurzzeitigen GNSS-Ausfällen", erklärt Born. Als wichtige neue Eigenschaft kann durch den Ansatz der Multisensorik nun auch die Integrität von Messdaten gewährleistet werden, das heißt die Erkennung und Anzeige fehlerbehafteter Messwerte. Dazu laufen parallele Prozessierungskanäle, die die Daten sämtlicher angeschlossener Sensoren verarbeiten und das PNT-Ergebnis in Bezug auf die jeweilige spezielle Nutzeranforderung der aufsetzenden Fahrerassistenzfunktionen bewerten.

Fahrerassistenzsystem gibt Routenempfehlungen und warnt vor Kollisionen

Das in der Binnenschifffahrt verwendete Assistenzsystem, unterstützt durch Steuerempfehlungen den Schiffsführer beim Befahren einer vorgegebenen Ideallinie. Hierbei werden sowohl die Bewegung des eigenen Schiffs als auch weitere dynamische Einflüsse wie Pegelstand und andere Verkehrsteilnehmer berücksichtigt. Aber auch statische Umgebungsbedingungen wie Schifffahrtszeichen, Brücken, Kaimauern und Schleusenwände werden mit einbezogen. Zudem kontrolliert ein spezieller Algorithmus kontinuierlich die Abstände des Schiffs zu anderen Schiffen und Hindernissen und weist den Schiffsführer frühzeitig auf Gefahren einer Kollision hin. Das Gesamtsystem ermöglicht es zukünftig, die Wasserstraßen effektiver nutzen zu können sowie die Sicherheit zu erhöhen und damit auch die Attraktivität des Verkehrsträgers Binnenschiff zu steigern.


Genauere Positionsbestimmung von Zügen schont Gleis und Umwelt

Für sicherheitskritische Anwendungen im Schienenverkehr wird die Ortung von Zügen bislang immer mit ortsfesten Einrichtungen vorgenommen. Mit der Entwicklung der "Train Location-Unit" (TLU) wurden nunmehr die Grundlagen geschaffen, neue Assistenzfunktionen zu entwickeln. Dazu zählen die Zielbremsung im Bahnhofsbereich, die Erfassung von Schieneninfrastrukturelementen mittels der installierten Fahrzeugsensorik sowie die Verkürzung von Bahnübergangs-Schließzeiten auf Grund der genaueren Positionsbestimmung.

Kurvenfahrten von Zügen bewirken neben dem Lärm immer auch eine sehr starke Abnutzung des Gleises, was einen erhöhten Wartungsaufwand zur Folge hat. Bisher werden die beanspruchten Gleisbereiche mit festen Infrastrukturen geschmiert und müssen zusätzlich gewartet werden. Mit dem neuen TLU-basierten System zur automatischen Schienenschmierung können die betroffenen Gleisbereiche nun durch sogenannte virtuelle Balisen punktgenau geschmiert werden. Dabei handelt es sich um Streckenpunkte, die allein mit Hilfe der TLU, fahrzeugautark und ohne Veränderung der Infrastruktur gefunden werden und automatisch eine Schmierung auslösen.

Durch die genauere Positionsbestimmung eines Zuges ist auch eine präzisere Prognose des Verkehrsablaufs möglich. Informationen zu den einzelnen Positionen der Züge werden in der Streckenzentrale gesammelt und können für eine effiziente Steuerung der Zugfahrten genutzt werden. Dabei werden die Züge mit aktuellen Informationen beliefert, die es ihnen ermöglichen, langsamer, aber ohne anzuhalten, hoch frequentierte Abschnitte zu durchfahren. Die Züge erhalten Informationen darüber, wann vorausliegende Gleisabschnitte frei sein werden und können so ihre Geschwindigkeit anpassen. In einer Demonstration konnte gezeigt werden, dass im Gegensatz zur "traditionellen" Fahrweise die TLU-unterstützte Fahrweise bis zu 50 Prozent Energieeinsparung erbringen kann. Dies ermöglicht nicht nur eine energiesparendere Fahrweise, sondern auch eine Optimierung der Streckenauslastung.

Über PiLoNav

Das Projekt "Precise and Integer Localisation and Navigation in Rail and Inlandwater Traffic" (PiLoNav) wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und als interdisziplinäres Verbundprojekt mit Partnern aus Forschung und Entwicklung (den Instituten für Kommunikation und Navigation sowie für Verkehrssystemtechnik des DLR, dem Institut für Verkehrstelematik und dem Geodätischen Institut der Technischen Universität Dresden), der Fachstelle für Verkehrstechniken (FVT) der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) sowie Anwendungspartnern aus dem Bereich Schienenverkehr (INTERAUTOMATION GmbH und Bijur Delimon GmbH) realisiert.