Das Virtual Reality Labor für die Forschung zum automatisierten und vernetzten Fahren

Ein weißer Golf. Der Fahrer betätigt den Blinker, schaut in den Rückspiegel und gibt Gas. Dann eine rote Ampel. Er bremst. Ein kurzer Blick nach rechts auf den Braunschweiger Bahnhof. In 30 Sekunden wird die Ampel auf Grün schalten, sagt ein Hinweis in der Instrumentenanzeige hinter dem Lenkrad. 3,2,1, die Fahrt kann weitergehen. Neben der Geschwindigkeitsanzeige erscheint ein Hinweis: „Das Fahrzeug kann jetzt automatisiert fahren.“ Der Fahrer drückt einen Knopf am Lenkrad, schaltet die Fahrzeugautomation ein und lehnt sich entspannt zurück. Ein Blick auf das neue Einkaufszentrum vor ihm, dann greift er zu seinem Tablet und liest die aktuellen Nachrichten im Internet.
Testen ohne Risiko
Kein Zukunftsszenario: Der Fahrer ist ein Proband, er sitzt in einem echten Golf, im Virtual Reality Labor (VR-Lab) des DLR-Instituts für Verkehrssystemtechnik in Braunschweig. Getestet wird eine Funktion, die die Wissenschaftler für das automatisierte Fahren in der Stadt entwickelt haben: Das Fahrzeug kommuniziert mit den Ampeln und passt seine Geschwindigkeit an das vorausfahrende Fahrzeug an. In bestimmten Situationen kann der Fahrer die Verantwortung an das Auto abgeben. „ So etwas stellt erhebliche Anforderungen an das Fahrzeug. Um sicherzustellen, dass es alle Situationen beherrscht, sind ausgiebige Testdurchläufe notwendig“, erklärt Dr. Martin Fischer, verantwortlicher Wissenschaftler für das VR-Lab des Instituts. „In der Simulation sparen wir Zeit und Kosten und sind in der Lage das System soweit abzusichern, dass wir es hinterher ohne großes Risiko auf der Straße testen können. So können frühzeitig Fehlentwicklungen vermieden werden.“
360-Grad für für den perfekten Rundumblick
2013 wurde das Labor aufwendig umgebaut. Wo früher nur 180-Grad-Projektionen um einen einzigen Autositz möglich waren, bietet heute eine 360-Grad-Darstellung einer virtuellen Umgebung genügend Platz für ein vollständiges Mittelklassefahrzeug. Das ist die optimale Voraussetzung für möglichst detailgetreue und realitätsnahe Tests von Assistenz- und Automatisierungssystemen. „Wenn wir beispielsweise ein Assistenzsystem für den Stadtverkehr testen wollen, dann muss es auch möglich sein, die komplette Umgebung im Blick zu behalten und beispielsweise auch den Schulterblick in der Simulation zu berücksichtigen. Eine weiße Wand anstatt eines plötzlich auftauchenden Radfahrers hat sicher nichts mit einer realitätsnahen Simulation zu tun“, erklärt Fischer. Heute haben die Wissenschaftler den Rundumblick und den Probanden fällt es leicht, sich wie im realen Verkehr zu verhalten. Doch das ist nicht das einzige Feature, das dieses Simulationslabor von anderen unterscheidet: Das VR-Lab ist als eine Plattform zu verstehen, in die sich mit geringem Zeitaufwand verschiedene Fahrzeugtypen einbauen lassen. Ein echtes Straßenfahrzeug ebenso wie sogenannte Mockups, Nachbildungen von Fahrzeugkabinen, mit denen Personenkraftwagen im herkömmlichen Design genauso realisiert werden können wie futuristische Fahrzeugkonzepte. Aber auch Cockpits von Großfahrzeugen wie Lastkraftwagen oder Straßenbahnen- passen sich in das VR-Lab integrieren.
Über ein Netzwerk kann das Virtual Reality Labor auch mit anderen Großanlagen des Instituts, beispielsweise dem MoSAIC-Labor (Modular and Scalable Application Platform for ITS-Components), einem Labor für Multi-Fahrer-Simulation zur Erprobung kooperativer Fahrerassistenz, oder mit dem dynamischen Fahrsimulator gekoppelt werden. So lässt sich auch das Zusammenspiel mehrerer unterschiedlicher Fahrgeschehen untersuchen. Die Software, die im Hintergrund das realitätsgetreue Fahrgefühl möglich macht, wurde so ausgelegt, dass über die standardisierten Schnittstellen auch Fahrzeug-Mockups der Zukunft oder Versuchsträger eingebunden werden können. Damit ist das Labor auch für externe Partner nutzbar, die ihre Innovationen in einer virtuellen Welt mit einem realen Fahrgefühl testen wollen.
Virtuelles Abbild einer Stadt
„Die virtuellen Landschaften werden je nach Versuchsanforderung entsprechend modifiziert und erstellt“, erklärt Fischer. „Und wir gehen sogar so weit, dass wir exakte dreidimensionale Abbilder von Städten erschaffen.“ In dem bisher einzigartigen Projekt Virtuelle Welt haben die Wissenschaftler des Instituts den gesamten Braunschweig Innenstadtring mitsamt seiner komplexen Infrastruktur virtuell abgebildet. „Wir sind in der Lage, zukünftig jede beliebige Stadt im VR-Lab digital abzubilden“, so Martin Fischer. Der Braunschweiger Innenstadtring bringt als virtueller Prototyp die besten Voraussetzungen mit: In der Realität ist der gesamte Ring im Rahmen der Anwendungsplattform Intelligente Mobilität (AIM) mit Kommunikationstechnik ausgestattet. Eine Forschungskreuzung, Lichtsignalanlagen und Referenzstrecken liefern den Wissenschaftlern bereits eine große Menge an Informationen.
Aber auch psychologische Fragestellungen zur Fahrermodellierung, zur Mensch-Maschine-Interaktion und zum kognitiven Fahrverhalten können im VR-Lab erprobt werden. Die detailgetreue Darstellung der Umwelt ist besonders für die Verkehrspsychologen bei sogenannten Fahrerverhaltensstudien sehr wichtig: Je realitätsnäher die Fahrumgebung für den Probanden wirkt, desto leichter fällt es ihm, sich wie im richtigen Verkehr zu verhalten. „Diese Untersuchungen zum Fahrerverhalten liefern uns wichtige Ansatzpunkte für Fahrerassistenzsysteme, die den Fahrer unterstützen und damit Unfälle vermeiden helfen“, weiß Fischer.
Das Virtual Reality Labor des Instituts für Verkehrssystemtechnik ist im gesamten DLR eine der wichtigsten Großanlagen in der Forschung zum automatisierten Fahren und für die Entwicklung und Erprobung von Assistenzsystemen.