Forschung für weniger Schienenverkehrslärm

Die Bahn gilt als das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel. Bei den Schadstoffemissionen hat sie gegenüber Auto und Flugzeug die Nase vorn. Bei den Lärmemissionen nicht. Lärm verursacht Schlafstörungen und kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem erhöhten Herzinfarktrisiko führen. Insbesondere der Güterverkehr, der oft nachts abgewickelt wird, stellt eine enorme Belastung für die Bevölkerung dar. Das Projekt IbO:LES zeigt einen Ausweg aus der Misere. Er liegt in einer vorausschauenden Fahrweise. Dahinter verbirgt sich eine „Integrierte betriebliche Optimierung: Lärm, Energie, Stabilität“. Diese kann durchaus sehr weit im Voraus stattfinden. Selbst wenn der Grund für die Geschwindigkeitsreduzierung noch kilometerweit entfernt ist, der Zug fährt dort langsamer, wo Anwohner bis dato starkem Bahnlärm ausgesetzt sind.
Zwischen dem Bedürfnis der Anwohner nach einem Schutz vor Lärmbelastung, der Geschwindigkeit beim Umrüsten der Waggons und der Wirtschaftlichkeit sowie Betriebsfähigkeit des Schienengüterverkehrs besteht ein großes Spannungsverhältnis. Um diese Konflikte zu lösen, nutzt das DLR seine interdisziplinären Kompetenzen. Wissenschaftler des Instituts für Verkehrssystemtechnik, des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik, des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin und des Instituts für Physik der Atmosphäre arbeiten in dem Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt (VEU) an neuen Konzepten gegen den Lärm.
Das Bahnsystem der Zukunft: leise, effizient, stabil
Eine weitere Möglichkeit, den Schienenlärm zu reduzieren, besteht in einem stabileren Betrieb und in einer effizienteren Fahrweise im Störungsfall: Fahrerassistenzsysteme geben dem Lokführer Geschwindigkeitsempfehlungen, um Halte vor Signalen zu vermeiden und die Geschwindigkeit schon im Vorfeld zu reduzieren. Die Fahrt wird energieeffizienter und Pufferzeiten im Fahrplan werden genutzt, um langsamer zu fahren und somit den Bedarf an Traktionsenergie zu minimieren. In Bezug auf die Lärmminderung werden jedoch hauptsächlich Fahrverbote für bestimmte Zeiten oder Geschwindigkeitsreduzierungen diskutiert. Das wäre zumindest kostengünstig und schnell umsetzbar. Doch auch hierbei würden die mittel- und langfristigen Folgen für das System Bahn ausgeblendet werden. Im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern würde der Schienengüterverkehr enorm an Attraktivität verlieren. Die Transportkosten steigen und aufeinander abgestimmte Logistikketten brechen weg. Ein langsamerer Schienengüterverkehr beeinflusst auch den Personenverkehr: Fahrzeitverlängerungen oder sogar Angebotskürzungen wären die Folge. Das belegt eine Studie, die das Institut für Verkehrssystemtechnik 2013 durchgeführt hat. Eine Geschwindigkeitsreduktion für Güterzüge sorgt auch in der deutschen Politik für geteilte Meinungen. Die betroffenen Länder fordern sofortige betriebsbeschränkende Maßnahmen. Das Bundesverkehrsministerium will hingegen im Jahr 2016 keine Geschwindigkeitsbeschränkungen anordnen. Und auch die EU-Kommission stellt die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs vor den Lärmschutz. Eine ähnliche Konstellation ist DLR-Forschern aus dem Luftverkehr bekannt: Vor mehr als zehn Jahren wurden dort verkehrspolitische Lärmminderungskonzepte gefordert, da eine technische Lärmminderung an der Quelle von der Entwicklung bis zur Markteinführung und -durchdringung zu viel Zeit benötigt. Das DLR entwickelte daraufhin ein lärmreduziertes Anflugverkehrsmanagement. Es besteht aus einem leiseren Anflugverfahren und entsprechend geänderten Flugrouten. Ziel war es, dabei die Luftraum- und Landebahnkapazität bestmöglich auszunutzen – bei größtmöglicher Sicherheit und Umweltverträglichkeit.
Konzept zur Lärmminderung im Flugverkehr übetragen auf die Schiene
Dieses erfolgreiche Konzept haben die DLR-Forscher nun vom Flugverkehr auf die Schiene übertragen. Die Idee dahinter ist so einfach wie effektiv: Der Güterzug erfährt durch ein technisches System, wann er seine Geschwindigkeit reduzieren muss, um nicht hinter einem anderen Zug, der die Strecke blockiert, warten zu müssen. Das ist erst einmal gut und energieeffizient, da der Güterzug den Hinweis bekommt, seine Geschwindigkeit langsam zu drosseln, statt später auf der Strecke stehen zu bleiben. Der Clou an der Sache: Der Güterzug drosselt seine Geschwindigkeit nicht irgendwo, sondern genau dort, wo es für die Lärmminderung sinnvoll ist – in anliegenden Ortschaften. So reduziert sich der Lärm für die Anwohner, der Zug fährt energieeffizient und der Bahnbetrieb bleibt stabil, da lange Wartezeiten gar nicht erst entstehen. Anders als bei generellen Geschwindigkeitsreduzierungen wird nur zu Gunsten einer Lärmreduzierung in den Betrieb eingegriffen, wenn dies ohne negative Auswirkungen auf Kapazität und Stabilität möglich ist. IbO:LES nannten die Wissenschaftler das Projekt: Integrierte betriebliche Optimierung: Lärm, Energie, Stabilität. Das Geschwindigkeitsprofil wird darüber hinaus so berechnet, dass der Zug am Signal wieder die volle Streckengeschwindigkeit erreicht hat. So lassen sich mehrere Vorteile vereinen: Durch die reduzierte Geschwindigkeit in Ortschaften wird die Lärmbelastung für die Anwohner vermindert. Ein Halt vor dem Signal wird vermieden und durch die vorausschauende Fahrweise sinkt der Energiebedarf. Dabei räumt der Zug den aktuell belegten Block so schnell wie möglich, was sich wiederum positiv auf die Betriebsstabilität auswirkt. Die Machbarkeitsstudie der DLR-Wissenschaftler belegt Erstaunliches: Wenn beispielsweise zwei Züge nacheinander auf das gleiche Gleis fahren sollen, was einen Halt für einen der Züge bedeuten würde, und dank der speziell angepassten Fahrweise mit IbO:LES der Halt für den zweiten Zug vermieden wird, kann der Energiebedarf um etwa 15 Prozent reduziert werden. Der Lärmpegel in der anliegenden Ortschaft verringert sich um drei Dezibel. Zudem reduziert sich der Maximalpegel der Schallausbreitung deutlich. Welches Potenzial dieser Ansatz für das gesamte deutsche Streckennetz hätte, daran wird jetzt weiter geforscht. Der nächste Schritt ist eine automatisierte Berechnung der dynamischen Geschwindigkeitsprofile, um zum Beispiel Fahrerassistenzsysteme einzubinden.

