Wissenschaft leben

KI schlauer machen für die Erkennung von Krebszellen

Aufnahme eines Zellschnitts für die Erkennung von Hautkrebs
Aufnahme eines Zellschnitts für die Erkennung von Hautkrebs

von Manuela Braun

Die Wissenschaftlerinnen Dr. Julia Fligge-Niebling und Dr. Sireesha Chamarthi vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind keine Ärztinnen. Sie werden nie in einer Praxis oder einem Krankenhaus auf Menschen mit Hautkrebs treffen und die Entscheidung fällen, ob ein Leberfleck auf Hautkrebs hinweist. Und dennoch werden sie dazu beitragen, dass Bilder von verdächtigten Hautstellen in Zukunft zuverlässiger erkannt werden können und Ärztinnen und Ärzte beim Hautscreening eine Hilfe erhalten. Die beiden Wissenschaftlerinnen am DLR-Institut für Datenwissenschaften arbeiten gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) daran, Künstliche Intelligenzen (KI) so zu trainieren, dass sie angepasst auf spezifische Rahmenbedingungen in Praxen und auf individuelle Patientinnen und Patienten Aufnahmen auswerten und auf ihre Krebswahrscheinlichkeit hin einschätzen können. Das von der Helmholtz Gesellschaft geförderte Projekt hat den etwas sperrigen Namen "Patient-specific diagnostic AI-systems via One-shot Domain Adaptation" (PSDAI) - gesucht wird nach der Methode, die eine Anpassung einer trainierten KI mit nur sehr kleinen Datensätzen ermöglicht.

Mehr als 230.000 Menschen erkranken jährlich an Hautkrebs, und eine Früherkennung ist die beste Chance auf Heilung. ABCDE - das ist die Formel, mit der Ärztinnen und Ärzte bei Leberflecken und Muttermalen zunächst einschätzen, ob es Hinweise auf Hautkrebs gibt: A wie asymmetrisch, B wie Begrenzung, die ungleichmäßig oder verwaschen ist, und C wie Colorit, also Färbung eines Leberflecks, die ungleichmäßig verteilt ist. D steht für Durchmesser, der nicht über fünf Millimeter sein sollte, und E steht für Entwicklung, wenn eine Hautveränderung sich plötzlich stark verändert. "Es ist schon länger ein Forschungsthema, Hautkrebs auch mit Methoden der Künstlichen Intelligenz zu erkennen", sagt Mathematikerin Dr. Julia Fligge-Niebling, die am DLR-Institut die Gruppe für Maschinelles Lernen leitet.

Die Wissenschaftlerinnen Dr. Sireesha Chamarthi und Dr. Julia Fligge-Niebling adaptieren eine KI für individuelle Bedingungen beim Hautkrebsscreening. (Quelle: DLR)

Aus dem Forschungslabor ins Krankenhaus

Studien haben bereits gezeigt, dass Künstliche Intelligenzen bei der Diagnose eine sinnvolle Unterstützung sein könnten. Systeme mit KI sind durchaus in der Lage, Auffälligkeiten zu erfassen und zu klassifizieren. Die Herausforderung dabei: "Jedes Krankenhaus und jede Praxis hat unterschiedliche Lichtverhältnisse oder Kameras bei der Aufnahme von verdächtigen Hautstellen. Und jede Patientin, jeder Patient hat eine ganz individuelle Hautfarbe oder auch Behaarung der Haut", erläutert Datenwissenschaftlerin Dr. Sireesha Chamarthi. Auch wenn die KI mit Zehntausenden oder Hunderttausende von Daten auf die Klassifizierung trainiert wurde, im individuellen Fall könnte sie ins Schleudern geraten und anfällig für Fehler sein, weil sie nicht exakt auf die jeweiligen Rahmenbedingungen eingestellt ist. Sollen neuronale Netze aus den Forschungslaboren in Zukunft einmal in Praxen und Krankenhäuser eingesetzt werden, müssen sie noch schlauer werden - oder vielmehr müssen sie einen Algorithmus erhalten, mit dem sie in möglichst kurzer Zeit und mit nur einem oder sehr wenigen Bildern angepasst werden können.

Trainieren für die Anpassung

Das DLR konzentriert sich dabei auf die Methodik: auf "Domain Adaption", das heißt die Anpassung eines trainierten KI-Modells an andere, aber verwandte Datensätze, und auf "Few Shot Learning", das heißt das Lernen mit wenig neuem Input. Das Deutsche Krebsforschungszentrum liefert dafür die entsprechenden Trainingsbilder und wird auch den erstellten Algorithmus später mit dermoskopischen Aufnahmen und Zellschnitten von Hautveränderungen testen. "Das Training eines KI-gestützten Diagnosesystems ist um einiges komplexer, als wir zunächst dachten", sagt Roman Maron, Informatiker und Datenwissenschaftler am DKFZ. Und dennoch haben Studien bereits gezeigt, dass eine KI im Wettbewerb bei der Hautkrebserkennung unter Laborbedingungen gleichauf mit den besten Ärztinnen und Ärzten liegt.

Leberflecken statt astronomischer Daten

Noch steht das Projekt, dass im Januar 2022 gestartet ist, ganz am Anfang. Um die Methode des "Few Shot Learing" zu erforschen und anzuwenden, muss zunächst einmal ein neuronales Netz mit Zehntausenden von Bildern trainiert werden. Anschließend beginnt die eigentliche Forschungsarbeit: Die Methode muss erarbeitet werden, damit sich die KI auch an individuelle Fälle anpassen kann. An Ärzte, die die Hautveränderungen mit hellerem Licht fotografieren. An verschiedene Kameratypen. An Patienten mit vielen oder wenigen dunklen Haaren auf der Haut. An Patientinnen mit sehr heller Haut. 

DLR-Datenwissenschaftlerin Sireesha Chamarthi hat vor ihrem Wechsel 2020 zum DLR am Indian Institute of Astrophysics in Bengaluru mit astronomischen Daten gearbeitet. Die verschiedenen Klassifizierungen für die Hautkrebserkennung sind Neuland für sie. "Aber das macht keinen Unterschied für meine Arbeit. Man muss zwar bei jeder neuen Aufgabe die Merkmale verstehen - aber es kommt letztendlich auf die richtige Methode an."

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