20. Juni 2022
Manuela Braun
Robotische Assistenzsysteme mit Feingefühl

Mal eben eine Flasche greifen, die Flüssigkeit in einen Becher schütten und diesen zum Mund führen – Bewegungen, die intuitiv gemacht werden, ohne großes Überlegen: Greifen, die Flasche über den Becher halten, leicht kippen und schon läuft der Kaffee in den Becher. Aus dem Becher trinken, das geschieht nahezu automatisch. Für Menschen mit motorischen Einschränkungen, bei denen beispielsweise die Muskeln sehr schwach sind, sind schon diese sowie andere alltägliche Handlungen wie das Öffnen von Türen nicht oder kaum noch möglich

Jörn Vogel und Annette Hagengruber vom Institut für Robotik und Mechatronik am DLR arbeiten daher zusammen mit ihren KollegInnen daran, dass ein Rollstuhl, der mit einem Roboterarm aus der Weltraumforschung ausgerüstet ist, ein Stück dieser Selbstständigkeit zurückbringt: EDAN (EMG-controlled daily assistant) heißt das mobile Robotersystem, das als Assistent beim Greifen nach Flaschen, Bechern, Tür- oder Schubladengriffen helfen kann. Ein kleines schwarzes Kästchen mit Elektroden misst auf der Hautoberfläche der Nutzenden dafür die noch vorhandene Muskelaktivität – diese Signale werden dann in Bewegungen des Rollstuhls und des Roboterarms umgesetzt.

Sichere Zusammenarbeit von Mensch und Maschine

Dabei kann der Rollstuhl die Nutzenden auch unterstützen, indem er Aktionen selbstständig ausführt. "Kommt die Roboterhand beispielsweise in die Nähe der Flasche, erkennt EDAN das und leitet die entsprechende Greifbewegung ein", erläutert Ingenieur Jörn Vogel. "Allerdings behält der oder die PatientIn natürlich weiterhin die Kontrolle und kann jederzeit stoppen."

Das ist besonders wichtig bei der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: Der Mensch muss sich jederzeit sicher fühlen. "Wir programmieren auch einen gesperrten Raum um den Menschen herum, in den der Roboterarm nicht eindringen kann", fügt Ingenieurin Annette Hagengruber hinzu. Und bei unvermuteten Stößen gegen den Roboterarm wird dieser nachgiebig und beendet die Aktion. Verletzungen durch einen ungeschickt gesteuerten Roboterarm sind damit ausgeschlossen. 

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Doch so einfach es sich anhört, ist es nicht. Nicht nur einmal ist der Kaffee bei den Testläufen im Labor nicht im Becher, sondern auch daneben gelandet. Die Erfolgsquote liegt zwar bei 95 Prozent – aber im Alltag soll das System noch zuverlässiger funktionieren. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team müssen Hagengruber und Vogel den Assistenzroboter daher so intelligent machen, dass er Gegenstände und ihre Funktion erkennt, Bewegungen des menschlichen Körpers exakt imitiert und sich räumlich ohne Probleme orientiert.

"Wir entwickeln einen ganzheitlichen Ansatz für eine intuitive Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter", fasst Jörn Vogel zusammen. Im EDAN-Team kommen Informatik, Maschinenbau und Ingenieurswissenschaften zusammen. Jörn Vogel beispielsweise hat Ingenieurinformatik mit dem Schwerpunkt Maschinenbau studiert, Annette Hagengruber Medical Engineering (Medizintechnik).


Das DLR hat zudem den Vorteil, dass gleich nebenan im nächsten Labor des Instituts weitere Expertinnen und Experten für die verschiedensten Fachdisziplinen von Hardware, Regelung, Bildverarbeitung, Steuerung bis hin zur Aufgabenplanung arbeiten. "Dadurch haben wir am DLR die nötigen Kompetenzen zur Verfügung und somit auch die Möglichkeit, alles selbst zu gestalten", sagt Annette Hagengruber. Ebenso wie Jörn Vogel ist sie schon seit den Anfängen des Projekts im DLR dabei.

Konzentration und Training für mehr Selbstständigkeit

Die Ausstattung des mobilen Robotersystems ist gezielt für das Projekt ausgelegt – eine Kamera neben dem Kopf der Nutzenden dient der Detektion von Objekten in der Umgebung. Dieses Bild wird auch auf ein Tablet für den Nutzenden übertragen. Der angebrachte Leichtbauroboterarm mit der robotischen Hand ist sehr feinfühlig und ist gleichzeitig stark genug, um Wasserflaschen zu heben oder Türen öffnen zu können. Besonders wichtig und für das Team um EDAN eine enorm aufschlussreiche Erfahrung ist die Zusammenarbeit mit Menschen, deren Beweglichkeit stark eingeschränkt ist. Wie zum Beispiel mit der Frau, die mit winzigen Muskelbewegungen von ihrem Bett aus den Roboterarm in verschiedene Richtungen steuern kann. Oder die Probandin, für die der Roboterarm eine Flasche mit einem Strohhalm hebt, vor ihr Gesicht bringt und ihr so das selbstständige Trinken ermöglicht.

In naher Zukunft wird das EDAN-Team auch mit Pflegepersonal des Caritas-Verbands zusammenarbeiten. Das Robotersystem könnte nämlich auch ganz autonom arbeiten, ohne Proband im Rollstuhl. Beispielsweise kleinere Transporte übernehmen oder unterstützende Tätigkeiten für das Personal übernehmen. "Doch dafür wollen wir ganz konkret wissen, wo Hilfe benötigt wird", sagt Jörn Vogel. Wie autonom der EDAN-Rollstuhl dann agiert, hängt ganz von seinem Einsatzzweck und dem Wunsch der Nutzenden ab. Etwas, was ganz individuell ist, sagt Annette Hagengruber. Bis ein System wie EDAN als Assistenzroboter zum Einsatz kommt, steht allerdings noch einiges an Forschungsarbeit an. Sicher soll der robotische Helfer sein, intuitiv zu bedienen, sich ebenso gut wie der Mensch bewegen. "Da wird es sehr schnell sehr kompliziert", sagt Jörn Vogel. "Der Mensch ist schon sehr gut, in dem was er macht."

Arbeiten beim Institut

Das DLR-Institut für Robotik und Mechatronik mit Sitz in Oberpfaffenhofen bei München hat mehr als 200 Mitarbeitende. Dazu gehören über 40 Promovierende. Im vergangenen Jahr wurden zudem rund 50 Diplom- und Bachelorarbeiten abgeschlossen. Thematisch liegt der Schwerpunkt des Instituts auf der Entwicklung von Robotern, die es den Menschen ermöglichen, wirkungsvoller, effizient und sicherer mit der Umwelt zu interagieren. Dazu forscht das Institut interdisziplinär an der gesamten Entwicklungskette - von der Systemanalyse über die Konstruktion von Mechanik und Elektronik bis hin zu Perzeption und Kognition, der Planung und Ausführung von Aktionen, maschinellem Lernen und der Entwicklung von Anwendungen. Die Anwendungen der robotischen Systeme liegen sowohl im Bereich der Raumfahrt als auch in Medizintechnik, der Fabrik der Zukunft oder auch der Katastrophenhilfe. Mit Ausgründungen wie Leverage Robotics, Agile Robots, Roboceptions oder Sensodrive oder Kooperationen mit Industriepartnern bringt das Institut seine Ergebnisse aus der Forschung auf den Markt. 

Über die Autorin
Manuela Braun macht seit 2010 Öffentlichkeitsarbeit für das DLR. Als ausgebildete Journalistin in Print und Online ist sie am liebsten dort vor Ort, wo Forschungsthemen zum Greifen nah sind. zur Autorinnenseite