20. Dezember 2021
Manuela Braun
Fahrerlos und auf Abruf unterwegs

In Science-Fiction-Filmen ist es schon längst Wirklichkeit: Ein futuristisches Auto ohne Fahrer am Steuer fährt vor, der Passagier steigt ein und wird zügig zu seinem Ziel gefahren. Reibungslos, ganz ohne Probleme schwimmt das autonome Fahrzeug im fließenden Stadtverkehr mit. Öffentlicher Nahverkehr „on demand“ - auf die individuelle Anforderung der Kundin oder des Kunden hin. So einfach ist es in der heutigen Realität aber dann doch nicht mit den autonomen Fahrsystem. Äste, die über der Straße hängen und Sensoren irritieren. Geparkte Fahrzeuge, wo eigentlich keine Fahrzeuge parken dürfen. Gesetzliche Vorschriften für den öffentlichen Nahverkehr, in welchen Bereichen und unter welchen Gegebenheiten überhaupt Haltepunkte angefahren und Kundinnen und Kunden einsteigen dürfen. Mit all diesen Gegebenheiten mussten auch die beiden elektrisch betriebenen Mini-Busse des Projekts „emoin“ im Rahmen des „RealLabHH“ zurechtkommen. „Wir haben so ein System zum ersten Mal mit echten Fahrgästen und im echten Straßenverkehr erprobt“, sagt Anke Sauerländer-Biebl vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. Die „emoin“-Projektleiterin ist ausgebildet im Software Engineering. Das DLR steuerte zu dem Gemeinschaftsprojekt von der Verkehrsgemeinschaft Hamburg-Holstein (VHH), Continental, EasyMile und DEKRA die Planung der Routen sowie die Nutzerbefragung bei.

Sechs Wochen lang fuhren dafür die beiden Mini-Busse ab dem 21. September 2021 durchs Villenviertel Bergedorf. Der Stadtteil liegt im Südosten Hamburgs und hat eine Fläche von zehn Quadratkilometern. Die meisten Straßen liegen in einer Zone 30, so dass die langsam fahrenden und oft haltenden „emoin“-Busse nicht zum Verkehrshindernis wurden. Ebenso gibt es keine Ampelkreuzungen im Stadtteil – die Sensoren der Shuttle und ihre Künstliche Intelligenz sind nicht in der Lage, die herkömmlichen Ampeln zu lesen und darauf zu reagieren. Einer der sechs Passagiersitze blieb einem Sicherheitsbegleiter vorbehalten, der immer dann eingriff, wenn der „emoin“-Bus Unterstützung brauchte. Autonome Systeme auf festen Schienen wie beispielsweise für den Pendelverkehr zwischen Flughafenterminals gibt es bereits im Einsatz, hingegen sind autonome Systeme, die im alltäglichen Straßenverkehr mit all seinen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden individuelle Routen erstellen und diese mit eigener Planung individuell befahren, bisher relatives Neuland.

Bestellung mit der App

Per App orderten die registrierten Passagiere die Abholung durch den “emoin“-Bus. „Mit mindestens zehn Minuten Vorlaufzeit, damit die Fahrtstrecke daran angepasst werden konnte“, erläutert Projektleiterin Anke Sauerländer-Biebl. Auf ihre oder seine Anfrage hin erhielt die Kundin oder der Kunde dann einen Vorschlag, wann die Abholung wo erfolgen kann. Sobald die Bestätigung der Buchung im System eintraf, wurde der Stopp in die Route eingeplant. Die meisten – das hat die Befragung der Nutzerinnen und Nutzer ergeben – sind aus Neugierde mitgefahren. „Unterhaltsam“ sei es gewesen, lautete die Antwort, die Psychologin Annika Dreßler vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik mit ihrem Team in den Auswertungen der User-Experience-Befragung mit dem höchsten Wert bewertet fand. Zudem hätten die meisten die Mitfahrt auch positiv erlebt – nützlich, zuverlässig und sicher. „Und würden Sie solche fahrerlosen Shuttle nutzen?“ – „Ja, definitiv“, war die häufigste Antwort. 

Die Routenplanung funktionierte, die beiden Mini-Busse fuhren durch Bergedorf, ließen Fahrgäste ein- und aussteigen und deckten so die kurzen Distanzen zwischen der S-Bahnhaltestelle Bergedorf und beispielsweise dem Zuhause ab. Allerdings: Die Fahrten durch die engen Straßen hatten auch ihre Tücken. Mal baumelten regennasse Äste über der Fahrbahn – und gaben ein anderes Bild ab als jenes, dass die Busse für die Streckenplanung „gelernt“ hatten. Dann bremste der Bus aus Sicherheitsgründen zügig. Und das störte wiederum die Fahrgäste und führte zu negativen Bewertungen bei deren Befragung. Mal hinderten geparkte Fahrzeug in den schmalen Straßen die ungestörte und gelernte Fahrt der „emoin“-Busse, für die bereits vor der Testphase einige Halteverbote an den Straßenrändern eingerichtet wurden. Teils zum Missfallen der Anwohnenden, die auf Parkplätze verzichten mussten. Das alles führte auch dazu, dass die Busse mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur vier Kilometern in der Stunde unterwegs waren.

Das alles muss berücksichtigt werden, wenn in Zukunft einmal solche Mobilitätskonzepte wie „emoin“ in den Städten die individuellen Fahrten mit dem Pkw ergänzen oder sogar ersetzen sollen. „Nicht die Unsicherheit über die Mitfahrt in einem fahrerlosen Fahrzeug war ein Problem für unsere Fahrgäste, sondern vielmehr die noch relativ geringe Beförderungsleistung, die das Angebot bislang nur für bestimmte Nutzer in bestimmten Situationen als geeignete Alternative erscheinen lassen“, fasst Annika Dreßler zusammen.

Erkenntnisse für urbane Mobilität

In den sechs Wochen Fahrbetrieb haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einiges testen können. Sie sind in den Mini-Bussen mitgefahren und haben an Straßenkreuzungen gestanden und sorgfältig erfasst, in welchem Umfeld die Busse durch die Straßen fahren und wie sie mit welchen Verkehrsteilnehmenden interagieren. Sie haben Bewertungen zu Fahrkomfort, Sicherheitsgefühl, Anforderungen und Wünschen erhalten. „Noch wäre ein solches System auf dem Markt nicht konkurrenzfähig“, sagt Psychologin Annika Dreßler. Der Individualverkehr und der traditionelle öffentliche Nahverkehr liegen derzeit noch vorne in der Nutzerwahrnehmung. In Zukunft könnten aber erprobte und optimierte fahrerlose, also autonome Systeme kostengünstiger sein, beispielsweise wenn sich ein Linienverkehr aufgrund der Auslastung nicht lohnt. „Insgesamt ist aber das Interesse groß an dieser Art der urbanen Mobilität“, sagt Anke Sauerländer-Biebl. „Ich glaube, so ein System wird kommen. Die Fahrzeuge werden zunehmend besser im Verkehr mitfahren können, ohne ein Hindernis zu sein, und sie werden funktioneller werden.“

Über die Autorin
Manuela Braun macht seit 2010 Öffentlichkeitsarbeit für das DLR. Als ausgebildete Journalistin in Print und Online ist sie am liebsten dort vor Ort, wo Forschungsthemen zum Greifen nah sind. zur Autorinnenseite