01. August 2022
Manuela Braun
Kommunikation mit Einsen und Nullen zwischen Himmel und Erde

Unterwegs mit 700 Kilometer in der Stunde, über 10.000 Meter über dem Boden, und unten sieht man die Münchner Theresienwiese, ein großes Areal mit weißen Zeltaufbauten. Immer wieder blitzt einer der vielen Seen rund um Oberpfaffenhofen auf. Gerade fliegt die Falcon des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an München vorbei, um dann wieder in einer großen Schleife in Richtung des Standorts Oberpfaffenhofen zurückzukehren.

Die Falcon simuliert heute ein ganz normales Flugzeug, in dem Fracht oder Passagiere von A nach B fliegen. Wenn die Piloten Michael Großrubatscher und Philipp Weber mit den Flughäfen München und Oberpfaffenhofen in Kontakt sind, nutzen sie die Technik, die schon seit den 1940ern an allen Flughäfen und in allen Flugzeugen verwendet wird: den analogen Sprechfunk. In der Passagierkabine hinten hingegen findet gerade die Zukunft der Kommunikation zwischen Boden und Luft statt: die digitale Kommunikation LDACS (L-Band Digital Aeronautical Communications System).

Technologie auf der Zielgeraden

Im Experiment-Rack in der Kabine ist die neu entwickelte Empfangs- und Sendestation eingebaut. Daniel Mielke vom DLR-Institut für Kommunikation und Navigation und Stefan Kurz vom österreichischen Unternehmen Frequentis überwachen, ob und in welcher Stärke die vom Boden gesendeten großen Datenmengen über die Antenne am Flugzeugboden empfangen und in der Radioanlage verarbeitet werden. Die Idee für die digitale Kommunikation entstand vor rund zehn Jahren im DLR und wurde seitdem erforscht und ausgebaut.

Jetzt, in Kooperation mit Industriepartnern, wird das System mit einer zweiwöchigen Flugkampagne auf die Zielgerade gebracht: LDACS soll für die International Civil Aviation Organization (ICAO) unter Beweis stellen, dass es ein standardisiertes Kommunikationssystem ist, das die Fluglinien zukünftig unter anderem für den Datenaustausch zwischen Piloten und Lotse zuverlässig nutzen können. Mit dem zunehmenden Flugverkehr ist das dringend erforderlich: „Die Anzahl der Frequenzen ist endlich und wird nicht mehr ausreichen“, sagt Projektleiter Dr. Thomas Gräupl vom DLR-Institut für Navigation und Kommunikation. „Der analoge Sprechfunk kann auch in der Qualität und der Effizienz nicht mehr mithalten.“ LDACS hingegen nutzt die Technologie, die auch im Mobilfunk eingesetzt wird – allerdings modifiziert, um sie im Flugfunk zu verwenden. Der Bedarf der Fluggesellschaften ist vorhanden, LDACS muss nun also dafür vorbereitet werden, aus der Forschung über die Industrie auf den Markt zu kommen.

Kommunikation mit Nullen und Einsen

Auf dem Bildschirm von Daniel Mielke tut sich gerade wenig. Normalerweise sind dort die Empfangsleistungen auf einem Spektrum als höhere Ausschläge zu sehen – jetzt herrscht Stillstand auf der Anzeige. „Wir fliegen gerade in die Abschattung der Antenne“, sagt er zu Stefan Kurz. Der nickt, auch seine Anzeigen bestätigen dies. Kein Grund, am LDACS-System zu zweifeln. Die Falcon wendet gerade in einer Kurve und die unter dem Flugzeugbauch montierte Antenne hat keinen „Blickkontakt“ mehr mit der Antenne, die das Team auf dem Gebäudedach am DLR-Standort aufgestellt haben. In der realistischen Anwendung würde die Sendeleistung dieser Antenne beispielsweise deutlich höher sein: „Aber zum einen sind wir nah am stark frequentierten Münchner Flughafen und zum anderen arbeiten auch andere Institute am Standort mit ihren Antennen – beide können wir nicht mit einer starken temporären Antenne stören.“


Es bleibt allerdings nicht immer so ruhig auf der Bildschirm-Anzeige. Einmal springt das gesamte Spektrum in die Höhe, weil anscheinend nahe am oder im L-Band ein anderer, unbekannter Sender stört. Umso näher die Falcon dem DLR-Standort Oberpfaffenhofen kommt, desto besser müsste die Empfangsleistung der Flugzeugantenne und die Datenlieferung des Funkradios werden. Dann aber sorgt die hohe Geschwindigkeit, mit der der Forschungsflieger die Sendeantenne am Boden überfliegt, für den Doppler-Effekt, also die Stauchung oder auch Dehnung des Signals. Beides sind Herausforderungen, die beim Einsatz von LDACS gelöst werden müssen. Dafür wird das digitale Kommunikationssystem aber auch die Möglichkeit bieten, nicht nur Sprache, sondern auch Text und Bilder schnell zu übertragen – und kann zudem zur präzisen Positionsbestimmung des Flugzeugs genutzt werden. „Wir haben Nullen und Einsen – in der digitalen Kommunikation ist es egal, ob die transportierten Daten Audios oder Videos oder Anweisungen von Lotsen sind“, erläutert Daniel Mielke.

Ein Labor als Bodenstation und Tower

Das Gegenstück zur Falcon in der Luft befindet sich im Labor des Instituts. Dort sitzt Leonardus Jansen, während das Forschungsflugzeug um Oberpfaffenhofen kreist. Der Niederländer ist Informatiker und auf Cybersicherheit und Netzwerkverkehr spezialisiert. Racks mit Unmengen an Kabeln und Steckverbindungen, ein Bildschirm, auf dem die Position der Falcon mit einer Zeitmessung auf die Millisekunde genau erfasst wird - an seinem Arbeitsplatz werden die Bodenstation sowie der Fluglotsenplatz im Tower simuliert. Viele Monate Arbeit hat er in die Softwareentwicklung investiert, die mit allen Internetprotokoll-Standards kompatibel ist. Bei den nächsten Flügen der zweiwöchigen Flugkampagne wird er unter anderem große Datenmengen senden und empfangen, um ein hohes Aufkommen an Flugverkehr zu simulieren. Zudem wird er eine am Institut entwickelte Chat-Applikation testen, um auch dann noch mit den Kolleginnen und Kollegen im Flieger kommunizieren zu können, wenn der Handyempfang längst aufgegeben hat. Zeitgleich mit dem Flug der Falcon sind auch die übrigen Mitglieder des Teams in die Umgebung des Flughafens Oberpfaffenhofen aufgebrochen. Sie zeichnen die LDACS-Signale von verschiedenen Orten aus auf, um diese zu validieren. Zudem wird mit den Datenaufzeichnungen vom Boden aus erforscht, wie exakt das LDACS-Signal zur Positionsbestimmung verwendet werden kann.

Kompetenzen aus allen Fachrichtungen und Ländern

Das LDACS-Team ist interdisziplinär und international. Informatiker und Mathematiker Dr. Thomas Gräupl selbst arbeitete bereits in seiner Dissertation zu LDACS und leitet nun das Projekt am DLR. Die Standardisierungsaktivitäten zu LDACS im Rahmen der ICAO führt Elektrotechnikingenieur Dr. Michael Schnell durch. Daniel Mielke ist ebenfalls Elektrotechnikingenieur – „mit einem großen Anteil an Softwareentwicklung für die Datengewinnung und -auswertung“, sagt der Doktorand. Leonardus Jansen und Nils Mäurer sind Informatiker. Sie haben die Software für das Experiment entwickelt. Dr. Alexandra Filip-Dhaubhadel, Ayten Gürbüz, Dennis Becker, Miguel Bellido-Manganell und Lukas Schalk sind Elektrotechnikingenieure. Sie haben den Aufbau, Test und Betrieb der Flugzeug- und Bodenstationen durchgeführt und die Komptabilität mit anderen Funksystemen durch Frequenzplanung sichergestellt. Dr. Kazuyuki Morioka ist Gastwissenschaftler des Electronic Navigation Research Institute (ENRI) aus Japan. Er unterstützt die weltweite Validierung des LDACS-Standards. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen aus Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Rumänien, der Türkei, Spanien und Japan.

Landeanflug auf Oberpfaffenhofen

Nach 90 Minuten setzt die Falcon zum Landeanflug an. Rechts auf Augenhöhe flackert bereits die Anzeige „No Smoking“. Das Forschungsflugzeug ist mehr als 45 Jahre alt – damals war Rauchen an Bord noch während des Flugs gestattet. Am Inneren der zum Forschungsflieger umgebauten Maschine hat zwar der Zahn der Zeit ein wenig genagt. Noch während der Mission absolvierte die Falcon ihre 10.000 Flugstunde. Und auch diesen Flug für LDACS hat die Falcon, die meistens zur Atmosphärenforschung verwendet wird, zuverlässig absolviert. Das Ergebnis werden große Mengen Daten für das LDACS-Team und die Partner Frequentis, Honeywell und Airtel sein. Aber auch die Gewissheit, dass das System ter realen Bedingungen dem Test standhält. „LDACS kann das 200-fache dessen leisten, was aktuell verfügbar ist bei der Flugführung“, sagt Projektleiter Thomas Gräupl.

Insgesamt forschen und arbeiten rund 200 Mitarbeitende am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation an den Standorten Oberpfaffenhofen und Neustrelitz. Das Spektrum des Instituts reicht dabei von den theoretischen Grundlagen über die Demonstration neuer Verfahren und Systeme im realen Umfeld bis hin zum Technologietransfer. Vier Missionen hat sich das Institut gesetzt: die flächendeckende globale Vernetzung, die Präzision von Global Positioning, die Autonomie und Kooperation im Verkehrswesen, die Gelände-Erkundung auf der Erde und auf fremden Planeten sowie die Cyber-Sicherheit.

Über die Autorin
Manuela Braun macht seit 2010 Öffentlichkeitsarbeit für das DLR. Als ausgebildete Journalistin in Print und Online ist sie am liebsten dort vor Ort, wo Forschungsthemen zum Greifen nah sind. zur Autorinnenseite