DLR Magazin 147 - page 28-29

ISLAND-FLUGKAMPAGNE
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Blick in die Kabine der DLR-Falcon nach hinten mit den beiden Wind-Lidar-Instrumenten und dem DLR-Wissenschaftler Dr. Oliver Reitebuch vom Institut für
Physik der Atmosphäre. Der optische Empfänger des Satelliten-Prototypen ALADIN ist zur thermischen Stabilisierung gut isoliert (graue Box, Bildmitte).
Grönlands Ostküste mit seinen Gipfeln und im Mai noch gefrorenen Fjorden und See-Eis
Das Unternehmen beginnt bereits zwei Tage zuvor mit einem ausführlichen Wetterbriefing der
DLR-Forscher. Im Licht des Videobeamers ist zu sehen, was die ersten zwei Wochen der Mission
noch sehr unwahrscheinlich war: In der Nacht vom 21. auf den 22. Mai 2015 wird es über der
Gipfelstation mitten auf Grönland keine Wolken geben. Die Forscher benötigen wolkenfreie
Bedingungen, wie bei den Erprobungsflügen an den vergangenen Tagen Richtung Südgrönland,
Nordschottland und über dem Nordpolarmeer, um das Wind-Lidar optimal testen zu können. Es
kommt Euphorie auf. Die Vorbereitungen für den perfekten Forschungsflug werden intensiviert.
Gemeinsam besprechen Wissenschaftler und Piloten den genauen Flugplan. Die Flugroute soll
von Keflavik nordwestlich Richtung der grönländischen Ostküste verlaufen und von dort immer
weiter nordwärts Richtung Inland führen, bis der höchste Punkt des grönländischen Eisschilds mit
der dortigen Forschungsstation erreicht ist. Der Kraftstoff an Bord der Falcon wird für zwei Über-
flüge der Station und zwei Umkreisungen reichen, rechnen die Piloten aus. Danach muss der
Rückweg auf gleicher Route eingeschlagen werden. Auch für die Mitarbeiter des abgelegenen
arktischen Außenpostens auf Grönland ist es ein besonderes Ereignis, denn es kommt nur sehr
selten vor, dass ein Forschungsflugzeug ihre Station passiert.
Die Nacht des Gipfelfluges
19:00 Uhr
ist es am Abend des 21. Mai 2015, als der Bordtechniker die externe Stromversor-
gung der Falcon anschaltet, um die Messgeräte auf 25 Grad Celsius Betriebstemperatur zu
heizen. Die Laser der Wind-Lidar-Geräte müssen in einem sehr engen Frequenzbereich Licht
aussenden, um Windfelder exakt zu erfassen. Ein Spektrometer, welches das zurückgestreute
Licht von Luftmolekülen analysiert, muss sogar auf ein Hundertstel Grad Celsius stabilisiert
werden. Für die Wissenschaftler an Bord, die jetzt am Boden beginnen, ihre Detektoren, Sende-
geräte und Analysetechniken zu kalibrieren, ist es ein besonderer Moment, vergleichbar mit der
Aufbruchsstimmung in einem Basislager vor einer Gipfelbesteigung. Aus der Kabine hört man:
„Das wird ein außergewöhnlicher Sunsetcruise heute Nacht!“
19:30 Uhr
wird die Mannschaft von einem Systemausfall überrascht: Eines der Lidar-Instrumente
macht Probleme. Genauer: Eine Kamera zum Justieren der empfindlichen Laser löst nicht mehr
richtig aus. Ist das Problem noch kurzfristig zu beheben? Heute ist die einzige Nacht, die wäh-
rend der Islandmission den wolkenfreien Flug hinüber zum Gipfel Grönlands erlauben wird.
Angespannt werden verschiedene Versuche unternommen, die Kamera wieder zum Laufen zu
bringen. Ein Wechselbad der Gefühle unter Zeitdruck: Die Systeme herunterfahren, bangen,
wieder hochfahren, alle Funktionen testen und hoffen, dass es wieder läuft. Nach einer Stunde
ist es tatsächlich geschafft: Die Lidar-Laser sind voll einsatzbereit für den Gipfelflug.
21:00 Uhr
öffnet sich langsam das Hangartor. Doch bei einem Spalt von zwei Metern bleibt es
plötzlich stehen. Davor wartet schon der Tankwagen. Die Falcon aber ist von einem Moment auf
den anderen Gefangene im Hangar und kann nicht mehr hinaus. Es gibt ein zweites Hangartor auf
der Rückseite. Aber dorthin ist kein Durchkommen, seit vor wenigen Stunden von der isländischen
Airline WOW-Air ein A320-Passagierjet zur Wartung hineingeschoben wurde. Die Gipfelmann-
schaft ist geschockt. Wird es noch möglich sein, den Gipfel rechtzeitig vor der heranziehenden
Bewölkung zu erreichen? Noch einmal wird versucht, das Hangartor zurück- und wieder vorzu-
schieben. Es ist auf die Schnelle nichts zu machen. Der Hangar bleibt verschlossen. Da hat jemand
eine Idee: „Wir können nur versuchen, die isländische Airline zu erreichen und diese fragen, ob
sie für uns ihre Linienmaschine noch einmal aus dem Hangar ziehen kann!“ Die Airline wird
verständigt und ist zum Glück trotz der fortgeschrittenen Abendstunde
bereit zu helfen. Allerdings wird ein massives Pushback-Fahrzeug benö-
tigt. Das aber befindet sich bereits wieder im Einsatz bei den Passagier-
terminals am anderen Ende des internationalen Flughafens Keflavik.
Parallel zu diesen Bemühungen um eine Lösung wird ein Elektriker per
Telefon aus dem Feierabend geholt. Er soll das defekte Tor wieder zum
Laufen bringen. Ein Wettlauf beginnt. Wird das Pushback-Fahrzeug
rechtzeitig eintreffen oder schafft es der Elektriker, schneller zurück auf
dem Flughafen zu sein?
21:20 Uhr
trifft das Pushback-Fahrzeug tatsächlich zuerst am Hangar
ein. Der A320 wird herausgeschoben und der Weg für die Falcon durch
den Hinterausgang ist frei. Ganz überstanden ist die heikle Situation
dennoch nicht. Die Falcon muss nun auf engstem Raum gewendet
werden, ohne mit ihren Tragflächen das noch immer verschlossene
vordere Hangartor zu streifen. Vier sanfte Züge und Schübe mit der
Schleppstange sind nötig, dann ist die Falcon endlich befreit. Der Tank-
wagenfahrer hat geduldig auf die verhinderte Falcon gewartet, sodass
es jetzt sehr schnell gehen kann.
22:30 Uhr
rollt die Falcon im Abendlicht zur Startbahn und hebt mit
nur halbstündiger Verspätung endlich ab. An Bord: zwei Piloten, ein
Bordtechniker und zwei Wissenschaftler. Sie beginnen nun über der
Wolkendecke, Schritt für Schritt alle Messgeräte anzuschalten. Die Falcon
steuert auf einen Übergabepunkt mit Namen „HEKLA“ über dem Meer
nordwestlich von Reykjavik zu. Hier übergibt die isländische Flugsiche-
rung die Maschine an den Kollegen des nächsten Kontrollsektors. Es ist
der einzige allgemein festgelegte Wegpunkt, den die Piloten bei diesem
Forschungsflug überfliegen, alle anderen sind lediglich Koordinaten.
Vor der fünfköpfigen Crew liegt noch ein Stück Polarmeer und dann die
Weite des größten Festlandeisschildes der Welt. Hier oben, so weit im
Norden, gibt es keine Radarabdeckung für die Flugsicherung. Die Piloten
melden sich an vorher vereinbarten Wegpunkten bei der Flugsicherung,
um ihre aktuelle Position durchzugeben.
23:30 Uhr
erreicht die Falcon die Ostküste Grönlands. Die Berge ragen
zu Beginn noch über das ewige Eis hinaus. Ein imposanter Anblick im
Licht der tief über dem Horizont stehenden Sonne. Für die Wissen-
schaftler an Bord beginnt nun der spannendste Teil des Fluges. Über
FORSCHUNGSFLUG-
KAMPAGNE ADM
Die Forschungsflugkampagne ADM
(Atmospheric Dynamics Mission) ist ein
Beitrag des DLR zur ESA-Mission ADM-
Aeolus und wurde in Kooperation mit
der Europäischen Weltraumorganisation
ESA durchgeführt. Beteiligt sind das DLR-
Institut für Physik der Atmosphäre, die
DLR-Flugexperimente, die ESA und die
Universität Leeds, die ein Wind-Lidar auf
der grönländischen Gipfelstation instal-
lierte. Zudem wurde diese Mission in
Kooperation mit der NASA durchgeführt.
Weltweit erstmalig kamen dabei gleich-
zeitig vier Wind-Lidar-Instrumente auf
zwei Flugzeugen zum Einsatz.
Die Windfelder werden derzeit noch
optisch von Wettersatelliten über die Ver-
folgung der Wolkenbewegungen erfasst
oder bodennah über den Ozeanen mittels
Radar vom Satelliten vermessen. Über
weite Höhenbereiche der Atmosphäre
fehlen Windinformationen vollständig.
Die Wind-Lidar-Messungen erlauben es
zukünftig, direkt die Windgeschwindig­
keiten vom Boden bis in 20 Kilometer
Höhe mit deutlich höherer Präzision zu
detektieren. Dabei nutzt die Technik Laser-
licht einer genau bestimmten Wellenlänge,
das in die Atmosphäre emittiert wird. Je
nach Bewegung des Windfeldes wird das
Licht mit einer nur minimal veränderten
Wellenlänge zurückgestreut. Aus dem
Wellenlängenunterschied errechnet sich
die entsprechende Windgeschwindigkeit.
Die Technik erlaubt es, zehn Milliardstel
kleine Wellenlängenänderungen exakt zu
erfassen.
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Bild: NASA
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