DLR Magazin 147 - page 36-37

D
as heutige Wissen über die Entwicklung von Sternen resultiert aus Beobachtungen des Nachthimmels. Dabei wurden auch die
Leuchtkraft und die Farbe von Sternen bestimmt. Werden diese Größen für alle Sterne vermessen und in ein Diagramm übertragen,
wird deutlich, dass sich Leuchtkraft und Farbe nicht zufällig verteilen: In einzelnen Bereichen lassen sich viele Sterne finden, in anderen
existieren kaum Sterne. Aus mathematischen Modellen, welche die Leuchtkraft und Farbe von Sternen anhand ihrer Eigenschaften, wie
etwa der Masse und der chemischen Zusammensetzung, darstellen, können ganze Sternentwicklungsverläufe vorhergesagt werden. So
weiß man heute, dass sich die Sonne im Laufe ihrer Entwicklung nach Verbrauch ihrer Wasserstoffreserven ausdehnen, die Leuchtkraft
erhöhen und mehr rötlich strahlen und zu einem Roten Riesen werden wird. Auch der wird sie nicht ewig bleiben, sondern am Ende
ihrer Entwicklung zum Weißen Zwerg werden.
Von jeher üben Sterne eine große Faszination auf die Menschen aus. Besonders natürlich auf die Astronomen, aber auch auf Wissen-
schaftler ganz anderer Disziplinen. Luftfahrtforscher zum Beispiel. Es gibt in der Tat Gemeinsamkeiten zwischen Sternen und Flughäfen.
Betrachtet man die heute beobachtbaren Sterne in einem Dia-
gramm, so werden verschiedene Entwicklungsstadien von Sternen
sichtbar. In mathematischen Modellen erfasst, kann man sie für die
Geschichte und Vorhersage einzelner Sternentwicklungen über
Milliarden von Jahren nutzen. Das DLR-Institut für Flughafenwesen
und Luftverkehr unternimmt diese Art von Modellrechnungen für
Flughäfen. Dafür werden weltweit alle Flughäfen mit Linienflugver-
kehr in den Blick genommen, um dann die Flugpläne jedes einzel-
nen Flughafens Jahr für Jahr zu untersuchen. Was bei den Sternen
als Leuchtkraft gemessen wird, findet bei den Flughäfen seine Ent-
sprechung in der Anzahl der jeweils geplanten Bewegungen pro
Jahr. Anstatt der Farbe, die bei der Analyse der Sterne bestimmt
wird, ist es bei Flughäfen die Auslastung. Man geht also der Frage
nach, wie stark ein Flughafen an seiner Kapazitätsgrenze arbeitet.
Um das Maß der Auslastung eines Flughafens zu bestimmen, muss
man eine Grenze in der stündlichen Bewegung auf einem Flughafen
bestimmen. Die maximale Kapazität eines Flughafens wird durch die
Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Flugbewegungen, die
einzuhalten sind, festgelegt. Diese sind von Wetterbedingungen, der
Art des Verkehrs, Ausrüstung und verfügbaren Pisten abhängig. Die
dadurch schwankenden Stundenkapazitäten machen es nicht ein-
fach, über das Jahr Flughafen-Kapazitäten vorherzusagen.
Bietet man zu viele Flüge in einer Stunde an, wird das Risiko, den
Flugplan nicht mehr einhalten zu können, größer. Es liegt also im In-
teresse der Airlines und des Flughafens, einen Kompromiss zwischen
dem Risiko einer temporären Überlastung und der Verlässlichkeit für
die Kunden zu finden.
Astronomen und Luftfahrtforscher verbindet mehr als der Blick zum Firmament
Von Prof. Dr. Johannes Reichmuth
ERDE ( Ø 12.472 KM)
WEISSER ZWERG (CA. Ø 15.000 KM)
SONNE ( Ø 1.400.000 KM)
ROTER RIESE ( Ø 300.000.000 KM)
STERNE UND FLUGHÄFEN
Ein stark ausgelasteter Flughafen kann zum
„Roten Riesen“ werden
FLUGHAFENWESEN
DLRma
G
azin
147
37
Auslastung der Flughäfen weltweit 2010 (oben) und 2030 (unten):
Viele Flughäfen in den globalen Ballungszentren werden bei heutiger
Infrastruktur künftig überlastet sein (große rote Kreise). Viel mehr Flug­
häfen aber werden wenig Verkehr aufweisen, nicht mehr so stark aus­
gelastet sein und mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben
(kleine blaue Kreise).
Flughäfen weltweit erfasst nach ihrer Verkehrsstärke und Kapazitätsauslastung: Im
oberen Bereich Flughäfen mit größeren Bewegungszahlen. Diese finden sich bevor-
zugt rechts bei größeren bis sehr großen Auslastungsgraden. Bewegungsstarke Flug-
häfen mit moderaten Auslastungsgraden gibt es nur sehr wenige. Verkehrsstarke
Flughäfen mit niedriger Auslastung existieren kaum.
Ein Maß für die Kapazität (pro Stunde) eines Flughafens kann man für
verkehrsstärkere Flughäfen finden, indem man aus den geplanten Bewe-
gungen jeder Stunde eines Jahres die Spitzenstunden herausfiltert. Dazu
werden alle Stunden analysiert und nach Häufigkeit der Flugbewegun-
gen sortiert. Die Stunde mit den meisten Flugbewegungen, die nur in
fünf Prozent der analysierten Stunden erreicht oder überschritten wird,
wird als typische Spitzenstunde bezeichnet und ist eine gute Näherungs-
größe für die Kapazität des einzelnen Flughafens.
Ob jetzt ein Flughafen weniger oder mehr ausgelastet ist, kann man am
Verhältnis der mittleren Stunde zur typischen Spitzenstunde eines Jahres
ablesen. Bei einem nicht stark ausgelasteten Flughafen findet sich ein
größerer Abstand von Spitzenstunde zu mittlerer Stunde als bei einem
Flughafen, der schon im „roten Bereich“ größerer Auslastung arbeitet. In
einem solchen Fall gibt es bereits eine größere Anzahl von Stunden, in
welchen die Bewegungen der typischen Spitzenstunde (fast) erreicht
werden.
Mit dem so gewonnenen Auslastungsgrad haben wir, um im „Sternbild“
zu bleiben, auch die „Farbe“ eines Flughafens messbar gemacht. Der
Entwicklungspfad für einen verkehrsreichen Flughafen könnte also fol-
gendermaßen aussehen: Der Flughafen startet mit einer einzelnen Piste
und würde bei steigender Nachfrage an Bewegungen seine Auslastung
steigern. Nach einiger Zeit wird der Flughafen eine weitere Bahn benöti-
gen, um einer Überlastsituation zu begegnen. Ist ein Ausbau zeitig genug
erfolgt, wird die Auslastung am Anfang auf ein mittleres Niveau absin-
ken. Im weiteren Verlauf steigt die Auslastung wieder und der Flughafen
benötigt eine weitere Bahn, um die Überlastung zu verhindern. Viele der
großen Flughäfen haben eine solche Entwicklung genommen. Flughäfen
wie München, welche als Ersatz für einen überlasteten Flughafen an
einem anderen Standort neu entstanden, starteten ihre Entwicklung
gleich mit einem Zweibahnsystem.
Bleibt ein Ausbau wie im Fall des Flughafens London Heathrow aus, der
seit Jahren überlastet ist, können die Flugbewegungen kaum gesteigert
werden und Stagnation tritt ein. Gibt umgekehrt beispielsweise eine
Fluglinie ihren Betrieb auf, so kommt es zum Rückgang der Bewegungs-
zahlen. Wenn das eine Fluglinie ist, die den Flughafen dominiert, so kann
der Flughafen ähnlich wie ein Stern, der seine Leuchtkraft verliert, zu
einem Weißen Zwerg werden. Koppelt man solche Auswertungen der
globalen Kapazität mit Wachstumsprognosen, so kann man die künftige
Auslastung der Flughäfen weltweit abschätzen. Es lassen sich so jene
Flughäfen identifizieren, für die Handlungsbedarf besteht, ihre Infrastruk-
tur zur Steigerung der Kapazität auszubauen.
Professor Dr. Johannes Reichmuth
leitet das DLR-Institut für Flughafenwesen und
Luftverkehr.
DLR.de/FW
Sterne eingetragen in einem Herzsprung-Russel-Diagramm:
Auf der vertikalen Achse ist die absolute Helligkeit der Sterne
(nach oben hin steigend), auf der horizontalen Achse die
Oberflächentemperatur (links hoch, mehr bläulich, rechts
niedrig, mehr rötlich) aufgetragen.
Airport Share of Total Global Flight Volume in %
Capacity Utilisation Index (Ratio of 5 % Mean Hourly
Flight Volume to 5 % Peak Hour Flight Volume)
Bild: Richard Powell, Wikimedia (CC BY-SA 2.5)
1...,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31,32-33,34-35 38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,48-49,50-51,52-53,54-55,...56
Powered by FlippingBook