DLR Magazin 147 - page 48-49

Interview mit Dieter
Schimanski, Manager
Tests & Operations am
ETW
Der ETW ist der einzige Windkanal der Welt,
an dem mehr als zwei Länder beteiligt sind.
Hat das einen besonderen Grund?
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In den Siebzigerjahren wollten einige NATO-Länder
Flugzeuge unter bislang unerreichten realitätsnahen
Bedingungen testen. Der dafür nötige Windkanal
war sehr aufwändig – und teuer. Deshalb haben sich
die wichtigsten NATO-Länder dafür zusammenge-
schlossen – Deutschland, Frankreich, England, die
Niederlande – und anfangs waren auch die USA noch
beteiligt.
Welche Rolle spielte die militärische Forschung
dabei?
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Natürlich hatte das Militär – ebenso wie die zivile
Luftfahrtindustrie – großes Interesse an dem Projekt.
Allerdings wurde der ETW erst 1993 und damit nach
dem Ende des Kalten Krieges fertiggestellt. In Europa
gab es seitdem weitaus weniger militärische Groß-
projekte als erwartet. Heute wird der ETW überwie-
gend zivil genutzt.
Haben Sie ein Beispiel für bedeutende Untersu-
chungen im ETW parat?
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Wir haben wertvolle Beiträge zur Entwicklung der
Airbus-Flugzeuge A 380 und A 350XWB geliefert.
Beim A 350 haben wir der Firma Airbus ermöglicht,
einen signifikant leichteren Flügel zu entwickeln. Auch
zum Erfolg der Geschäftsflugzeuge von Dassault
Falcon haben wir maßgeblich beigetragen.
Was kann der ETW, was andere Windkanäle
nicht können?
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Nur der ETW kann die Flugzustände künftiger
Großflugzeuge unter realistischen Laborbedingun-
gen abbilden. Herkömmliche Windkanäle berück-
sichtigen meist nicht, dass die Luftmoleküle entspre-
chend der Größe der Flugzeugmodelle herunterska-
liert werden müssten. Im ETW gelingt uns das, indem
wir den Kanal herabkühlen und unter Druck setzen.
Warum wurde dieser Windkanal gerade in Köln
gebaut?
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Es war klar, dass er an einem bestehenden nationa-
len Luftfahrt-Forschungsstandort, wie das DLR einer
ist, errichtet werden sollte. Der Standort Köln hatte
einige Vorteile gegenüber den Partnereinrichtungen:
Hier gab es zum einen ein leistungsstarkes Energie-
netz, das jederzeit erlaubt, die erforderlichen 50
Megawatt für den Betrieb des Windkanals zu liefern.
Außerdem musste ein Stickstoffkraftwerk in der Nähe
sein – der ETW benötigt bis zu 1.500 Tonnen dieses
Kühlmittels am Tag. Eine solche Anlage befindet sich
gleich auf der anderen Rheinseite. Die räumliche Nähe
zum DLR hat sich für beide ausgezahlt: Die langjährige
Kooperation mit verschiedenen DLR-Instituten hat
zum beiderseitigen Erfolg beigetragen.
Wie intensiv wird der ETW von Forschern
genutzt?
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Der mit etwa 70 Prozent überwiegende Teil an
Tests dient der Entwicklung neuer Produkte, rund 30
Prozent der Windkanalexperimente im ETW sind For-
schungsarbeiten. Diese Forschungsarbeiten werden
bis heute allerdings wesentlich von der Industrie ge-
prägt. Wir wünschen uns, dass der ETW auch regel-
mäßig von Wissenschaftlern aus Universitäten und
Forschungsanstalten genutzt werden könnte. Aber
das scheitert bisher daran, dass die entsprechende
Finanzierung nur unregelmäßig erwirkt werden kann.
Wie nutzen zivile Flugzeughersteller den ETW?
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Der ETW sollte eigentlich dazu dienen, Flugleistun-
gen im Reiseflug vorherzusagen. Solange die Strö-
mung anliegt, kann diese Aufgabe inzwischen aber
weitestgehend von Computersimulationen erledigt
werden. Die Fähigkeiten der Anlage werden deshalb
insbesondere für die Flugbereiche genutzt, in denen
Strömungsablösung auftreten kann und in denen
Computersimulationen keine verlässlichen Ergeb­
nisse liefern können: in der Start- und Landephase
sowie in den Fluggrenzbereichen bei hohen Flug­
geschwindigkeiten. Unsere Gesellschafter investieren
aktuell in die Anlage, um den ETW an diesen verän-
derten Kundenbedarf anzupassen.
Was bedeutet die fortschreitende Entwicklung
von Computersimulationen für den ETW?
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Beide Werkzeuge haben ihre ganz eigenen Stärken,
ergänzen sich und sind aus der Flugzeugentwicklung
nicht mehr wegzudenken. Eine Simulation kann bei-
spielsweise kurzfristig beantworten, ob eine Kontur-
veränderung tendenziell besser oder schlechter für die
Leistungsfähigkeit ist. Das Experiment bietet in diesem
Zusammenspiel neben Verifikation und der damit ver-
bundenen Minimierung von Entwicklungsrisiken auch
einen signifikanten Produktivitätsvorteil gegenüber der
numerischen Simulation.
KALT UND UNTER DRUCK
Der ETW in Kürze
Der Europäische Transsonische Windkanal ETW hat den Anspruch, zu den weltweit führenden Windkanälen zu
zählen. Er ist der einzige Windkanal, der von mehr als zwei Ländern gebaut wurde. 1993 wurde er von Frank-
reich, Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden am DLR-Standort in Köln fertiggestellt. 2012 schied
Frankreich aus dem Betreiberkonsortium aus. Der Windkanal erreicht seine realistische Darstellung von Flugzu-
ständen dadurch, dass tiefkalter Stickstoff an Modellen unter hohem Druck vorbeigeblasen wird. Dazu sind bis
zu 1.500 Tonnen Stickstoff pro Messtag nötig.
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WINDKANALSERIE
Durch die tiefen Temperaturen und den hohen Druck ist auch im Modellmaßstab alles wieder im
richtigen Verhältnis und die hier ermittelten Werte helfen – zusammen mit Computer-Simulationen
und vielen anderen Arbeiten – bei der Entwicklung der Flugzeuge von morgen. Der ETW erlaubt
Messungen bei tiefen Temperaturen (minus 163 Grad Celsius bis 40 Grad Celsius), hohen Drücken
(1,15 bis 4,5 bar) und Windgeschwindigkeiten, wie sie bei Start und Landung oder im Reiseflug
auftreten (0,15 bis 1,35 Mach). Pro Tag können bis zu drei Testkonfigurationen untersucht werden.
Separate Regelung von Druck, Temperatur und Geschwindigkeit
Ein wesentlicher Parameter, der die Eigenschaften einer Strömung angibt, ist die sogenannte Rey-
nolds-Zahl. Diese dimensionslose Kennzahl einer Strömung ist definiert durch Strömungsgeschwin-
digkeit, eine charakteristische Länge im Strömungssystem und die dynamische Viskosität der strö-
menden Flüssigkeit. Der Wert der Reynolds-Zahl von Flugzeug und Modell muss ebenso wie die
Form und die Mach-Zahl gleich sein, um ein ähnliches Strömungsfeld zu erhalten. Der ETW erreicht
Reynolds-Zahlen von bis zu 50 Millionen für Vollmodelle und bis zu 85 Millionen für Halbmodelle.
Die Messstrecke hat einen rechteckigen Querschnitt von 2,4 Meter Breite und zwei Meter Höhe,
was Modelle von etwa 1,5 Meter Flügelspannweite (Vollmodelle) beziehungsweise Halbspannweite
(Halbmodelle) erlaubt. Durch die separate Regelung von Druck, Temperatur und Geschwindigkeit
können Mach-Zahl, Reynolds-Zahl und Staudruck getrennt voneinander gesteuert werden. Dies
macht es möglich, die Auswirkungen von Modelldeformation und der Skalierung isoliert zu be-
trachten. Neben dem ETW gibt es weltweit nur noch einen Windkanal in den USA mit vergleich-
baren Eigenschaften: Die NTF (National Transonic Facility) der NASA am Langley Research Center.
Die Investitionen zur Errichtung des ETW im Jahr 1994 betrugen circa 330 Millionen Euro. Die Be-
triebskosten von zehn Millionen Euro pro Jahr muss der ETW aus den Aufträgen von Windkanal-
Kunden decken. Ein Messtag kostet abhängig von den genauen Anforderungen etwa 90.000 bis
120.000 Euro. Der ETW beschäftigt 34 Mitarbeiter.
Die aktuellen Teilhaber der Betreibergesellschaft European Transonic Windtunnel GmbH sind das
DLR mit 45 Prozent für Deutschland, das Department of Business, Innovation and Skills (BIS) mit 45
Prozent für das Vereinigte Königreich und das National Aerospace Laboratory (NLR) mit zehn Pro-
zent für die Niederlande. Frankreich schied im Jahr 2012 aus dem Verbund aus und konzentriert
sich auf seine nationalen Anlagen.
ETW.de
Einspritzdüsen für den Flüssigstickstoff
zweistufiger Kompressor (50 MW)
Auslass des gasförmigen Stickstoffs
Umlenk-Ecke
Beruhigungskammer mit Sieben und
Honeycomb zur Strömungsausrichtung
Regeldiffusor
intern isolierter Edelstahldruckkessel
Modell in der Messstrecke
Kontraktion 1:12
verstellbare Düse
62 Meter
Bild: ETW
Schema des ETW
1...,28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47 50-51,52-53,54-55,56
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