DLR Magazin 150 - page 20-21

ERDBEOBACHTUNG
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Um jährlich 3,42 Millimeter steigt der Meeresspiegel laut einer aktuellen NASA-Studie. Zu 60 Prozent ist der Anstieg auf die Ausdehnung der wärmer werdenden Meere
zurückzuführen, das Tauen von Inlandeis macht 40 Prozent aus. – Das TanDEM-X-Höhenmodell zeigt Gletscher auf Spitzbergen. Die Farben repräsentieren unterschiedliche
Geländehöhen. Wiederholt man die Datenerfassung mit den DLR-Radarsatelliten in gewissen zeitlichen Abständen, so lassen sich Masseveränderungen deutlich zeigen.
Zwischen Paris und Marrakesch: ein Beitrag zur Weltklimakonferenz
Von Martin Fleischmann
M
alediven und Marshallinseln – eine Unterwasserlandschaft. 70 Prozent des Regenwaldes – verdorrt. 250 Millionen Menschen – auf
der Flucht vor Hunger und Durst. So könnte unsere Zukunft im Jahr 2100 aussehen, denn der wachsende Ausstoß von Kohlendioxid
verursacht einen weltweiten Temperaturanstieg um zwei bis sechs Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Mit jedem Grad Erwärmung
nehmen die tropischen Wirbelstürme um 30 Prozent zu, während zugleich die durchschnittliche Dicke der Eisschicht in der Arktis zurück-
geht und schon in 20 bis 30 Jahren im Sommer eisfrei sein soll. Je kleiner die Eisfläche, umso weniger werden Sonnenstrahlen reflektiert.
Die Erde erwärmt sich. Dadurch steigt der Meeresspiegel um 3,42 Millimeter pro Jahr an und könnte somit zur nächsten Jahrhundertwen-
de zwischen einem halben und zwei Metern höher liegen als heute. Ein Anstieg um nur einen halben Meter würde 136 Millionenstädte
an den Küsten und Vermögenswerte von mehr als 18 Billionen Euro bedrohen.
Damit diese Szenarien nicht Realität werden, hatten sich 195 Staaten am 12. Dezember 2015 in Paris auf den Weltklimavertrag geeinigt.
Er beschränkt die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad – wenn möglich sogar auf 1,5 Grad. Hierfür sollen alle Staaten ihren
Treibhausgasausstoß verringern. Wie dies im Einzelnen geschehen kann, auf welcher Wissensbasis man dabei vorgeht und wie sich Ver-
änderungen belegen lassen, untersucht auch das DLR. Seine Forschung in Verkehr, Luftfahrt und Raumfahrt kann dazu wertvolle Beiträ-
ge leisten.
Globale Inventur aus der Satellitenperspektive
Ob die Klimaziele erreicht worden sind, darüber sollen nach „bester verfügbarer Wissenschaft“ die einzelnen Staaten ab 2023 alle fünf
Jahre Rechenschaft ablegen – eine globale Inventur des Klimawandels. Bei dieser Überwachung kommt die Erdbeobachtung ins Spiel.
Aus der Satellitenperspektive können Treibhausgase, Meeresströmungen sowie Rodungen beobachtet werden. Mit den „Wächter“-Sa-
telliten Sentinel-1 und vor allem Sentinel-2 stehen im europäischen Copernicus-Programm dafür „Augen“ aus dem Weltraum zur Ver-
fügung, die Informationen zur nötigen zeitlichen und räumlichen Abdeckung liefern. 3D-Aufnahmen einer künftigen Radarsatelliten-
Mission Tandem-L könnten zur flächendeckenden Waldüberwachung eingesetzt werden. Aus der Änderung der Baumhöhen über die
Zeit lassen sich Verluste oder Zugewinne an Biomasse und damit auch von gespeichertem Kohlendioxid sehr gut abschätzen.
Das Treibhausgas Methan wird ab dem Jahr 2020 mit einem Lidar-Instrument auf dem deutsch-französischen MERLIN-Satelliten über-
wacht. Kohlendioxiddaten werden bislang nur von einem amerikanischen und einem japanischen Satelliten aufgenommen. Sie haben
allerdings nur Spektrometer an Bord – passive Instrumente mit geringer Auflösung, die die Konzentrationen nur durch Reflexion der
Sonnenstrahlen von der Erdoberfläche messen. Wolken und Aerosole in der Atmosphäre stören und verfälschen ihre Messergebnisse.
Lidar könnte in einer zukünftigen Satellitenmission auch Kohlendioxid messen.
Auch die Schäden durch den Klimawandel und mit ihm verbundene
Naturkatastrophen lassen sich aus dem Weltraum beobachten. Im Ka-
tastrophenfall können Satelliten dabei helfen, einen schnellen Über-
blick über die Lage zu bekommen: Welche Orte sind überschwemmt?
Welche Straßen sind noch befahrbar? Wo muss evakuiert werden?
Welche Region kann nur noch aus der Luft versorgt werden? Die Euro-
päische Weltraumorganisation ESA und das DLR beteiligen sich dafür an
der International Charter Space and Major Disasters. Bei Bedarf werden
weltweit, schnell und kostenlos Satellitendaten bereitgestellt. DLR-
Wissenschaftler sind beispielsweise in der Lage, die Aufnahmeplanung
der Satelliten TerraSAR-X und TanDEM-X im Bedarfsfall kurzfristig um-
zuprogrammieren, um Aufnahmen von einem Katastrophengebiet
schnell zu liefern.
Sehen, wie die Welt sich ändert – und handeln
„Was einst undenkbar schien, ist jetzt nicht mehr aufzuhalten. Die Ge-
schichte wird sich dieses Tages erinnern“, hatte UN-Generalsekretär
Ban Ki Moon nach der Einigung auf der COP 21 in Paris gesagt und
somit der Weltklimakonferenz Erfolg bescheinigt. Die Nachfolgekonfe-
renz COP 22 wird vom 7. bis zum 18. November 2016 in Marrakesch
(Marokko) stattfinden. Welche Themen dann im Fokus stehen werden,
ist noch nicht sicher. Klar ist aber, dass die Wissenschaft Erkenntnisse
über die Veränderungen auf der Erde bereitstellen kann. Und: Das DLR
kann mit der Arbeit in seinen Forschungsbereichen wertvolle Beiträge
dazu leisten, die in Paris beschlossenen Klimaziele zu erreichen.
AUGEN IM ALL NEHMEN WAHR,
WIE SICH DIE WELT VERÄNDERT
BEISPIELE KLIMARELEVANTER DLR-FORSCHUNG
KOMPETENZEN DER ERDBEOBACHTUNGSSATELLITEN
Der Vorreiter:
Mit Daten des Instruments SCIAMACHY auf Envisat haben es Forscher 2008 erstmals geschafft, natürliche
Kohlendioxidquellen von vom Menschen gemachten zu unterscheiden. SCIAMACHY ist Pionier für einen neuen europäischen
CO
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-Satelliten.
Die Wächter:
Sentinel-1 und -2 sowie Sentinel-5 und -5P werden Treibhausgase vom Weltraum aus messen und ab 2016
über einen Zeitraum von über 20 Jahren eine lange Zeitreihe liefern.
Die Radaraugen:
Das Satellitenduo TerraSAR-X und TanDEM-X kann zur Überwachung großer Eisschilde und Gletscher
eingesetzt werden und über die Zeit deren Abschmelzen dokumentieren.
Der Zauberer:
MERLIN soll mit seinem Lidar-Instrument natürliche von vom Menschen gemachte Methanquellen auf-
spüren und unterscheiden.
Erneuerbare Energie:
Wind- und Solarkraftwerke: Wo lohnt sich welche Anlage? – Das
DLR bietet ein frei zugängliches Simulationsprogramm zur Einschät-
zung von Kraftwerksprojekten auf Basis erneuerbare
Ökoeffizientes Fliegen:
Wie kann klimaschonend geflogen werden? – Das DLR untersucht
die Klimawirkungen des Luftverkehrs und erarbeitet Strategien für
neue Flugzeugkonfigurationen und Betriebsweisen.
Elektromobilität:
Elektrische Fahrzeugantriebe verringern die Umweltbelastung durch
Autoabgase. DLR-Forscher befassen sich mit Fahrzeugen und Kom-
ponenten und analysieren das Verkehrssystem, um zukünftig ver-
stärkt diesen Weg zu gehen.
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