DLR Magazin 150 - page 26-27

FERNERKUNDUNG
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Frau Dr. van Ess, wie verbreitet ist eigentlich die Nutzung von
Fernerkundungsmethoden in der Archäologie?
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In der Archäologie sind Fernerkundungsmethoden schon seit
vielen Jahren ein wichtiges Thema. Sie werden jedoch noch immer
nur zögerlich eingesetzt, hauptsächlich weil der Erwerb von hoch-
auflösenden Bildern teuer ist und Spezialkenntnisse in der Aus-
wertung voraussetzt. Die Bilder werden genutzt, um noch nicht
ausgegrabene antike Siedlungsstrukturen zu erkennen, um auf
großer Fläche längst verschüttete Überlandstraßen und Kanäle zu
verfolgen, aber auch um Zerstörungen durch Raubgrabungen
oder durch Infrastrukturmaßnahmen zu erkennen. Gleichzeitig
werden die Analyseverfahren verfeinert und damit zu Routinever-
fahren in der Archäologie weiterentwickelt. Die Fernerkundung ist
für uns also von immer größer werdender Bedeutung.
Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit des Deut-
schen Archäologischen Instituts mit dem DLR?
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Die Wissenschaftler im DLR können aus ihrer Alltagsarbeit mit
großer Routine und Kenntnis Bewertungen zu Fernerkundungs-
daten liefern, die Archäologen ohne dieses Spezialwissen nicht
sofort geben können. Archäologen erkennen umgekehrt Details,
die anders ausgebildeten Personen nicht auffallen. Die ständige
Verfügbarkeit von Experten und die große Erfahrung beider Insti-
tutionen erlaubt es, in kürzester Zeit Daten zu evaluieren und In-
formationen an zuständige Institutionen weiterzugeben. Nur so
haben wir eine Chance, gefährdete Stätten zu schützen.
Was wünschen Sie sich von der Fernerkundung für Ihre wei-
tere Forschung?
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Wir wünschen uns, dass die Methoden der Fernerkundung zur
Routine in der Archäologie werden – sowohl in den wissenschaft-
lichen Aspekten als auch im Bereich des Kulturerhalts. Hierzu sind
regelmäßige Analysen von Satellitenbildern sehr sinnvoll, die es
bisher noch nicht in ausreichendem Maße gibt. Die regelmäßige
Analyse wäre eine wichtige Präventionsmaßnahme zum Schutz
von Kulturgut, jedoch auch in der Bewertung, beispielsweise von
archäologischem Potenzial einer Landschaft oder eines Ortes.
Maßgeschneiderte
Satellitendaten
In der Archäologie und in der
Fernerkundung gilt gleicherma-
ßen: Sorgfalt im Detail und Blick
auf das Ganze. Welche Erfolge
und neuen Möglichkeiten sich da-
bei eröffnen, wenn die beiden For-
schungsbereiche ihre Kompeten-
zen zusammenführen, zeigt sich
bei Großprojekten wie Palmyra
besonders deutlich. Die Doku-
mentation einer historischen Stätte,
etwa in Form von Grabungsarbeiten,
ist mit hohem personellem, zeitlichem
und finanziellem Aufwand verbunden. Sol-
che Orte werden daher üblicherweise auch
anhand von Luftbildern und Fotos analy-
siert. Von Satellitenbildern können die
Denkmalschützer und Archäologen
dabei besonders profitieren. Aus über
500 Kilometer Höhe gewähren Erdbeob-
achtungssatelliten freien Blick auf Gebiete,
die schwer zugänglich sind oder zu gefähr-
lich für Erkundungsflüge und Arbeiten vor
Ort. Nach Bedarf liefern sie aktuelle und
hochaufgelöste Aufnahmen von mehreren
Quadratkilometer großen Ge-
bieten. Weitflächige Über-
blicksaufnahmen helfen den
Archäologen auch im Feld,
schneller zu einem „Befund“
zu gelangen, also den Zusam-
menhang einzelner Funde zu
erschließen und das historische
Gesamtbild zu rekonstruieren.
Aufnahmen unabhängig von Be-
wölkung oder Tages- und Nachtzei-
ten sind mit Radarsatelliten mög-
lich. Die vom DLR-Institut für Hoch-
frequenztechnik und Radarsysteme
entwickelte Mission Tandem-L kann mit
Hilfe von Radartomografie zukünftig sogar den
Blick durch Baumkronen und Vegetation hindurch – auf und unter die
Oberfläche des Erdbodens – ermöglichen. Satelliten können archäologi-
sche Stätten auch regelmäßig, mit den exakt gleichen Einstellungen,
aufnehmen – perfekt für ein Monitoring. Im Deutschen Satellitendaten-
archiv des DLR sind Daten aus rund 30 Jahren griffbereit und täglich
kommen neue Aufnahmen hinzu. Vergleichs- und Verlaufsaufnahmen
zeigen jede Veränderung auf, seien es die plötzliche Zerstörung oder
der langsame Verfall eines antiken Bauwerks oder die Bedrohung eines
Naturreservats. Mit dem Betrieb des Datenarchivs stellt das EOC die
Verfügbarkeit der Fernerkundungsschätze auch für zukünftige Genera-
tionen sicher.
Fernerkundung im Detail
Wenn die UNESCO oder eine archäologische Forschungseinrichtung
anfragen, kann das Earth Observation Center umgehend reagieren.
Zuerst werden die passenden Satellitendaten eingeholt: Neue Daten
können in Nahe-Echtzeit erstellt werden. Empfangsanlagen auf dem
EOC-Gebäude sichern den direkten Zugriff auf die hochaufgelösten
Daten der optischen Satelliten WorldView-2 und WorldView-3. Radar-
daten werden im Rahmen der DLR-Mission TerraSAR-X und TanDEM-X
bereitgestellt, die von Oberpfaffenhofen aus betrieben werden. Zusätz-
lich kann das EOC sein Kooperationsnetzwerk aktivieren und Satelliten-
daten, unter anderem bei der Partnerfirma European Space Imaging,
abrufen. Das gilt auch für Archivdaten, um Vergleichsbilder zu haben.
Im nächsten Schritt werten die DLR-Wissenschaftler die Rohdaten aus
und bereiten sie auf. Bei besonderem Bedarf werden auch nicht-wissen-
schaftliche Daten aus sämtlichen Quellen herangezogen, etwa Videos
und Fotos aus dem Internet. Damit aus dem Datenfundus ein verständ-
liches Bild wird, bedarf es spezieller Tricks und Kniffe: Winkelverzerrun-
gen werden entfernt, die Geländeinformationen lagegenau angepasst
oder es wird die räumliche Auflösung geschärft. Gefragt sind auch
Veränderungsanalysen. Hochgenaue Vorher-nachher-Bilder können
den Denkmalpflegern und der UNESCO auf einfache Weise helfen,
Maßnahmen zum Schutz einer Welterbestätte zu entwickeln oder auf
ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen.
Bei der Datenauswertung profitiert das EOC insbesondere von seiner
Arbeit und Erfahrung aus dem Zentrum für Satellitengestützte Krisen­
information (ZKI). Im Fall von Naturkatastrophen oder Krisenfällen
werden am ZKI auf Abruf Satellitenbildkarten und Situationsanalysen
erstellt – für nationale, europäische und internationale Behörden und
Einrichtungen zum Bevölkerungsschutz. So wurden auch die Palmyra-
Satellitendaten durch das ZKI ausgewertet. Die Einrichtung ist rund um
Altstadt von Sana’a, Jemen
Drei Fragen an Dr. Dr. h.c. Margarete van Ess, wissenschaftliche
Direktorin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI)
WERTVOLLER SATELLITENBLICK
AUF DIE KULTURGÜTER DER WELT
Nur wenige Tage später, am 2. September 2015, belegt das Satellitenbild schlimmste
Befürchtungen: Der zweitausend Jahre alte Tempel wurde zerstört.
Bild: European Space Imaging
Die Aufnahme des Satelliten WorldView-2 vom 27. August 2015 zeigt den Bel-Tempel
von Palmyra, ein einzigartiges Weltkulturerbe
Bild: European Space Imaging
Das antike Palmyra liegt in einer von Palmen umgebenen Oase auf dem Gebiet der
modernen syrischen Stadt Tadmur im Zentrum des Hochlands von Aleppo
Bild: European Space Imaging
die Uhr einsatzbereit und ergänzt die einzigartige Infrastruktur des EOC
in Oberpfaffenhofen. Die Fernerkundungsspezialisten sind so in der
Lage, alle Anfragen zuverlässig und routiniert umzusetzen.
Globale Perspektive
Rund 60 Jahre ist es her, dass der Mensch seine Welt zum ersten Mal
aus der Distanz des Alls sehen konnte. Diese Bilder veränderten die
Perspektive der Menschen für immer. Die satellitengestützte Fernerkun-
dung erweitert diese Perspektive – und das Welterbe-Programm der
UNESCO nutzt diese neue Sicht. Dabei haben die Kultur- und Naturstät-
ten nicht nur einen kulturellen Wert. Viele Regionen und Länder leben
vom Tourismus rund um die einzelnen Sehenswürdigkeiten. Erdbeob-
achtungsdaten verschaffen den notwendigen Überblick, um hier plane-
risch einzugreifen – wie es etwa bei den Pyramiden von Gizeh der Fall
ist. Veränderungsanalysen zeigen sehr deutlich, wie die Siedlungen
immer dichter an die 4.500 Jahre alten Bauwerke herangerückt sind.
Die erhöhte Beanspruchung und veränderte Umwelteinflüsse setzen
den Kolossen vor den Toren Kairos zu. Andernorts, in Peru, gefährden
Hangrutschungen die Welterbestätte Machu Picchu. Ob Bodenerosio-
nen durch häufiger werdende Überflutungen oder durch Dürre, der
Rückzug von Gletschern oder der Anstieg des Meeresspiegels – die
Auswirkungen des globalen Klimawandels stellen Archäologen und
Denkmalschützer weltweit vor immer größere Herausforderungen.
All diese Stätten zu beobachten und zu schützen gleicht einer Herkules-
Aufgabe. Nur die Perspektive aus dem All gewährt den nötigen Über-
blick und lässt die globalen Zusammenhänge erkennen. Erdbeobach-
tungssatelliten können Informationen schnell, umfassend und weltweit
liefern. Die Fernerkundung schafft dadurch völlig neue Datengrundlagen
für Forscher und Entscheidungsträger. Das europäische Erdbeobach-
tungsprogramm Copernicus treibt bereits den Aufbau grundlegender
Geoinformationsdienste voran, insbesondere zur Umweltüberwachung
und für die zivile Sicherheit. Die Radarsatellitenmission Tandem-L könnte
die Erdoberfläche künftig im Wochenrhythmus kartieren und einzigar-
tige Informationsprodukte bereitstellen. Durch die Vielzahl der Missio-
nen, zielgerichtete Forschung und durch neue Auswertetechnologien
ist die Fernerkundung daher prädestiniert, diese globale Herausforde-
rung anzunehmen – dazu gehört auch, wichtige Informationen über
das Weltkulturerbe bereitzustellen und so zu helfen, es zu bewahren.
Prof. Dr.-Ing. Günter Strunz
leitet am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum
des DLR die Abteilung Georisiken und zivile Sicherheit.
Gunter Schreier
ist am Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum des DLR für die
Geschäftsentwicklung und die Koordination von Copernicus verantwortlich.
Bernadette Jung
ist Redakteurin in der DLR-Kommunikation.
Bild: Space Imaging Middle East/DLR
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