DLR Magazin 150 - page 30-31

WELTRAUMWETTER
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WELTRAUMWETTER
Die Reflexion von Kurzwellen an der Ionosphäre ermöglicht weltweiten
Funkverkehr. Die Ionosphäre besteht aus freien Elektronen und Ionen.
Das macht sie zu einer geladenen Schicht und damit anfällig für Ströme
geladener Sonnenwindteilchen oder Magnetfeldänderungen. Kurze,
aber intensive Störungen werden von sogenannten Flares ausgelöst,
intensiven Strahlungsausbrüchen, die in der Gasschicht entstehen, von
der die Sonne umgeben ist. Häufig werden bei einem solchen Flare
auch geladene Teilchen ausgeworfen, dann spricht man von einem
koronalen Massenauswurf. Als riesige Plasmawolke reisen diese Teilchen
von der 150 Millionen Kilometer entfernten Sonne zur Erde. In der Folge
entstehen nicht nur schöne Polarlichter, sondern die energetischen
Teilchen können sich auch auf Raumsonden, technische Systeme im
Weltraum und auf der Erde sowie auf das Leben und die Gesundheit der
Menschen auswirken. Sie verändern die Anzahl der freien Elektronen
und damit die Schichtdicke der Ionosphäre. Das ionosphärische Plasma
verursacht Brechung, Beugung, Streuung und Absorption von Radio­
signalen und ist die größte Fehlerquelle in den Ein-Frequenz-Positionie-
rungssystemen, die in Navigationsgeräten und Smartphones integriert
sind.
Damit die genaue Positionsangabe auch bei extremen Sonnenstürmen
möglich wird, ist eine Korrektur des ionosphärischen Ausbreitungs­
fehlers sehr wichtig. Dieser Fehler (englisch „Range Error“) entsteht
bei der Signalausbreitung vom Satelliten zur Bodenstation und hat
seine Ursache in den Verzögerungen der Signallaufzeit in der Iono-
sphäre. Bei starken geomagnetischen Stürmen ist aber nicht nur die
Navigation, sondern auch der Hochfrequenz-Funkverkehr gestört. Zu
spüren bekommt das unter anderem die zivile Luftfahrt. Beim moder-
nen, schnell getakteten Aufeinanderfolgen von Starts und Landeanflü-
gen spielen satellitenbasierte Ergänzungssysteme („SBAS“, Space
Based Augmentation System) eine entscheidende Rolle. Diese unter-
stützen bereits vorhandene Satellitennavigationssysteme und erhöhen
deren Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. Sobald die für
die Sicherheit nötige Genauigkeit nicht mehr gewährleistet werden
kann, dürfen die Unterstützungssysteme nicht mehr verwendet wer-
den. Verzögerungen im Flugverkehr sind die Folge.
Folgen auch für Ackerbau und Stromversorgung
Aber nicht nur die Luftfahrt ist von Störungen durch das Weltraumwet-
ter betroffen. Schneeräumfahrzeuge in Norwegen beispielsweise benö-
tigen hochgenaue Positionsdaten, um sich durchs blickdichte Schnee-
gestöber zu manövrieren. Landwirte, die sich dem „Präzisionsacker-
bau“ verschrieben haben, benutzen automatisierte Düngefahrzeuge,
die dank GPS-Daten den Einsatz von Düngemitteln deutlich reduzieren
Satelliten messen neben der Temperatur und der Protonendichte auch
das interplanetarische Magnetfeld sowie die Geschwindigkeit des Son-
nenwindes.
Wolke von Hochenergie-Teilchen
Wenn sich ein Teilchensturm zusammenbraut, werden geladene Teilchen
als Plasmawolke in die Weiten des Alls geschleudert. Sobald der extreme
Sonnenwind den Lagrange-Punkt L1 passiert, messen die Satelliten ACE
und DSCOVR die veränderten Parameter. Mit Lichtgeschwindigkeit wird
das Signal zur Empfangsstation gesendet. Der Sturm bewegt sich aller-
dings deutlich langsamer. Als gigantische Plasmawolke bahnt er sich
mit 800 bis 2.000 Kilometern pro Sekunde seinen Weg durch die Helio-
sphäre, jenen weitreichenden interplanetaren Bereich um die Sonne.
Die gewaltigen Antennen in Neustrelitz empfangen das Signal der Satel-
liten. An diesem Standort des DLR in Mecklenburg-Vorpommern steht
die einzige europäische Empfangsstation des Echtzeit-Sonnenwind­
beobachtungsnetzwerks – weitere Stationen befinden sich in den USA,
in Südkorea und in Japan. DLR-Wissenschaftler werten die Daten aus
und können schnell auf erhöhte Sonnenwindparameter reagieren. Die
Forscher analysieren das interplanetare Magnetfeld und berechnen den
dynamischen Druck des Sonnenwindes am Lagrange-Punkt L1. Dann
erst herrscht Gewissheit: Ja, es ist ein Sonnensturm, ja, er bewegt sich in
Richtung Erde, und ja, er wird unsere Erde erreichen. Weltraumwetter-
Experten sprechen dann davon, dass sich energetische Plasmateilchen
effektiv in die Erdatmosphäre „einkoppeln“.
Von diesem Zeitpunkt an haben die Forscher eine Vorlaufzeit von 30 bis
60 Minuten – je nachdem, wie schnell der Sonnenwind unterwegs ist.
Jetzt beginnen die Berechnungen: Wie stark werden die Auswirkungen
des Sonnensturms sein? Wie effizient wird er sich in die Erdatmosphäre
einkoppeln? Mit diesen Informationen können die Wissenschaftler Vor-
hersagen machen und eventuelle Störungen von technischen Systemen
im Bereich der Kommunikation und Navigation prognostizieren.
Polarlichter und Funkstörungen
Unsere Erde ist vor schwachen Sonnenstürmen durch die Atmosphäre
und ihr Magnetfeld weitestgehend geschützt. Letzteres führt die an-
kommenden geladenen Teilchen in einem Abstand von etwa zehn Erd-
radien (rund 70.000 Kilometer) entlang der Magnetfeldlinien um die
Erde herum. In großen Höhen und in den Polargebieten ist dieser Schutz
allerdings schwächer. Denn dort sind die Feldlinien des Magnetfelds
stärker gegen die Erdoberfläche geneigt. Das macht diese Regionen
anfälliger für die Auswirkungen von Sonnenstürmen.
können. Auch im Schiffsverkehr werden präzise Navigationsdaten ver-
wendet, um eine genaue Positionierung im Hafenbereich zu ermögli-
chen oder um den optimalen Seeweg zu berechnen. Bei sehr starken
geomagnetischen Stürmen müssen auch Stromnetzbetreiber mit indu-
zierten Strömen rechnen, die zu technischen Problemen und damit zu
Stromausfällen führen können. Die Elektronik von TV- oder Mobilfunk-
Satelliten könnte durch energiereiche Partikelstrahlung in einem extre-
men Sonnensturm zerstört werden. Für Astronauten stellen die erhöh-
ten Strahlendosen sogar eine lebensbedrohliche Gefahr dar. Außerhalb
der schützenden Atmosphäre sind sie bei Weltraumspaziergängen der
gefährlichen hochenergetischen Teilchenstrahlung direkt ausgesetzt.
„Normale“ Flugreisende hingegen sind in der typischen Reiseflughöhe
von elf Kilometern durch die Atmosphäre weitestgehend vor einer
deutlich erhöhten Strahlungsdosis geschützt. Da dieser natürliche
Schutz in den Polarregionen schwächer wird, werden bei starken Son-
nenstürmen die Polarrouten vermieden beziehungsweise es wird etwas
tiefer geflogen, um die Schutzzone der Atmosphäre größer zu halten.
Beobachten, warnen, schützen
Auch wenn Stärke und Verlauf eines Sonnensturms nicht exakt vorher-
sagbar sind, so kann man sich dennoch (ganz ähnlich wie bei einem
Hurrikan) auf das Ereignis einstellen. Weltraumwetter-Experten sind in
der Lage, anhand veränderter Elektronenanzahlen in der Ionosphäre
zu berechnen, welche Störungen im Informationsaustausch des Sys-
tems Bodenstation-Satellit zu erwarten sind. „Eine zuverlässige und
exakte Vorhersage des Weltraumwetters ist von entscheidender Bedeu-
tung, um geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen zu können“, sagt
Dr. Jens Berdermann vom DLR-Institut für Kommunikation und Navi­
gation. Die aus Ionosphärenmodellen errechneten Korrekturen können
dann an die Nutzer eines Frühwarnservices weitergegeben werden.
Die Informationen der ACE/DSCOVR-Satelliten ermöglichen es bei-
spielsweise Betreibern von Satelliten, bei sehr starken Ereignissen die
empfindlichen Mess- und Kommunikationsbereiche der Satelliten
rechtzeitig aus dem Sonnenwind zu drehen oder Satelliten komplett
abzuschalten. So kann ein elektrisches Aufladen der sensiblen elektro-
nischen Systeme in Folge von Sonnenwinden vermieden werden.
Damit durch eine bessere Vorhersage von Weltraumwetter-Effekten
unsere hoch technisierte Gesellschaft vor den vielfältigen Gefahren bis
hin zu einem Blackout bewahrt wird, arbeiten die Wissenschaftler am
Aufbau eines erweiterten Beobachtungs- und Vorhersagezentrums:
dem „Ionosphere Monitoring and Prediction Center (IMPC)“. Bereits mit
dem „Space Weather Application Center (SWACI)“ haben die DLR-For-
scher bewiesen, dass sie eine Vielzahl erd- und weltraumbasierender
Ionosphären-Daten in Echtzeit analysieren und auswerten können. Der
nächste Schritt ist der Aufbau des IMPC: „Wir wollen im IMPC das bereits
aufgestellte automatische Warnsystem noch besser an die Bedürfnisse
der diversen Nutzer anpassen“, erklärt Dr. Jens Berdermann, Gruppen-
leiter im DLR Neustrelitz. Das Warnsystem ist sowohl für Wissenschaftler
interessant als auch für die Betreiber von Systemen im Bereich satelliten-
gestützter Kommunikation und Navigation.
Service für unterschiedliche Nutzergruppen
Je nach Notwendigkeit und Bedarf können sich die Nutzer für einzelne
oder mehrere Serviceleistungen („Stufen“) registrieren.
Stufe eins – Früherkennung: Auf Basis von Echtzeit-Beobachtungsdaten
des Royal Observatory of Belgium (ROB) und Daten des gerade entste-
henden globalen Flare-Detection-Systems (GIFDS) werden Flares und
koronale Massenauswürfe detektiert und Ankunftswahrscheinlichkei-
ten berechnet. Damit ist eine ungefähre Vorhersage (zwei bis drei Tage)
schon möglich, die genaue Stunde lässt sich jedoch noch nicht bestim-
men. Interessant ist diese erste Stufe vor allem für die Forschung, weni-
ger für industrielle Nutzer.
Stufe zwei – Lagrange-Punkt L1: Messen die Satelliten ACE und DSCOVR
auf L1 einen Sonnensturm, so wird dieser auch die Erde erreichen. Wie
stark der Sturm ausfallen wird, hängt allerdings von vielen Faktoren ab,
Illustration eines koronalen Massenauswurfs der Sonne und dessen Folgen für die Erde
Bild: NASA/SDO and the AIA, EVE, and HMI science teams
Bild: NASA/SDO and the AIA, EVE,
and HMI science teams
KURZE GESCHICHTE
DES WELTRAUMWETTERS
1859 – Carrington-Event:
Beim Nachzeichnen von Sonnen­
flecken entdeckt der Hobbyastronom Richard Carrington eine
gewaltige Eruption auf der Sonne. Dieses Ereignis gilt als bisher
größter wissenschaftlich beobachteter magnetischer Sturm und
wird als Beginn der Weltraumwetter-Forschung angesehen. An
den Telegrafenstationen sollen die Mitarbeiter Stromschläge
erlitten haben. Heute hätte ein ähnlich starkes Ereignis katastro-
phale Auswirkungen. Wissenschaftler schätzen, dass ein Sturm
solcher Größenordnung im statistischen Mittel alle 500 Jahre
auftritt.
1921 – Mai-Sturm:
Einer der stärksten Sonnenstürme des
20. Jahrhunderts erzeugt in Überlandleitungen extrem hohe
Ströme. Die nördliche Hemisphäre ist bis nach Mexiko und
Puerto Rico betroffen, die südliche bis in die Breiten von Samoa.
Ein ähnlicher Sturm würde heute die Hälfte der Stromnetze in
Nordamerika kollabieren lassen.
1989 – Québec, Kanada:
Ein heftiger geomagnetischer Sturm
führt zu einem neunstündigen Stromausfall in der Region um
Montreal. Verkehrsleitsysteme, Flughäfen und Fernwärmeversor-
gung fallen aus. Rund sechs Millionen Menschen sind betroffen.
2003 – Halloween-Sturm:
Innerhalb von zwei Wochen wer-
den siebzehn größere Flares beobachtet, kurzzeitig ist der
Funkverkehr gestört. Im schwedischen Malmö fällt ein Teil des
Stromnetzes aus. Luftkorridore in Nord-Kanada werden für
Passagierflugzeuge geschlossen. Signale von Satelliten- und
Navigationssystemen fallen zeitweise aus. Die Partikelwolke ist
bis zu dreizehnmal so groß wie die Erde und bewegt sich mit
1,6 Millionen Kilometern pro Stunde. Ein Satellit wird komplett
zerstört, 27 Satelliten weisen Anomalien in ihrer Funktionstüch-
tigkeit auf.
Ausblick:
Zerstörte Kommunikations- und Positionierungssys­
teme, Einschränkungen des Luft- und Schiffsverkehrs und öko-
nomische Schäden in Milliardenhöhe – ein extremer geoma­
gnetischer Sturm ist ein seltenes, aber folgenschweres Ereignis.
Eine Vorhersage des Weltraumwetters gäbe Satellitenbetreibern
Vorlauf, um entsprechend zu reagieren und Folgekosten von
Sonnenstürmen zu reduzieren. Seit Anfang des Jahres 2000
richtet das DLR nationale Weltraumwetter-Workshops aus, um
Entscheidungsträger zusammenzubringen und für das Thema
zu sensibilisieren. Die Gruppe „Ionosphärische Effekte und
Korrekturen“ des Instituts für Kommunikation und Navigation
arbeitet am Aufbau eines permanenten Weltraumwetter-
Service, dem „Ionosphere Monitoring and Prediction Service“
(IMPC).
1...,10-11,12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29 32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,48-49,50-51,...60
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