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Flugzeuge werden im Durchschnitt alle 3.000 Flugstunden von einem Blitz getroffen. Von den Passagieren bleibt das unbemerkt. Denn
wie beim Auto wird der Blitz an der metallischen Außenhaut des Flugzeugs weitergeleitet; das Innere ist vor den elektrischen Entladun-
gen geschützt. Grund dafür ist die abschirmende Wirkung des sogenannten „Faradayschen Käfigs“.
Zunehmend werden Faserverbundwerkstoffe wie carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK) für den Flugzeugrumpf eingesetzt. Damit
auch solche Bauteile einen Faradayschen Käfig bilden wie die bisherigen aus Metall, ist ein extra Blitzschutz notwendig. Die Lösung liegt
in einer zusätzlichen Blitzschutzschicht. Diese muss bisher allerdings von Hand auf die kompletten Außenflächen des Rumpfes aufgetra-
gen werden. Doch um die kommende Flugzeuggeneration wirtschaftlich produzieren zu können, ist dieser Prozess zu aufwändig und
damit auch zu kostenintensiv. Gemeinsam mit Industriepartnern hat das DLR-Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie (ZLP) in
Augsburg nun eine Lösung entwickelt und getestet, mit der sich das Blitzschutzmaterial vollständig automatisiert aufbringen lässt.
Ziel ist es, den Prozess schneller und wirtschaftlicher zu machen und das bei einem ebenso faltenfreien Ergebnis wie bisher bei der manu-
ellen Feinarbeit. „Dazu soll der Blitzschutz in einem automatisierten, robusten Prozess aufgetragen werden, mit wiederholbaren Ergebnis-
sen und bei gleichbleibender Qualität. Zudem wollen wir die Materialausnutzung verbessern und engere Toleranzen ermöglichen“, sagt
Dr. Marcin Malecha, Projektleiter beim ZLP Augsburg. „Dafür haben wir zusammen mit Industriepartnern eine ganzheitliche Automatisie-
rungslösung entwickelt, die über den Ablage- und Drapierprozess hinaus auch Ablagestrategien und die Prozessplanung einschließt.“
Von einem Roboter geführter Legekopf führt die Prozessschritte zusammen
Gemeinsam mit der Firma Emil Bucher GmbH und Co. KG wurde dazu ein automatisierter Legekopf konzeptioniert, entwickelt und umge­
setzt. Insbesondere im hinteren, schmaler werdenden Bereich des Flugzeugrumpfes ist das Aufbringen des Blitzschutzes kompliziert. „Man
kann sich die Problematik leicht vorstellen, wenn man versucht, ein Blatt Papier auf einen Ball aufzukleben“, schildert Patrick Kaufmann,
wissenschaftlicher Mitarbeiter beim ZLP Augsburg, die Schwierigkeiten beim flächigen Aufbringen auf die gekrümmte Rumpfschale. Das
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Wie nichtmetallische Flugzeugbauteile zu ihrer Blitzschutzfunktion kommen
Von Nicole Waibel
Faltenfreie Ablage und bessere Materialausnutzung
„Neben der faltenfreien Ablage eines fast verzugsfreien Materials liegt
eine weitere Schwierigkeit im Finden der optimalen Ablagebahn“, er-
gänzt Malecha. Die Bahnplanung für den Roboter beschreibt den Bewe-
gungsverlauf des Legekopfes, wie er von der Roboteranlage positioniert
und orientiert wird. „Im manuellen Prozess teilt man das nach hinten
schmaler werdende Heck des Flugzeugs in parallele Scheiben, um dem
Mitarbeiter die Ablage zu vereinfachen. So werden bisher Ablagebah-
nen erzeugt, die stark gekrümmt sind und in ihrer Form einer Banane
ähneln. Dadurch kann derzeit nur ein Teil der Materialbreite ausgenutzt
werden.“
Die nun entwickelte Bahnplanung ist deutlich materialsparender, da
nahezu die volle Breite der Materialrolle abgelegt werden kann. Mit
Hilfe eines von den Wissenschaftlern entwickelten Algorithmus lassen
sich die Roboterbahnen optimal an die unterschiedlichen Krümmungen
der Oberfläche anpassen. „Wir können breitere Bahnen legen, wodurch
Überlappungen eingespart und der Materialverschnitt reduziert wird.
Zudem lässt sich mehr Material in kürzerer Zeit ablegen“, zählt Malecha
einige Vorteile der Automatisierungslösung auf. Diese wurde zusammen
mit den Industriepartnern Premium AEROTEC GmbH und Emil Bucher
GmbH und Co. KG umgesetzt und erfolgreich validiert. Malecha fasst
zusammen: „Wir haben es erstmals geschafft, die Ablage von Blitz-
schutzmaterial auf großflächigen, doppelt gekrümmten Luftfahrtbautei-
len in einen vollständig automatisierten Prozess zu überführen.“
Nicole Waibel
ist beim Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie (ZLP) in Augs-
burg für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
AUTOMATISCH
FALTENFREI
Die Versuche, das Metallgeflecht optimal zu drapieren, erfolgten im Originalmaßstab auf einer doppelt gekrümmten Werk-
zeugoberfläche. Der Blitzschutz bildet immer die äußerste Schicht des Flugzeugs. Es ist jedoch möglich, je nach Reihenfolge, in der
die Einzelschichten abgelegt werden, auf einer konkaven Schale mit dem Blitzschutz als erste Schicht zu beginnen oder auf einer
konvexen Schale mit dem Blitzschutz abzuschließen. „Zuerst gelang es uns, das Material auf eine konvexe Werkzeugoberfläche
zu legen. Danach haben wir den Legekopf für eine konkave Geometrie erweitert. Da diese sich in Form und Kraftverteilung
unterscheiden, mussten wir die Geometrie der Andrückwalze ändern“, erklärt Kaufmann. Eine weitere wichtige Maßnahme
führte dann zu einer optimierten Prozesssteuerung. In einer abschließenden Versuchsreihe wurde die geforderte Ablagequalität
für drei Bahnen auf einer konkaven Geometrie in Originalgröße erfolgreich verifiziert.
Der entwickelte Legekopf führt den Ablageprozess vollständig automatisiert aus. Lediglich das Bestücken der Materialrolle muss noch manuell ausgeführt werden.
Optimale Ablagebahnen und ein faltenfreies Ergebnis sind zwei wichtige Kriterien
beim automatisierten Auftrag von Blitzschutz
Ein zusätzliches Kupfergitter sorgt dafür, dass auch Flugzeugrümpfe aus Faserver-
bundmaterialien elektrisch leitfähig und so sicher vor Blitzschlag sind
FARADAYSCHER KÄFIG
Der Begriff „Faradayscher Käfig“ geht auf den englischen Physiker
Michael Faraday (1791–1867) zurück. Er fand in Experimenten her-
aus, dass das Innere von metallumgebenen Räumen von äußeren
elektrischen Feldern und elektromagnetischen Wellen abgeschirmt
ist, ähnlich wie bei einem Käfig. Die Ladung konzentriert sich bei
elektrischen Leitern an der Außenseite. Autos, Züge und Flugzeuge
stellen solche „Faradayschen Käfige“ dar. Werden diese bei einem
Gewitter vom Blitz getroffen, leitet das Metall die Energie an der
Außenseite weiter und die Insassen sind geschützt. Auch Blitzablei-
ter nutzen den von Faraday entdeckten Effekt.
Material muss sorgfältig zugeschnitten, angedrückt und gleichmäßig
glattgestrichen werden, um Faltenwurf zu vermeiden. „Wir haben alle
in den jeweiligen Prozessschritten benötigten Funktionen berücksich-
tigt“, erklärt Kaufmann die Vorgehensweise bei der Entwicklung des
automatisierten Ablagesystems. „Besonders hilfreich war in der ersten
Entwicklungsphase ein Versuchswagen, mit dem wir den Materialfluss
nachgebildet und die einzelnen Funktionsmodule wie Schneideeinheit,
Andrückwalze oder Drapiereinheit verbessert haben.“
Anschließend wurde alles in ein kompaktes Gesamtsystem integriert.
Einmal mit Material bestückt, führt der Legekopf den Ablageprozess bis
zum Leeren der 90 Zentimeter breiten Materialrolle automatisiert aus:
Er stellt das Material bereit, beschneidet es, legt es ab, drapiert es und
sammelt anschließend Schutzfolie, Trägerpapier und Verschnitt wieder
auf, alles in nur einem Arbeitsschritt. Ein Roboter führt Position und
Orientierung des Legekopfes und steuert sämtliche Antriebe.
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