DLR Magazin Sonderdruck - page 18-19

zwischen 300 und 100 Kelvin variiert werden. Dies entspricht
der Spanne von plus 27 bis minus 173 Grad Celsius. Erreicht
werden die extremen Minusgrade durch das Einspritzen von
flüssigem Stickstoff. Dieser flüssige Stickstoff wird in großen
Tanks neben dem Gebäude gelagert. Kommt er zum Einsatz,
sorgt er für die eingangs beschriebene, zuweilen pittoreske
Stimmung um das Gebäude.
Bei der dann erreichten tiefen Temperatur des Kanalgases
lässt sich die Reynoldszahl steigern. Vereinfacht gesagt, werden
die Luftmoleküle durch die extreme Kälte gefroren, wodurch
sich die freie Lauflänge der Moleküle verkleinert. So lässt sich
das Größenverhältnis der Luftmoleküle an den Maßstab der
Windkanalmodelle anpassen. Im Ergebnis erhalten die Wissen-
schaftler hochpräzise Messergebnisse unter realitätsnahen Be-
dingungen. Denn im Gegensatz zu den nicht kryogenen Windka-
nälen können im KKK die Einflüsse von Mach- und Reynoldszahl
auf die aerodynamischen Werte der Windkanalmodelle separat
untersucht werden.
„Die Technik des Kanals ist aufwändig: Allein für das Ab-
kühlen des Kanalgases, das Reduzieren seiner Feuchte und das
Herunterkühlen der Dämmschichten der Anlage werden etwa
80 Tonnen Stickstoff benötigt. Um den Windkanal wirtschaft-
lich betreiben zu können, arbeiten wir im Schichtbetrieb“, sagt
Dipl.-Ing. Rüdiger Rebstock, Leiter des Kryo-Kanals Köln. Durch
den Schichtbetrieb erreicht Rebstock mit seinen Mitarbeitern auch
eine hohe Effizienz. Bis zu 15 verschiedene Versuchskonfigura­
tionen können in einer Woche unter eiseskalten Bedingungen
getestet werden.
Anspruchsvolle Messverfahren
Bei diesen eiskalten Tests kommt hochmoderne Messtech-
nik zum Einsatz. Zur Dokumentation der aerodynamischen Eigen-
schaften der Windkanalmodelle werden neben herkömmlichen
Kraft- und Druckmessverfahren (beispielsweise Dehnmessstreifen)
auch Hitzdrahtverfahren (temperaturabhängige Messung von
elektrischen Widerständen zur Ermittlung der Strömungsge-
schwindigkeit) und Heißfilmverfahren (Luftmassenmessung)
eingesetzt. Zur Bestimmung des Übergangs von laminarer zu
turbulenter Strömung auf Flügelprofilen wird neben der Infrarot-
messtechnik das sogenannte TSP (Temperature Sensitive Paint)
angewendet. Hierbei wird die Temperaturveränderung, die beim
Strömungsumschlag entsteht, durch Farbe sichtbar gemacht. Die-
se Information ist wichtig, um die Vergleichbarkeit von Rechen-
verfahren und numerischer Simulation zu überprüfen. Neue laser-
optische Messverfahren wie die Particle Image Velocimetry (PIV)
vervollständigen das Portfolio der Einrichtung. Bei den PIV-Messun­
gen werden dem Kanalgas Partikel hinzugefügt, die in schneller
Abfolge mit einem pulsierenden Laser beleuchtet und von einer
Kamera fotografiert werden. Anhand der veränderten Position
der einzelnen Partikel lassen sich die Bewegungsrichtung und die
Geschwindigkeit der Strömung ermitteln.
Die extremen Minustemperaturen in der Messstrecke stellen
besondere Anforderungen an die Messtechnik und auch an die
Windkanalmodelle selbst. Für die Modelle können nur Materialien
verwendet werden, die auf Temperaturschwankungen nicht mit
einem übermäßigen Schrumpfen oder Ausdehnen reagieren.
Diese Effekte würden die Aerodynamik und somit die
Messergebnisse verfälschen. Ein großer Vorteil des Kältekanals
allerdings ist, dass auch Modelle aus speziellen Aluminium­
legierungen, Stahl oder kohlefaserverstärktem Kunststoff ein­
gesetzt werden können. Denn die auf solche Modelle wirkende
Drucklast ist im Kryo-Kanal geringer als in Windkanälen, die unter
Druck betrieben werden.
Mit dem Zug im Kanal
Von den Vorzügen des KKK versprachen sich auch die
Bahnforscher im DLR etwas: Sie testeten Modelle eines künf­
tigen Hochgeschwindigkeitszuges im eisigen Wind. „Die Mög-
lichkeiten des Kryo-Kanals waren für uns wichtig, weil nur in
ihm die für uns maßgebliche Reynoldszahl erreicht werden
kann“, sagt Dr. Joachim Winter, Leiter des DLR-Projekts Next
Generation Train (NGT). „Im KKK haben wir gelernt, dass wir
zur Modellierung der Strömungen am NGT nicht nur den Trieb-
wagen brauchen, sondern auch den Mittelwagen, also einen
Waggon“, resümiert Winter. In Köln fanden er und seine Kolle-
gen nicht nur eine ausreichend lange Messstrecke, sondern –
nach Verstärkung des Windkanalrotors – auch die der Realität
am nächsten kommenden Bedingungen.
Vom Bezug der Testobjekte zu unserem Alltag ist allerdings
kaum etwas zu ahnen, wenn man an dem fensterlosen Beton-
Koloss vorbeigeht. Schon gar nicht, wenn er sich von Zeit zu Zeit
in eine mystische Dampfwolke hüllt.
Das Modell des Jet-Trainers MAKO zeigt, wie variabel die
Strömung bei verschiedenen Flugmanövern im Windkanal
untersucht werden kann
Halbmodell eines Airbus A380 im Windkanal – abhängig von der
Fragestellung reichen schon Teile der Gesamtstruktur für präzise
Messungen aus
Der riesige Rotor erzeugt Windgeschwindigkeiten von rund
490 Kilometern pro Stunde
Computersimulation des Effekts von Seitenwind auf ein Zugmodell.
Bei Windkanaltests werden auch die bei numerischen Simulationen
verwendeten Daten überprüft.
Mit diesem Zugmodell aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff
messen die DLR-Wissenschaftler unter anderem den Lärm eines
Hochgeschwindigkeitszuges
Der Kryo-Kanal Köln in Zahlen
Kanallänge.......................................................135 Meter
Messstrecke.....................................2,4 x 2,4 x 5,4 Meter
Temperatur.......................................... 100 bis 300 Kelvin
Antriebsleistung......................................... 1,4 Megawatt
Baujahr ................................................................... 1961
Geschwindigkeit........................................... bis Mach 0,4
Gute Nachbarschaft
Der Kryo-Kanal ist mit seinem besonderen Leistungsspekt-
rum in Köln in guter Gesellschaft: Auf dem Gelände des
DLR befinden sich außerdem die Über- und Hyperschall-
kanäle sowie der lichtbogenbeheizte Windkanal des DLR-
Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik. Kleinere
Versuchskanäle werden vom Institut für Antriebstechnik be-
trieben, während im benachbarten Europäischen Transschall
Windkanal kryogene Bedingungen im Überschallbereich
erzeugt werden können.
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